»Bitte ... verzeiht«, antwortete der Assassine; leise, erst nach einer geraumen Weile und in fast gequältem Tonfall. »Aber der Auftrag unseres Herrn lautete ganz eindeutig ...«
»Mich sicher und unversehrt zu ihm zu bringen«, unterbrach ihn Robin, nunmehr eine Spur lauter und in ganz leicht schärferem Ton; längst noch nicht in dem eines Befehls oder gar Verweises, doch auch nicht mehr um Verständnis bettelnd. »Du kannst ja einen Mann vorausschicken und Salim meine Worte ausrichten lassen. Und wenn du dich so um unsere Sicherheit sorgst, dann folgt uns meinetwegen in gebührendem Abstand.«
Der Blick ihres Gegenübers machte ihr klar, was er von dem Wort unsere in ihrer Antwort hielt, und noch einmal, für einen allerletzten, winzigen, aber schlimmen Moment war Robin fast sicher, dass er nunmehr zu dem Entschluss gekommen war, ihre Weigerung zu ignorieren und wortwörtlich das zu tun, was Salim ihm aufgetragen hatte. Doch dann senkte er fast demütig den Blick und machte einen einzelnen Schritt rückwärts die Düne hinab, bevor er tief das Haupt beugte und flüsterte: »Wie Ihr befehlt.«
Robin atmete innerlich auf. Sie wagte es nicht, sich ihre Erleichterung zu deutlich anmerken zu lassen, doch sie wusste, wie schmal der Grat gewesen war, auf dem sie sich bewegt hatte. Sie hatte möglicherweise mehr von diesem Mann verlangt, als ihr zustand. Dennoch wurde ihre Stimme eher noch kühler, als sie nach einigen Augenblicken fortfuhr: »Es ist gut. Jetzt nimm deine Kameraden und geh. Richte Salim meine Botschaft aus.«
Der Mann entfernte sich rückwärts gehend und mit gesenktem Haupt, und Robin sah ihm ebenso wort- wie reglos nach, bis er am unteren Ende der Düne angekommen war, wo er sich umdrehte und mit schnellen Schritten zu den anderen Männern zurückging. Sie rührte sich auch dann noch nicht, sondern blieb schweigend und reglos stehen, bis der Mann wieder im Sattel saß und sich zusammen mit seinen Kameraden in dieselbe Richtung entfernte, aus der sie gekommen waren. Als sie sich umdrehte, war auch der Kamm der gegenüberliegenden Düne leer. Die drei Assassinen waren ebenso lautlos und schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht waren; wie schwarze Gespenster, die die Nacht ausgespien und im nächsten Lidschlag wieder in ihr schweigendes Reich zurückgeholt hatte. Mit einem Gefühl, von dem sie selbst nicht genau sagen konnte, ob darin nun Verwirrung oder Furcht überwog, stellte Robin fest, dass sie nicht einmal Spuren im Sand hinterlassen hatten.
Rother starrte sie aus großen Augen an, als sie sich wieder zu ihm umdrehte. Robin verstieß bewusst gegen ihre eigene, eiserne Regel, indem sie ihm beruhigend zulächelte, aber er schien es nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen. In seinen Augen war etwas, das weit über bloße Verwirrung und Furcht hinausging.
»Also doch«, murmelte er.
»Also doch - was?«, fragte Robin. Der sonderbare Unterton in seiner Stimme verwirrte sie im ersten Moment, dann ärgerte er sie. Begriff dieser Dummkopf eigentlich nicht, dass sie ihm gerade das Leben gerettet hatte?
Verletzt durch seine vermeintliche Undankbarkeit wandte sie sich brüsk ab und starrte einen Moment lang in die Richtung, in der die Reiter verschwunden waren, bevor sie ihre Frage noch einmal und in hörbar schärferem Ton wiederholte: »Also doch was, Rother?«
»Das waren ... Assassinen, nicht wahr?«, entgegnete der junge Tempelritter. »Die Männer des Alten vom Berge.«
»Und wenn?«, fragte Robin spröde und noch immer, ohne ihn anzusehen. Ihr Blick tastete unstet über die Ebene, auf der die Reiter verschwunden waren. Seit ihrem Aufbruch waren erst - sehr wenige - Augenblicke vergangen, und es gab weit und breit nichts, was den Männern als Versteck hätte dienen können. Sie hätte sie unbedingt sehen müssen - aber sie waren ebenso spurlos und schnell verschwunden wie die Assassinen hinter ihnen. Robin verspürte ein kurzes, aber eisiges Frösteln. Obwohl sie nun schon so lange mit diesen Männern zusammen war, versetzte sie ihre Fähigkeit, sich so lautlos und schnell wie Schatten zu bewegen, immer noch in Erstaunen; und zugleich machte sie ihr auch ein wenig Angst. Sie hatte Salim einmal gebeten, sie in dieser Kunst zu unterrichten, die auch er perfekt beherrschte, doch das hatte er rundheraus abgelehnt, und er hatte dabei so erschrocken und zugleich fast zornig geklungen, dass Robin es nicht gewagt hatte, ihre Bitte noch einmal zu wiederholen.
Nach einer Weile fiel ihr auf, dass Rother nicht auf ihre Frage geantwortet hatte. Erzwungen und deutlich langsamer, als ihr zumute war, drehte sie sich wieder zu ihm um, aber die scharfen Worte, die ihr auf der Zunge lagen, kamen ihr nicht über die Lippen. Rother starrte sie noch immer auf eine Art an, die sie einfach nicht deuten konnte oder wollte. In seinem Blick war alles oder auch nichts zu lesen, vor allem aber eine bestürzte Verwirrung, die in Robin etwas auslöste, dem sie einfach nicht erlauben durfte, Gestalt anzunehmen.
»Du hast noch niemals einen von Sheik Raschids Männern gesehen?«, vermutete sie.
»Ich habe von ihnen gehört«, antwortete Rother.
»Und ich kann mir ungefähr vorstellen, was«, sagte Robin düster. »Du solltest vielleicht nicht alles glauben, was man sich abends an den Lagerfeuern erzählt. Die Hälfte dieser Geschichten ist sicherlich hoffnungslos übertrieben.« Und über die andere Hälfte werde ich dir bestimmt nichts erzählen, fügte sie in Gedanken hinzu.
»Man sagt, sie wären mit dem Teufel im Bunde und verstünden sich auf die schwarzen Künste«, antwortete Rother.
»Unsinn!«, erwiderte Robin. »Sie sind sicherlich fähige Krieger und wahrscheinlich die schlimmsten Gegner, die du dir nur vorstellen kannst. Aber sie sind weder mit dem Teufel im Bunde, noch können sie zaubern, glaube mir.«
Rother sah sie auf eine Art an, die ihr unzweifelhaft klar machte, dass er ihr nicht glaubte. Er starrte sie nur an. Nicht der geringste Laut kam über seine Lippen, doch in seinem Gesicht arbeitete es, und als Robin eine winzige Bewegung machte, wie um auf ihn zuzutreten, sog er scharf die Luft ein und prallte ein kleines Stück zurück. Allmählich wurde Robin wütend. Sie hatte kaum erwartet, dass Rother ihr vor lauter Dankbarkeit um den Hals fiel, aber er führte sich auf, als stünde er dem Teufel persönlich gegenüber! »Was hat dir Dariusz über mich erzählt?«, fragte sie scharf.
»Über dich?« Rother wich ihrem Blick aus. »Nichts«, behauptete er. »Nur, was jedermann weiß.«
»Und was wäre das?«, beharrte Robin.
Es war zumindest mehr als nichts, wie sie deutlich auf Rothers Gesicht ablesen konnte. Es fiel ihm immer schwerer, ihrem Blick standzuhalten, und schließlich gab er auch auf, es überhaupt versuchen zu wollen. Robin, die immer ärgerlicher wurde, setzte dazu an, ihn in scharfem Ton zur Rede zu stellen, besann sich aber dann im allerletzten Moment eines Besseren und drehte sich stattdessen mit einem Ruck weg. Ein unbehagliches, lastendes Schweigen begann sich zwischen ihnen auszubreiten.
Schließlich räusperte sich Rother unecht und wartete, bis Robin ihren gekränkten Stolz so weit überwunden hatte, sich zu ihm umzudrehen und ihn anzusehen. »Wir sollten ... nach den Pferden suchen«, sagte er unbehaglich. »Es ist noch ein schönes Stück Weg bis Safet. Und ... danke«, fügte er nach einer hörbaren Pause hinzu.
»Wofür?«
Rother begann sich unter ihrem Blick immer unbehaglicher zu fühlen, was Robin ihm in diesem Moment jedoch von Herzen gönnte. »Du ... hast mir das Leben gerettet«, gestand er fast widerwillig.