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»Glaubt mir, Robin, dieses Kreuz hat nichts mit ihrem wirklichen Glauben zu tun. Diese Menschen sind und bleiben Heiden. Ich habe zu oft versucht, das Gegenteil zu glauben, und ich bin zu oft enttäuscht worden. Wäre unsere Aufgabe so leicht, dann wäre unsere Anwesenheit hier gar nicht vonnöten. Sie richten vielleicht ein Kreuz auf. Sie beten und gehen zum Gottesdienst, aber ihre Herzen gehören ihren falschen Göttern.«

»Und warum dann das Kreuz?«, fragte Robin.

»Weil sie vielleicht keine guten Christenmenschen sind, aber nicht dumm«, antwortete Dariusz. »Sie richten ein Kreuz über ihren Tempeln auf, um sich damit unter unseren Schutz zu stellen, und nur zu viele von uns sind so gutmütig und naiv wie Ihr, Robin, und glauben ihnen.«

»Ihr glaubt, das alles wäre nur eine Täuschung gewesen?«, erwiderte Robin. Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Aber ... warum?«

»Um sich unseren Schutz zu erkaufen«, antwortete Dariusz, nun schon wieder etwas heftiger. »Das Land von hier bis an die Ufer des Nils steht unter der Kontrolle der Christenheit. Sie hängen ihre Fahne in den Wind, weil sie glauben, sich auf diese Weise unser Wohlwollen und damit ein besseres Leben zu erkaufen.«

Robin sagte nichts mehr dazu, sondern drehte sich halb um und blickte auf das armselige Grab hinab, das sie dem toten Kind bereitet hatte; einem Menschen, der vielleicht erst wenige Tage alt gewesen war und niemals auch nur die Chance bekommen hatte, sich zu entscheiden, an welchen Gott er glauben wollte. Das Einzige, was sich dieses Kind, seine Eltern und jede andere Seele in diesem Dorf mit dem schlichten Holzkreuz auf dem Dach der Moschee erkauft hatten, war ein grausamer Tod gewesen.

Sie hütete sich, diesen Gedanken laut auszusprechen, doch Dariusz schien ihn deutlich ihrem Gesicht ablesen zu können, und er reagierte ganz anders darauf, als sie noch einen Augenblick zuvor erwartet hätte. Statt sie erneut zu schelten, trat er plötzlich hinter sie, streckte den Arm aus und legte ihr seine schwere Hand auf die Schulter.

»Verzeiht mir meine groben Worte, Bruder Robin«, sagte er.

»Was Ihr gesagt habt, war vielleicht falsch, doch Ihr habt ein gutes Herz, und das zählt tausendmal mehr als ein unbedachtes Wort. Zumindest was dieses Kind anbelangt, habt Ihr Recht. Es kann nichts dafür, was seine Eltern oder deren Vorfahren getan haben. Und ich bin sicher, Gott wird es in sein Himmelreich aufnehmen.« Er schob Robin mit sanfter Gewalt aus dem Weg, ließ sich auf das rechte Knie herabsinken und segnete das schlichte Grab, indem er mit aneinander gelegtem Zeige- und Mittelfinger das Kreuzzeichen darüber schlug. Seine Lippen formten lautlose Worte, und so gerne Robin sich auch in diesem Moment das Gegenteil eingeredet hätte, sah sie doch, dass der Ausdruck von Trauer und Mitleid, der sich währenddessen auf seinen Zügen breit machte, echt war.

Schließlich stand Dariusz wieder auf, und noch während er sich zu ihr umdrehte, ergriff die übliche Härte und Unnahbarkeit von seinem Gesicht Besitz. »Jetzt geht und helft den anderen, Robin. Die Plünderer haben auf ihrer Flucht eine Anzahl Pferde und Ponys zurückgelassen. Wir müssen sie einfangen, um unsere verlorenen Tiere zu ersetzen.«

Sie brauchten nahezu den Rest des Tages, um das karge Ödland zu überqueren, über das die Sarazenen vor ihnen geflohen waren. Anfangs fanden sie noch Spuren des großen Reitertrupps: ein verlorenes Kleidungsstück, einen achtlos weggeworfenen leeren Wasserschlauch und einmal ein blutgetränktes, noch feuchtes Tuch, das bewies, dass sich die Einwohner des Dorfes nicht vollends ohne Gegenwehr in ihr Schicksal ergeben hatten. Nach und nach aber wurden diese Spuren weniger, und schließlich verschwanden sie ganz. Robin vermutete, dass die Räuber ihren Kurs geändert hatten, was auch ziemlich nahe lag: Safet war jetzt nur noch einen knappen Tagesritt entfernt, und die Gefahr, auf weitere und vielleicht besser auf einen Kampf vorbereitete christliche Truppen zu treffen, wuchs mit jeder Meile, die sie weiter nach Osten geritten wären.

Dariusz blieb trotzdem wachsam. Obwohl sich das Land rings um sie herum so flach und deckungslos erstreckte, dass sie jeden Späher schon aus großer Entfernung entdeckt hätten, bestand er nun darauf, dass sowohl sie als auch die anderen Ritter absaßen und sich in der Masse der Turkopolen und einfachen Waffenknechte weiterbewegten, um ihre wahre Stärke zu verbergen, vermutlich aber auch (auch wenn er es niemals zugegeben hätte), um die Pferde zu schonen. Ohne auf die geharnischten Proteste der anderen Ritter zu reagieren, hatte Dariusz kurzerhand deren Pferde beschlagnahmt und ihnen die weißen Schabracken ihrer verlorenen Tiere übergeworfen, was wiederum dazu führte, dass etliche der weltlichen Ritter, die ihnen am Morgen auf stolzen Hengsten und prachtvollen Stuten gefolgt waren, nun mit ehemaligen Packpferden, lahmen Kleppern und einige sogar mit Mauleseln vorlieb nehmen mussten. Entsprechend schlecht war die Stimmung in der Reitertruppe, die dem Dutzend Templer auch zuvor schon zwar mit großer Ehrerbietung, zugleich aber auch mit jener Art von Verachtung begegnet war, die aus dem Gefühl der Unterlegenheit und Furcht geboren wird.

Zu allem Überfluss stieg auch die Hitze noch weiter unbarmherzig an, selbst als die Sonne längst ihren Zenit überschritten hatte und die Schatten, die der Trupp auf den staubigen Boden warf, allmählich länger zu werden begannen. Erst eine Stunde vor Sonnenuntergang wurde es ein wenig kühler, und auch die Landschaft hatte ein Einsehen mit ihnen. Vor ihnen erschien ein dunkler Streifen am Horizont, der quälend langsam, aber beständig heranwuchs, und als die Sonne sank, marschierten sie nicht mehr über sonnenverbrannten, harten Wüstenboden, sondern hatten ein sanftes, von fruchtbaren Tälern durchzogenes Bergland erreicht. Gelegentlich gab es sogar kleine Zedernwälder mit zum Teil himmelhoch aufragenden Bäumen, die sich hartnäckig an den kargen Felsbrocken klammerten, und als die Nacht vollends hereinbrach, erreichten sie einen winzigen, von zwei Bachläufen gespeisten See inmitten eines dieser Haine. Dariusz gab Befehl, an seinem Ufer das Lager aufzuschlagen.

Während die Männer rings um sie herum ihre Pferde versorgten, sich aus Satteldecken oder ihren eigenen Mänteln einfache Betten errichteten oder schlichte Konstruktionen aus Stöcken und Zeltplanen aufstellten, um sich vor dem Wind zu schützen, der hier, in den Randgebieten der Wüste, ebenso eisig sein konnte wie die Tage heiß, lehnte sich Robin nur erschöpft gegen die Flanke ihrer Stute, die ohne ihr Zutun zum Wasser getrabt war und lautstark schlürfend ihren Durst stillte, und sah zu Dariusz hin. Ihre Glieder schienen mit flüssigem Blei gefüllt. Sie hatte grässlichen Durst, und alles drehte sich um sie, aber sie widerstand sogar der Versuchung, sich ebenfalls auf die Knie fallen zu lassen, um ihren Durst zu stillen, denn sie war sicher, dass Dariusz sie scharf beobachtete und sie sofort wieder zu sich befehlen und für die erste (oder auch für alle) Nachtwachen einteilen würde, allein, um sie für die Respektlosigkeit zu bestrafen, die sie sich an diesem Tag erlaubt hatte.

Dariusz überraschte sie jedoch ein weiteres Mal. Er teilte sie weder zur Wache ein, noch ließ er sich etwas anderes einfallen, um sie zu quälen, sondern ignorierte sie für den Rest des Abends. Erst am nächsten Morgen, eine Stunde vor Sonnenaufgang und eine halbe Stunde nach ihrem Morgengebet, ließ er sie und Bruder Rother von einem seiner Turkopolen zu sich rufen.

Der Anblick, der sich ihnen bot, überraschte Robin ein wenig. Schon nach dem Morgengebet war sie verwundert gewesen, dass sie nicht sofort wieder aufgesessen waren und ihren Weg fortgesetzt hatten. Sie wusste, dass Safet nicht mehr allzu weit entfernt sein konnte, und ganz unabhängig davon, dass Dariusz bisher keine Gelegenheit hatte verstreichen lassen, sie unbarmherzig anzutreiben, wäre es einfach klüger gewesen, die kühle Zeit vor Sonnenaufgang zu nutzen, um ein möglichst großes Stück des verbliebenen Weges hinter sich zu bringen, statt sich wieder endlose Meilen durch die glühende Sonnenhitze zu quälen. Obwohl vielleicht zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch an frischem Wasser kein Mangel herrschte und Robin mittlerweile so viel getrunken hatte, dass sie zu platzen meinte, hatte sie schon wieder das Gefühl, durstig zu sein. Vielleicht hatte sich der Durst so sehr in ihre Kehle eingegraben, dass sie ihn nie wieder ganz loswerden würde, ganz egal, wie viel sie auch trank.