»Bruder Dariusz!«, schrie Rother, noch während er versuchte, sein scheuendes Pferd unter Kontrolle zu halten. »Was ist passiert? Gott im Himmel - was haben sie getan?« Er schlug hastig das Kreuzzeichen vor Stirn und Brust.
Dariusz sprang mit einer wütenden Bewegung aus dem Sattel, rammte das Schwert in die lederne Scheide an seinem Gürtel zurück und starrte den jungen Tempelritter so hasserfüllt an, als wäre er ganz allein schuld an dem Debakel. »Diese feigen Hunde haben uns in einen Hinterhalt gelockt. Sie kämpfen nicht wie Männer, sondern wie Feiglinge! Wo seid Ihr so lange gewesen?«
Robin sah Dariusz eindeutig verwirrt an, und auch Rother schwieg einige Augenblicke überrascht. Wenn sie ihren Vorsprung bedachte und den Umstand, dass Rother die Männer erst hatte holen müssen, dann hatten er und seine Begleiter ein kleines Wunder vollbracht, sie so schnell einzuholen. Und selbst Dariusz musste doch begreifen, dass der junge Templer und seine Begleiter ihm und allen anderen hier das Leben gerettet hatten, denn es war zweifellos nur ihrem Auftauchen zu verdanken, dass die Sarazenen auf ihren letzten, entscheidenden Angriff verzichtet hatten.
»Wir sind gekommen, so schnell wir konnten«, antwortete Rother schließlich. »Sollen wir sie verfolgen?«
Dariusz schien tatsächlich einen Moment lang über diesen Vorschlag nachzudenken, auch wenn ihm zweifellos klar sein musste, dass es auch Rother und seinen Begleitern nicht anders ergehen würde als ihnen. Schließlich aber (und zu Robins unendlicher Erleichterung) schüttelte er wütend den Kopf. »Nein. Lasst sie ihren feigen Sieg ruhig genießen. Umso größer wird ihr Entsetzen sein, wenn wir über sie kommen und sie Gottes Strafe trifft.«
Robin konnte Rothers Gesicht unter dem schweren Helm nicht erkennen, aber sie spürte, dass er auch mit dieser Antwort nicht wirklich etwas anzufangen wusste. Einen kurzen Moment lang sah der junge Tempelritter Dariusz einfach nur wortlos an, dann schwang er sich aus dem Sattel, nahm Helm und Schild ab und ging wortlos auf den verwundeten Ritter zu, der sich mittlerweile auf einem Stein niedergelassen hatte und mit schmerzverzerrtem Gesicht und vergebens versuchte, den Pfeil zu erreichen, der aus seinem Rücken ragte. Robin wollte ihm folgen, um sich um den Verwundeten zu kümmern, aber Dariusz befahl sie mit einer unwilligen Geste zurück.
»Kommt mit mir«, sagte er grob.
Robin folgte ihm, während er sich zehn oder zwölf Schritte weit von den anderen entfernte, und aus ihrem unguten Gefühl wurde etwas anderes, Schlimmeres, als er wieder stehen blieb und mit einer fast zornigen Bewegung zu ihr herumfuhr. »Nun?«, begann er wütend. »Habt Ihr das bekommen, was Ihr erwartet habt?«
»Dariusz?«, erwiderte Robin hilflos. Sie verstand überhaupt nichts.
»Das war es doch, wovor Ihr mich vorhin warnen wolltet, oder?«, erwiderte Dariusz mit einer wütenden Handbewegung auf die toten Pferde. »Ist es das, was Ihr in den zwei Jahren bei den Assassinen gelernt habt?«
Robin verstand immer noch nicht wirklich, worauf Dariusz hinauswollte. Das hieß: Eigentlich verstand sie es schon. Nur erschien ihr der Gedanke selbst jetzt noch und selbst für einen Mann wie Dariusz so absurd, dass sie sich einfach weigerte, es zu glauben. »Bruder Dariusz, ich wollte doch nur ...«
»Mir ist vollkommen egal, was Ihr wolltet, Bruder Robin«, fuhr ihr Dariusz ins Wort. Seine Stimme zitterte. »Ich habe vorhin nichts gesagt, weil ich Euch nicht vor den anderen demütigen wollte, aber noch einmal werde ich nicht so großzügig sein. Ich warne Euch, Robin. Nur dieses eine Mal. Stellt nie wieder meine Autorität infrage, weder, wenn wir allein sind, noch vor den anderen.«
»Das lag nicht in meiner Absicht«, antwortete Robin, so ruhig, wie sie es gerade noch vermochte. Was nicht besonders ruhig war. Jetzt, nachdem sie ihre erste Überraschung überwunden hatte, musste auch sie sich beherrschen, den brodelnden Zorn im Zaum zu halten, der plötzlich in ihr hochstieg. Ganz offensichtlich suchte Dariusz einfach nach jemandem, dem er die Schuld an der Katastrophe in die Schuhe schieben konnte, in der ihr Angriff geendet hatte. Und ebenso offensichtlich kam sie ihm dafür gerade recht. »Ich wollte lediglich darauf hinweisen ...«
»Ich weiß, was Ihr wolltet, Robin«, unterbrach sie Dariusz erneut, jetzt mit kalter, schneidender Stimme. Er trat einen Schritt auf sie zu, und Robin musste all ihre Willenskraft zusammennehmen, um nicht erschrocken um die gleiche Distanz zurückzuweichen. »Ich warne Euch noch einmal, Robin«, sagte er. »Ihr mögt mächtige Freunde haben. Ihr mögt Euch sicher unter ihrem Schutz fühlen, und vielleicht habt Ihr damit sogar Recht. Aber treibt es nicht zu weit. Ich werde nicht zulassen, dass Ihr unserer Sache schadet oder dem Ruf des Ordens. Ganz gleich, wer seine schützende Hand über Euch hält oder auch nicht.«
Robin war nun vollends verwirrt. Sie verstand nicht einmal im Ansatz, wovon Dariusz überhaupt sprach, aber sie begann sich zu fragen, ob sein plötzliches Auftauchen vor fünf Tagen tatsächlich so zufällig gewesen war, wie er bisher behauptet hatte. Fast hilflos hob sie die Schultern und sagte noch einmaclass="underline" »Ich verstehe nicht, was Ihr meint, Bruder.«
Dariusz’ Stoß kam so unerwartet, dass sie ihn nicht einmal sah. Seine flache Hand rammte gegen ihre Schulter, brachte sie aus dem Gleichgewicht und ließ sie zwei Schritte rückwärts stolpern und dann schwer zu Boden fallen. Ein scharfer Schmerz schoss durch ihren Rücken, trieb ihr fast die Tränen in die Augen, doch ungleich größer noch als der Schmerz war der Schrecken, der sie durchfuhr, als Dariusz ihr nachsetzte und breitbeinig und mit vor Wut zu Fäusten geballten Händen über ihr stehen blieb. Seine Augen loderten, und Robin war klar, dass er in diesem Augenblick nichts lieber getan hätte, als sein Schwert zu ziehen und sie zu erschlagen; ganz gleich, was danach geschah.
»Zum allerletzten Mal«, zischte er. »Treibt es nicht zu weit, oder ich schwöre Euch, Robin, nicht einmal Gott selbst wird Euch vor meinem Zorn beschützen!«
7. KAPITEL
Die meisten Feuer waren erloschen, als Robin und die anderen ins Dorf zurückkehrten; nicht weil sie irgendjemand gelöscht, sondern weil die Flammen in ihrer Gier längst ihre eigene Grundlage aufgezehrt hatten. Nur aus der brennenden Moschee quoll noch schwarzer Rauch. Das einfache Holzkreuz, das jemand auf ihrem Kuppeldach aufgerichtet hatte, brach just in dem Augenblick in einem Funkenschauer zusammen, in dem Robin und Rother an dem brennenden Gebäude vorübergingen. Der junge Ritter und sie waren abgesessen und führten ihre Tiere am Zügel hinter sich her, so wie alle anderen auch. Einzig Dariusz war wieder aufgesessen und trabte im Schritttempo zwischen den ausgebrannten Ruinen des Dorfes entlang. Obwohl der Kampf vorüber war und trotz der Gluthitze des Tages, die sich zwischen den engen Talwänden noch zusätzlich zu stauen schien, hatte er den Helm wieder aufgesetzt und den Schild an seinem linken Arm befestigt; seine Rechte ruhte locker auf dem Oberschenkel, aber es war eine beiläufige Geste, die ganz bewusst täuschte. Unter Rüstung und Helm war jeder Muskel seines Körpers zum Zerreißen angespannt, so als fürchte er auch jetzt noch einen Hinterhalt.
Die Frau lag noch immer vor dem Eingang der Kirche, aber zumindest war jemand rücksichtsvoll genug gewesen, das tote Kind fortzuschaffen. Wenigstens glaubte Robin das im ersten Moment, bis sie das blutige Bündel nahezu auf der anderen Seite der Straße entdeckte, wohin es die Hufe der vorübergaloppierenden Pferde geschleudert hatten. Robin wusste, dass sie einen großen Fehler beging, aber sie konnte nicht anders: Ohne ein weiteres Wort drückte sie Rother die Zügel in die Hand, ging zu dem zerfetzten Bündel hin und hob es auf. Sie vermied es sorgsam, auch nur einen Blick unter die blutbesudelten Tücher zu werfen, sondern trug es nur ein paar Schritte weit davon, bis sie eine Stelle neben einem der Häuser erreicht hatte, wo der Boden locker genug war, um mit ihrem Messer eine flache Grube auszuheben. Behutsam legte sie das tote Kind hinein, schaufelte das improvisierte Grab mit den bloßen Händen wieder zu und murmelte ein kurzes Gebet, bevor sie das Kreuzzeichen schlug und hastig aufstand.