»Was ist so komisch?«, erkundigte sich Rother in beleidigtem Ton.
»Du«, antwortete Robin, nachdem sie sich wieder halbwegs beruhigt hatte, aber immer noch mit einem breiten Grinsen. »Ihr alle, Rother. Ich dachte immer, dass nur die Waschweiber Klatsch und Tratsch verbreiten, aber meine eigenen Ordensbrüder scheinen schlimmer zu sein.«
»Diese Gerüchte ...«
»... stimmen«, fiel ihm Robin ins Wort. Ihr Grinsen wurde noch breiter, während sie sich unverhohlen an dem Ausdruck wachsender Fassungslosigkeit weidete, der von seinem Gesicht Besitz ergriff. Schließlich fuhr sie leise lachend fort: »Dieser junge Tempelritter, über den ihr euch offensichtlich trotz Bruder Dariusz’ Schweigegelübde die Mäuler zerrissen habt, bin ich.«
Rother wurde kreidebleich. »Du?!«
»Ich habe das Zelt mit ihm geteilt«, bestätigte Robin genüsslich, »und oft genug auch sein Gemach in der Burg seines Vaters. Salim und ich sind gute Freunde geworden.« Sie lachte laut auf, als sich der Ausdruck von Fassungslosigkeit auf Rothers Zügen in etwas verwandelte, das sie nur noch als blankes Entsetzen bezeichnen konnte, warnte sich aber zugleich selbst in Gedanken, den Bogen nicht zu überspannen.
»Und gerade deshalb kann ich dir eines versichern, Rother«, fuhr sie fort. »Salim ist ganz gewiss nicht dem männlichen Geschlecht zugetan. Ganz im Gegenteil.«
Rother fuhr sich nervös mit dem Handrücken über das Kinn. Das Gespräch wurde ihm immer peinlicher. Er wich ihrem Blick aus. »Ich ... glaube nicht, dass ich Einzelheiten hören will«, sagte er unbehaglich.
»Ich hatte auch nicht vor, sie vor dir auszubreiten«, antwortete Robin amüsiert. »Es sei denn, du bestehst darauf.«
Rother funkelte sie an, dann zwang er seinen Hengst mit einem schon fast brutalen Ruck am Zügel herum und ritt weiter. Robin sah ihm kopfschüttelnd und immer noch breit grinsend nach, und sie ließ ihm auch ganz bewusst zwanzig oder dreißig Schritte Vorsprung, ehe sie ihm folgte. Sosehr sie der kleine Zwischenfall - und vor allem Rothers Reaktion - auch amüsiert hatte, machten ihr die Worte des jungen Ritters doch klar, wie dünn das Eis war, auf dem sie sich bewegte. Rother hatte sich das nicht ausgedacht. Es gab diese Gerüchte, und sie kamen der Wahrheit näher, als ihr lieb sein konnte. Robin hatte bisher geglaubt, in Sinans Bergfestung nicht nur am Ende der Welt, sondern auch mehr oder weniger von ihr vergessen zu sein, aber es schien wohl doch eher weniger gewesen zu sein. So unterschiedlich sie auch sein mochten, in diesem Punkt unterschieden sich ihre Heimat und dieses fremde Land nicht sonderlich: Auch hier hatten Gerüchte Flügel, und sie wurden größer, je absurder die aufgestellten Behauptungen waren.
Eines aber verstand sie nun umso weniger: Ganz zweifellos mussten diese Gerüchte auch Bruder Dariusz zu Ohren gekommen sein. Warum hatte er nicht darauf reagiert? Bewiesen oder nicht, dieser Verdacht allein hätte ihm jeden Vorwand geliefert, sie in Ketten zu legen oder auch gleich zu töten. Das war etwas, was sie im Auge behalten - und worüber sie vor allem mit Salim reden - musste, sobald sie sich wiedersahen.
Salim ...
Ein Gefühl warmer Vorfreude begann sich in ihr auszubreiten, als sie an Salim dachte. Seit dieser Albtraum angefangen hatte, hatte sie ihn ganz bewusst aus ihren Gedanken verbannt, denn es gab keine größere Qual als enttäuschte Hoffnung, aber nun gab es keinen Grund mehr dafür. Bald, vielleicht in wenigen Stunden schon, würde sie ihn wiedersehen, und es war nicht nur die Erinnerung an seine starke Umarmung und seine sanften Küsse, die aus dem bloßen Gedanken an ihn ein ungeduldiges, warmes Kribbeln werden ließ, das sich langsam in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Selbst der Gedanke an Dariusz und das, was er möglicherweise (nein: bestimmt!) plante, vermochte sie nicht mehr zu erschrecken. Salim war hier, und er würde sie beschützen, vor Bruder Dariusz, vor diesen dummen Gerüchten, und wenn es sein musste, vor der ganzen Welt.
10. KAPITEL
Sie brauchten noch eine gute halbe Stunde, um den Fuß des Hügels und damit die Stadt zu erreichen. Schon von weitem drangen ihnen Lärm und ein aufgeregtes Durcheinander von Stimmen und Rufen entgegen, und der Weg hinauf zur eigentlichen Burg war gedrängt voll. Es gab schwerfällige Ochsenkarren, Esel, Kamele und Maultiere, die mit Vorräten, Zelten, Tonkrügen, Fässern und Kisten beladen waren und sich in einer schier endlosen Kolonne die grob gepflasterte Straße zur Festung hinaufquälten. Das Stimmengewirr wurde so laut, dass sie nicht einmal mehr dann mit Rother hätte reden können, wenn sie es gewollt hätte, und ein paar Mal wurden sie in dem Gewimmel aus Menschen, Tieren und hoch beladenen Fahrzeugen voneinander getrennt. Niemand nahm Notiz von ihnen. So auffällig ihre weißen Mäntel bisher gewesen waren, so normal war der Anblick bewaffneter christlicher Ritter hier offensichtlich. Beim Ritt durch die Siedlung bemerkte Robin, dass auf die meisten Häuser mit roter Farbe das Tatzenkreuz der Templer aufgemalt war. Sie gehörten dem Orden. Safet mochte als Sammelpunkt für die verschiedenen christlichen Heere dienen, aber diese Stadt stand ganz eindeutig unter dem Befehl der Templer. Die Häuser waren hellbraun verputzt, doch da, wo dieser Putz abbröckelte, sah man denselben Naturstein, aus dem auch die Burg gebaut war.
Vom Zeltlager her wehte Bratengeruch herüber, der Robin das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Ihr Magen knurrte hörbar und erinnerte sie daran, dass sie seit Tagen von nichts anderem als abgestandenem Wasser und schmalen Rationen lebte, die selbst ohne den anstrengenden Ritt kaum ausgereicht hätten, ihren Hunger zu stillen.
Eine hölzerne Brücke führte über einen Graben, der vor dem Burgtor in den nackten Fels geschlagen worden war. Hinter dem Fallgatter bog der Torweg scharf nach rechts ab, ein Anblick, der Robin auf schon fast unheimliche Art an den Zugang zu Sinans Bergfestung erinnerte. Der Weg führte parallel zum Burggraben wie ein Tunnel durch die meterdicke Mauer der Festung; ein gemauerter Tunnel, in dem nur trübes Zwielicht herrschte. Wie Speere aus Licht stachen einige Sonnenstrahlen durch das Dunkel. Sie fielen durch faustgroße Löcher hoch über ihnen in der gewölbten Decke, vermutlich Pechnasen, um Angreifer, die durch den Tunnel stürmten, mit siedendem Öl zu begießen. Der Hufschlag ihrer Pferde hallte laut im Tunnel wider, und nach der Hitze des Mittags war es hier drinnen angenehm kühl. Nach allem, was sie auf dem Weg hierher erlebt hatten, hätte sich Robin in dieser uneinnehmbar scheinenden Festung sicher fühlen müssen, aber das genaue Gegenteil war der Falclass="underline" Sie fühlte sich eingesperrt und gefangen, so sehr, dass sie das Gefühl hatte, kaum noch atmen zu können. Als Robins Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte sie Wächter in weißen Waffenröcken, die in den Nischen des Tunnels auf gemauerten Bänken kauerten. Die meisten schenkten den beiden Reitern mit den weißen Mänteln kaum Aufmerksamkeit, was sie im ersten Moment erleichterte; aber nur im wirklich allerersten Moment. Danach war sie erschüttert, wie leicht es in dieser Gewandung war, alle Wachen zu passieren und die Festung zu betreten.
Nach kaum dreißig Schritten machte der Tunnel eine scharfe Biegung und öffnete sich auf den Burghof. Das helle Tageslicht blendete Robin. Knechte eilten herbei, um ihr und Rother aus den Sätteln zu helfen und ihre Pferde zu versorgen, aber Robin sah im allerersten Moment nur verschwommene Schemen. Jemand sprach sie an, wandte sich dann aber mit einem wortlosen Achselzucken ab, als sie nicht antwortete, und Robin blinzelte ein paar Mal und fuhr sich schließlich mit dem Handrücken über die Augen, um die Tränen fortzuwischen. Sie spürte, wie sie dabei auch den Schmutz und Staub auf ihrem Gesicht noch weiter verschmierte, tröstete sich aber damit, dass der Unterschied wahrscheinlich kaum noch auffiel.