Выбрать главу

Robin folgte ihm in einigem Abstand, und dieser Abstand vergrößerte sich sogar noch, als sie an der Stelle vorbeikamen, wo Dariusz und die anderen noch immer um das erlöschende Feuer herumsaßen. Beinahe ohne ihr Zutun wurde Robin noch einmal langsamer, und ihr Herz hämmerte bis in ihre Fingerspitzen hinein. Dariusz sah sie mit vollkommen ausdrucksloser Miene an, aber sie hätte den bösen Triumph in seinem Blick selbst dann noch gespürt, wenn sie nicht einmal in seine Richtung gesehen hätte. Er wusste es. Er hatte es die ganze Zeit über gewusst, von Anfang an. Aber warum hatte er nichts gesagt? Warum sagte er jetzt nichts?

Sie war vollkommen überzeugt davon, dass Dariusz sie passieren lassen und gerade lange genug warten würde, um sie in Sicherheit zu wiegen, ganz genau lange genug, damit sie neue Hoffnung schöpfen konnte, um sie dann zurückzurufen und vor aller Augen ihr Geheimnis zu lüften.

Aber er tat es nicht. Er tat es jetzt so wenig, wie er es gestern getan hatte oder Tage zuvor oder in dem Moment, in dem sie sich an der Küste wiedergesehen hatten. Unbehelligt passierte sie die Lagerstatt, lenkte ihr Pferd in westliche Richtung und schloss allmählich wieder zu Rother auf. Erst als der junge Ritter nahezu neben ihr war, wurde ihr klar, dass gar nicht sie schneller, sondern Rother langsamer geworden war. Er sah sie auf eine sehr sonderbare Weise an, aber er sagte nichts, sondern drehte nur flüchtig den Kopf, sah auf die gleiche, schwer zu deutende Art in Richtung des Lagers zurück, das bereits hinter ihnen in der Dunkelheit verschwunden war, obwohl sie sich gerade einmal wenige hundert Schritte von ihm entfernt hatte, und blickte dann wieder nach vorne. Erst nachdem sie eine geraume Weile schweigend nebeneinander her den Bergen entgegengeritten waren, hinter denen in einer Stunde die Sonne aufgehen würde, fragte er, leise, und ohne sie dabei anzusehen: »Darf ich dir eine Frage stellen, Robin?«

»Gern«, antwortete Robin, aber sie war nicht sehr erstaunt, dass es eine Weile dauerte, bis Rother fortfuhr - selbst bei diesem einen Wort hatte ihre Stimme so abweisend, ja, fast feindselig geklungen, dass sie an Rothers Stelle vielleicht gar nicht weitergesprochen hätte.

»Du musst nichts sagen, wenn du meinst, es ginge mich nichts an«, sagte Rother. Sein Blick war noch immer starr geradeaus gerichtet, und seine Stimme klang ein ganz klein bisschen unsicher. Es musste ihm mindestens so schwer fallen, seine Frage zu stellen, wie ihr, sie zu beantworten. »Was ist das zwischen Bruder Dariusz und dir?«

Robin war nicht im Geringsten überrascht. Rother und die anderen Ritter hätten schon blind und taub auf einmal sein müssen, nicht zu begreifen, dass es zwischen Dariusz und ihr nicht zum Besten stand. Es überraschte sie allenfalls ein wenig, dass Rother diese Frage stellte. Trotzdem antwortete sie: »Ich verstehe nicht genau, was du meinst.«

»Du willst nicht darüber reden«, seufzte Rother. »Das verstehe ich. Verzeih, dass ich gefragt habe.«

»Nein - ich verstehe wirklich nicht, wovon du sprichst«, behauptete Robin, auch wenn sie dabei fast selbst das Gefühl hatte, sich lächerlich zu machen. »Wir kennen uns von früher, das ist richtig. Aber zwischen uns ist nichts Außergewöhnliches vorgefallen, wenn du das glaubst.« Sie lachte leise und nicht besonders überzeugend. »Jedenfalls hat er mich nicht schlechter behandelt als alle anderen - was immer auch das heißt.«

Rother sah sie nun doch an und verzog flüchtig die Lippen, aber sein Blick blieb ernst und wurde noch nachdenklicher. Sie spürte, wie schwer es ihm fiel weiterzusprechen, aber seine Neugier war ganz offensichtlich größer als seine Scheu und sein (falls es überhaupt vorhanden war) schlechtes Gewissen, das Schweigegelübde so grob zu verletzen. »Ihr kennt euch schon lange?«, vergewisserte er sich.

Robin nickte zwar, doch sie ließ ganz bewusst einige Augenblicke verstreichen, bevor sie antwortete. »Ich beantworte gerne alle deine Fragen, Rother«, sagte sie dann, »aber dazu musst du sie auch stellen.«

Diesmal war es Rother, der verunsichert war und sie fast erschrocken ansah. Dann lächelte er erneut, und diesmal wirkte es echt. »Niemand von uns weiß viel über Bruder Dariusz«, bekannte er schließlich. »Man erzählt sich das eine oder andere ...«

»Und was?«, fragte Robin.

»Gerüchte«, erwiderte Rother und hob die Schultern. »Du weißt, wie es ist. Man reitet wochenlang durch die Wüste, und es gibt nicht viele Ablenkungen. Man fängt eben an zu erzählen. Und sich seine Gedanken zu machen.«

»Was bei einem Mann wie Bruder Dariusz nicht besonders schwer fällt«, pflichtete ihm Robin bei. »Aber ich kann dir nicht helfen. Ich war zusammen mit Dariusz auf den Schiffen, die uns von Genua aus hergebracht haben. Aber wir waren nicht einmal auf demselben Schiff. Wir haben uns nur ein paar Mal gesehen, das ist alles.« Sie schwieg einen Moment und fragte dann in leicht verändertem Ton: »Was für Gerüchte erzählt man sich denn über ihn?«

»Gerüchte eben«, antwortete Rother ausweichend. »Das übliche dumme Zeug. Du hast Recht - bei einem Mann wie Bruder Dariusz fällt es leicht, sich das Schlimmste vorzustellen.« Er räusperte sich ebenso gekünstelt wie unbehaglich. »Wir sollten schneller reiten. Ich stimme Dariusz ja ungern zu, aber in einer Hinsicht hat er Recht. Jede Meile, die wir vor Sonnenaufgang zurücklegen, ist eine Meile weniger in der Gluthitze des Tages.«

Er ließ sein Pferd ein wenig schneller ausgreifen, und Robins Stute passte sich dem Tempo des anderen Tieres ohne ihr Zutun an, als hätte sie genau verstanden, was Rother meinte und würde seine Meinung teilen. Robin nahm das Gespräch nicht wieder auf, obwohl sie Rothers Frage zutiefst verwirrt hatte. Dass er und die anderen Ritter die Spannung gespürt hatten, die zwischen Dariusz und ihr herrschte, verwunderte sie kein bisschen. Aber sie hatte das Gefühl, dass der junge Ritter auf etwas ganz Bestimmtes hinauswollte und ihn nur im allerletzten Moment der Mut verlassen hatte, seine Frage wirklich auszusprechen. Und dass es sich möglicherweise als sehr wichtig für sie erweisen könnte, mehr über die Natur der Gerüchte zu erfahren, die über Dariusz und sie unter den Rittern kursierten.

Dennoch sagte sie nichts mehr, sondern ließ ihr Pferd nun ganz bewusst ein paar Schritte zurückfallen, um Rother auf diese Weise die Möglichkeit zu nehmen, das Gespräch ganz beiläufig und wie durch Zufall fortzuführen. Obwohl sie die Neugier des jungen Ritters durchaus verstand und auf ihre Wiese teilte, gab es doch andere Dinge, um die sie sich Gedanken machen sollte.

So erleichtert sie war, dass Dariusz ihr Geheimnis letzten Endes doch nicht gelüftet hatte, wuchs ihre Besorgnis doch zugleich stetig. Es war gewiss kein Zufall gewesen, dass Dariusz sich ihr ausgerechnet heute offenbart hatte - aber sie verstand den Grund nicht. Im allerersten Moment hatte sie es für eine Drohung gehalten; aber Dariusz war kein Mann, der Drohungen nicht sehr genau auf den Punkt zu bringen verstand. Und genau das hatte er nicht getan.

Eine gute halbe Stunde lang ritten sie schweigend nebeneinander her. Rother warf ihr dann und wann einen fast scheuen Blick zu, aber er versuchte nicht noch einmal, sie anzusprechen, wofür ihm Robin im Stillen dankbar war; aber zugleich ertappte sie sich selbst ein paar Mal dabei, den Abstand zu ihm wieder zu verringern, als wäre da etwas in ihr, das fast verzweifelt seine Nähe suchte oder einfach die Nähe irgendeines Menschen.

Dennoch stand ihr Entschluss fest. Sie hatte auf eine Gelegenheit zur Flucht gewartet, und der Weg, der noch vor Rother und ihr lag, war die beste Gelegenheit, die sie bekommen würde, schon weil es die einzige Gelegenheit war. Wenn sie Safet und damit Balduins Heer erst einmal erreicht hatten, war es vorbei. Sobald sich die Gelegenheit ergab, würde sie fliehen.