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Dann fiel ihr noch etwas auf.

»Wo ist ... das Heer?«, fragte sie überrascht.

Die Frage galt eigentlich nur ihr selbst, nachdem Rother während des gesamten restlichen Rittes so beharrlich geschwiegen hatte, aber der junge Ritter richtete sich dennoch ein wenig im Sattel auf und deutete mit ausgestrecktem Arm zur Burg hoch.

»Dort oben. Die Zelte. Siehst du sie nicht?«

Am Fuß der Mauern waren tatsächlich zahlreiche bunte Zelte aufgeschlagen, die Robin allein durch ihre schiere Zahl und die bunte Farbenvielfalt beinahe als Allererstes aufgefallen waren; gleich nach der goldenen Kuppel der Moschee. Es war ein Heerlager; ein ziemlich großes sogar. Nie zuvor hatte Robin so viele prächtige Zelte beieinander gesehen - es mussten über hundert Zelte unterhalb der Burg aufgeschlagen sein, und dazwischen bewegten sich zahllose, gerüstete Gestalten. Und trotzdem hatte sie nach Dariusz’ Worten eindeutig mehr erwartet. Es war schwer, die Anzahl der Ritter und Waffenknechte zu schätzen, die dieses Zeltlager beherbergte, aber Robin glaubte nicht, dass es mehr als tausend waren. Und das sollte das gewaltige Heer sein, mit dem der König Saladins vereinte Armeen schlagen wollte?

Sie kleidete ihren Gedanken in Worte, schon um das bedrückende Schweigen nicht wieder Gewalt über sie gewinnen zu lassen. Rother sah sie einen Moment lang nachdenklich an, und irgendwie brachte er selbst dabei das Kunststück fertig, ihrem Blick auszuweichen, obwohl er ihr zugleich fest in die Augen sah. Schließlich hob er die Schultern und machte eine vage Kopfbewegung in nördlicher Richtung.

»Das Hauptlager liegt einen halben Tagesritt entfernt, bei Toron«, antwortete er. »Wir weiden später zu den anderen stoßen, sobald Dariusz und unsere Brüder eingetroffen sind.«

»Und sich Bruder Dariusz umgezogen und seine Waffen und seinen Helm auf Hochglanz poliert hat, meinst du«, fragte Robin lächelnd.

Rother blieb ernst. »Nach all der Zeit und all den Anstrengungen und Entbehrungen freue ich mich ebenfalls darauf, mir den Staub der Reise von der Haut zu waschen und ein sauberes Kleid anzuziehen.« Mit einem fast schüchtern wirkenden Lächeln, das ihn für einen Moment noch jünger aussehen ließ - vielleicht zum ersten Mal so jung, wie er tatsächlich war, dachte Robin -, fügte er hinzu: »Und vielleicht sogar eine Nacht in einem richtigen Bett.«

Nun war Robin ehrlich überrascht. Nach allem, was sie - nicht nur in diesem Land, sondern auch zu Hause und auf dem Weg hierher - mit ihren Ordensbrüdern erlebt hatte, war Sauberkeit so ziemlich das Letzte, was sie auf Rothers - oder der Wunschliste irgendeines anderen Tempelritters - erwartet hätte; Bruder Dariusz vielleicht einmal ausgenommen.

Rother wollte weiterreiten, aber Robin beugte sich rasch im Sattel vor und griff nach dem Zaumzeug seines Pferdes.

»Warte.«

Der Hengst warf mit einem ärgerlichen Schnauben den Kopf zurück und versuchte sogar nach ihr zu beißen, fast als hätte er ihre Gedanken vom Vormittag gelesen und ihr noch immer nicht endgültig verziehen, dass sie auch nur mit dem Gedanken gespielt hatte, ihn zu töten, und auch Rother sah sie fast schon erschrocken an.

»Eine Frage noch«, sagte Robin - nachdem sie hastig die Hand zurückgezogen und dem Hengst einen irritierten Blick zugeworfen hatte. Rother legte fragend den Kopf auf die Seite.

»Vorhin«, sagte Robin. »Salims Männer ... ich muss einfach wissen, ob du Dariusz alles haarklein erzählen willst.«

Sie konnte Rother ansehen, in welche Verlegenheit sie ihn mit dieser Frage stürzte, aber er würde sie so oder so beantworten müssen - entweder jetzt und ihr oder sich selbst und später, wenn er Dariusz gegenübertrat. Er antwortete auch nicht gleich, sondern zögerte gerade lange genug, um ihrer nagenden Sorge neue Nahrung zu geben, und schließlich fragte er: »Warum bist du nicht mit ihnen gegangen?«

»Hättest du es denn zugelassen?«

Sie bedauerte augenblicklich, die Frage überhaupt gestellt zu haben. Sie kannte die Antwort darauf. Rother hätte sie schwerlich einfach gehen lassen, aber er hätte sie auch nicht zurückhalten können. Hätte sie sich entschieden, den Assassinen zu folgen, so wäre ihm nur die Wahl geblieben, die Achtung vor sich selbst zu verlieren oder sich von Salims Männern umbringen zu lassen.

»Es macht keinen so großen Unterschied mehr«, sagte sie, als Rother auch darauf nicht antwortete. »Du hast gehört, was die Männer gesagt haben: Salim erwartet mich in seinem Zelt vor der Stadt. Wir werden tun, was Dariusz uns aufgetragen hat, und dann werde ich zu ihm gehen.«

»Warum?«, fragte Rother.

Robin wollte ganz impulsiv antworten, aber dann las sie etwas tief in seinen Augen, was ihr sagte, dass von ihrer Antwort möglicherweise mehr abhing, als ihr bewusst war, und so formulierte sie ihre Worte äußerst sorgfältig. »Immerhin hat Sheik Sinan mich aus der Sklaverei freigekauft. Streng genommen bin ich sein Eigentum - zumindest nach seinen Wertvorstellungen.« Sie hob rasch die Hand, als sie sah, wie Rother auffahren wollte, und fuhr mit einem Kopfschütteln und der Spur eines angedeuteten Lächelns fort: »Ich weiß, was du sagen willst, Rother. Kein Christenmensch kann der Sklave eines Heiden sein, und ein Bruder unseres Ordens schon gar nicht. Aber ich habe dem Alten vom Berge meine Freiheit zu verdanken und vielleicht sogar mein Leben. Und sie haben mich gut behandelt. Ich habe ihm mein Wort gegeben, nicht zu fliehen.«

»Er ist ein Heide«, sagte Rother. »Du bist nicht an das Wort gebunden, das du ihm gegeben hast. Schon gar nicht unter Druck.«

»Das mag sein«, antwortete Robin ruhig, obwohl ihr danach zumute war, etwas gänzlich anderes zu sagen. »Und Sheik Sinan ist ein vernünftiger Mann, der das wohl ebenso sehen wird. Aber er ist auch ein Mann, der großen Wert auf Ehre und die Einhaltung seiner Regeln legt. Und die Assassinen sind unsere Verbündeten. Es wäre dumm, dieses Bündnis ohne Not zu gefährden. Ich bin sicher, Bruder Dariusz und er werden eine Lösung finden.«

Rother starrte sie an. In seinem Gesicht arbeitete es, und Robin konnte ihm regelrecht ansehen, dass er nach einem Fehler in ihrer Argumentation suchte, irgendeiner Ungereimtheit, mit der er sie der Lüge überführen konnte. Seine Antwort fiel auch entsprechend aus. »Und das ist dann auch wirklich alles?«

»Was sollte es denn noch sein?«, fragte Robin. Rother schwieg, nicht weil er die Antwort nicht wusste, sondern weil sie ihm sichtlich unangenehm war, und nach ein paar Augenblicken fuhr Robin fort: »Was ist, Rother?« Sie machte eine ausholende Handbewegung in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

»Du hast schon einmal eine solche Andeutung gemacht. Was sind das für Gerüchte, die man sich über mich erzählt?«

Es war ein Schuss ins Blaue. Genau genommen drehten sich die Gerüchte, von denen Rother ihr erzählt hatte, um Bruder Dariusz, nicht um sie. Aber sie erkannte an seiner Reaktion, dass sie ihn getroffen hatte.

»Also?«

Rother wich ihrem Blick aus. »Dieser ... Salim, von dem die Assassinen vorhin gesprochen haben ...«

»Sinans Sohn.«

»Der Sohn des Alten vom Berge, ja«, bestätigte Rother. »Man erzählt sich, er ... er wäre nicht nur den Frauen zugeneigt.«

Robin starrte ihn verblüfft an. Es dauerte einige Augenblicke, bis ihr der Sinn von Rothers Worten wirklich bewusst wurde - und dann wusste sie nicht, ob sie empört reagieren oder lauthals loslachen sollte. »Salim und ...?« Robin konnte ein Grinsen nicht mehr ganz unterdrücken, das allerdings weitaus mehr Rothers Reaktion galt als dem, was er gesagt hatte. Unter der Sonnenbräune und all dem Schmutz auf seinem Gesicht lief der junge Tempelritter tatsächlich rot an. »Ganz bestimmt nicht.«

»Man sagt, es gäbe einen jungen Tempelritter, mit dem Sinans Sohn das Zelt teilt«, antwortete er. »Und nicht nur das.«

Robin fand es beinahe rührend, dabei zuzusehen, wie Rother von etwas zu reden versuchte, woran er seiner Auffassung nach vermutlich nicht einmal denken durfte, ohne mit mindestens einem Jahrhundert Fegefeuer bestraft zu werden. Und schließlich konnte sie nicht mehr anders, als vor Lachen laut herauszuplatzen.