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Der Hof war voller Menschen. Gesinde, Männer in leinenen Bußgewändern und barfuss, Ritter und Turkopolen, Waffenknechte in Waffenröcken aller Farben. Auf der linken Seite des Hofes lagen die Stallungen. Eine breite Treppe führte hinauf zum östlichen Wehrgang. Genau gegenüber des Ausgangs aus dem Tortunnel lag eine kurze Treppe, die hinauf zum mit prächtigen Steinmetzarbeiten versehenen Torbogen des Hauptportals des Palas führte, dem Wohnbereich der Burg.

Besonders ins Auge sprang Robin jedoch eine Sänfte aus dunklem Holz, die mit scharlachroten Vorhängen verhängt war. Eine Gruppe junger, ausnehmend schöner Männer saß in der Nähe auf dem nackten Boden oder den Treppenstufen. Sie trugen Wämser, auf die das goldgelbe Kreuz des Königreichs Jerusalem gestickt war. Dicht bei der Sänfte standen Ritter in voller Montur - langes Kettenhemd, schwarzer Schild, schwarzer Waffenrock. Ihre Gesichter waren verdeckt durch ein feinmaschiges, ebenfalls schwarzes Kettengeflecht, das unter dem Nasenschutz ihrer normannischen Helme eingehakt war. Im allerersten Moment dachte Robin an Johanniter und wunderte sich ein wenig, diese Ordensritter inmitten einer Templerburg zu sehen. Dann bemerkte sie, dass die Ritter kein weißes Kreuz auf dem Waffenrock trugen, wie es bei den Johannitern üblich war. Auch schien sich niemand in die Nähe dieser schwarzen Ritter oder der Sänfte zu wagen. Knechte wie Ritter machten einen weiten Bogen um die Schwarzgewandeten, wenn ihr Weg sie über diesen Teil des Hofs führte.

Rother warf ihr einen warnenden Blick zu, auf den sie aber nur mit einem hilflosen Schulterzucken antworten konnte. Sie wusste nicht, wer diese Männer waren, aber ganz offensichtlich gefielen sie ihm ebenso wenig wie ihr. Rother wirkte weiter unschlüssig, während Robin ihr Unbehagen abschüttelte - schließlich waren sie hier in einer Ordensburg! - und den Fremden neugierig entgegenging, als der Vorderste plötzlich herumfuhr, mit einer hölzernen Rassel herumlärmte und mit heiserer Stimme »Unrein! Unrein!« rief.

Erschrocken zuckte Robin zurück. Die rechte Hand des Ritters war mit Verbänden umwickelt und wirkte unförmig, als wären die Finger unter dem schmutzigen Stoff deutlich dicker als die der anderen Hand oder als hätte er mehr Finger, als er haben sollte ... Seine Rassel war mit einer groben Schnur an der Hand festgebunden. Das Gesicht des schwarzen Ritters war nicht zu sehen, denn er trug einen Gesichtsschutz aus Kettengeflecht, der nur die Augen freiließ.

Eine Hand griff nach Robins Schulter. Sie wurde ruckartig zurückgezogen und hätte um ein Haar das Gleichgewicht verloren. Mit hastig rudernden Armen fand sie ihre Balance wieder, fuhr noch in der gleichen Bewegung heraus auf dem Absatz herum und wollte wütend auffahren, machte aber dann nur ein überraschtes Gesicht. Es war niemand anderer als Rother, der sie so unsanft zurückgerissen hatte. »Was ...?«

»Du solltest diesen Rittern besser nicht zu nahe kommen«, sagte Rother rasch. Er zog die Hand zurück; so hastig, als wäre es ihm unangenehm, sie berührt zu haben, und wich rasch um einen weiteren Schritt zurück.

»Was soll das?«, fragte Robin verärgert. »Wer sind diese Männer? Und wieso glauben sie, ich wäre unrein?«

Rother lächelte flüchtig. »Nicht du«, sagte er. »Sie sind unrein. Niemand darf ihnen nahe kommen. Sie wollten dich warnen.«

»Warnen?« Robin sah verwirrt über die Schulter zu dem Ritter in Schwarz zurück, der seinen Weg unbeeindruckt fortsetzte.

»Wovor?«

»Das sind Ritter vom Orden des Heiligen Lazarus«, antwortete Rother. »Du hast noch nie von ihnen gehört?« Robin verneinte, und Rother fuhr mit einer erklärenden Geste - und einem übertrieben geschauspielerten Schaudern und einer entsprechenden Grimasse - fort: »Sie alle haben die Lepra. Du darfst ihnen nicht nahe kommen. Alles, was sie berühren, wird unrein.«

Robin wollte antworten, doch in diesem Augenblick öffnete sich das hohe Tor des Palas. Eine Gruppe Männer kam die Treppe herab, angeführt von einer schlanken Gestalt in einem prachtvollen roten Waffenrock, den zwei Ritter vom Orden des Heiligen Lazarus stützen mussten.

»Wer ist das?«, fragte Robin stirnrunzelnd. »Noch ein leprakranker Ritter?«

»König Balduin«, flüsterte Rother. Seine Stimme bebte vor Ehrfurcht.

Robin fuhr überrascht zu ihm herum. Ihr Blick irrte unstet zwischen Rother und der ausgemergelten Gestalt zwischen den beiden Lazarusrittern hin und her. »König Balduin?«, wiederholte sie ungläubig. Diese Jammergestalt? Sie war trotz ihrer Überraschung klug genug, diese letzten beiden Worte nicht laut auszusprechen, aber irgendwie schien Rother sie trotzdem zu hören, denn aus seinem Gesicht wich auch noch das allerletzte bisschen Farbe, und in seinem Blick erschien ein Ausdruck puren Entsetzens. Er sagte kein Wort, aber er blickte Robin fast flehend an, nicht weiterzusprechen. Als Robin sich wieder zur Treppe umwandte, sah sie aus den Augenwinkeln, wie sich Rother auf das linke Knie hinabsinken ließ und demütig das Haupt senkte; und nicht nur er. Rasch und so gut wie lautlos sank - mit Ausnahme der Ritter in den schwarzen Rüstungen - jedermann auf dem Hof auf die Knie, bis sie selbst praktisch die Einzige war, die noch aufrecht stand.

Hastig holte sie ihr Versäumnis nach, aber möglicherweise doch nicht schnell genug, denn nicht nur Rother starrte sie weiter beinahe verzweifelt an. Hier und da drehte sich ein Kopf in ihre Richtung. Stirnen wurden strafend gerunzelt, und Robin glaubte die missbilligenden Blicke, die sie in den Rücken trafen, beinahe körperlich zu spüren. Und das Schlimmste war, dass auch die ausgemergelte Gestalt in dem roten Wappenrock den Kopf drehte und kurz in ihre Richtung sah. Ihr Gesicht war durch einen Schleier verhüllt, sodass Robin nur einen schmalen Streifen seiner Stirn erkennen konnte, die blass wie Marmor war. Dennoch glaubte sie seinen Blick durch den feinmaschigen Stoff des Schleiers hindurch zu spüren, und für einen winzigen Moment war sie vollkommen sicher, dass Balduin seinen Weg unterbrechen und sie ansprechen würde. Aber der König ging an ihr vorüber, ohne auch nur im Schritt zu stocken, und Robin schalt sich in Gedanken eine Närrin. Sie nahm sich eindeutig zu wichtig. Für den König war sie nur ein Ritter unter Dutzenden hier auf dem Hof, wenn nicht Hunderten. Warum sollte er sie ansprechen?

Der König und seine beiden Begleiter waren nicht allein aus dem Haus gekommen. In einigem Abstand folgten ihnen eine Gruppe weltlicher Ritter in bunten Waffenröcken sowie einige Templer in vollem Ordensornat, bei deren Anblick Robins Herz unwillkürlich schneller zu schlagen begann.

Rother nickte verstohlen in Richtung des vordersten Templers, eines hoch gewachsenen Mannes mit asketischem, fast schon ausgezehrt wirkendem Gesicht, dessen schwarzes Haar an den Schläfen bereits grau zu werden begann. »Odo von Saint-Amand«, flüsterte er. »Unser Großmeister. Und der grimmig Blickende hinter ihm ist Gerhard von Ridefort, der Ordensmarschall.«

Also hatte Dariusz nicht übertrieben, dachte Robin. Ganz offensichtlich war die gesamte Führungsspitze des Ordens hier zusammengekommen; und wohl nicht nur des Templerordens.

Ein Ritter im gelben Waffenrock, dessen Wappen eine zersprengte Kerkerkette zeigte, lachte schallend auf, als hätte er ihre Verblüffung bemerkt und amüsiere sich köstlich darüber. Was natürlich der pure Unsinn war. Robin saß mittlerweile wie alle anderen auf ein Knie herabgesunken und mit gesenktem Haupt da und beobachtete ihn und die anderen Ritter verstohlen aus den Augenwinkeln. Dennoch fiel ihr auf, wie sehr sich dieser Ritter von den meisten Männern hier unterschied. Nahezu alle anderen Gesichter (einschließlich ihres eigenen, wie sie vermutete) waren verhärmt und ausgezehrt, von den Spuren überstandener Strapazen gezeichnet oder vernarbt. Sie sah nirgendwo ein Lächeln oder auch nur einen Ausdruck wirklicher Zuversicht - außer auf dem Gesicht dieses Mannes. Es war nicht nur sein Lachen, das auf dem plötzlich so still gewordenen Burghof ungewohnt und beinahe störend wirkte. Er selbst strahlte eine Zuversicht und Kraft aus, die Robin selbst über die Entfernung hinweg spürte.