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Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte Horace: »Ich beginne mich zu fragen, ob du nicht vielleicht zu lange Zeit bei den Assassinen verbracht hast.«

Robin zuckte die Achseln. »Ihr wolltet meine Einschätzung hören, Bruder Horace. Ich kann Euch nicht mehr sagen als das, was ich gesehen habe. Wenn Sheik Sinan etwas zutiefst verabscheut, dann ist es die Willkür des Starken dem Schwächeren gegenüber.«

Das war ganz und gar nicht das, was Horace hatte hören wollen, das sah sie ihm an, aber Robin war es leid zu lügen, ganz davon abgesehen, dass es ihr vermutlich nichts genutzt hätte. In einem gewissen Sinne schien Horace tatsächlich ihre Gedanken zu lesen.

»Gottes Wege sind wahrlich sonderbar«, seufzte der Tempelritter schließlich. »Als wir hörten, dass Dariusz dich ausfindig gemacht hat und zusammen mit dir auf dem Weg hierher ist, waren wir in großer Sorge. Und doch scheint es mir, dass unser gütiger Herr den richtigen Moment erwählt hat, dich zu uns zurückzubringen.«

»In Sorge?«, fragte Robin. »Weshalb?«

Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Komturs. »Du hast vorhin gefragt, warum sich keiner von uns bei dir gemeldet oder wir dir nicht wenigstens eine Nachricht gesandt haben. Ich will dir deine Frage beantworten: Wir hielten es nicht für nötig. Gott hat dich damals in Abbés Komturei gesandt, um uns alle vor einer großen Gefahr zu warnen, und er hat dich auf Raschids Burg geschickt, solange du dort sicher warst. Aber das bist du nun nicht mehr.«

»Wieso?«, erkundigte sich Robin alarmiert. »Gibt es denn nicht ein Bündnis zwischen den Assassinen und uns?«

Horace nickte, schüttelte aber gleich darauf den Kopf. Sein Zeigefinger fuhr fort, kleine, unregelmäßige Kreise auf die Tischplatte zu zeichnen. »Der Einfluss des Ordens ist leider nicht so groß, wie es gut wäre, und auch nicht so groß, wie manche von uns glauben. Jerusalem missbilligt unser Bündnis mit den Assassinen schon seit langem, und es gibt auch innerhalb des Ordens mehr als eine Stimme, die dagegen ist, dass sich Gottes Krieger mit dem Herrn der Diebe und Meuchelmörder einlassen.« Robin wollte protestieren, doch Horace hatte dies offensichtlich vorausgesehen und hob abwehrend die Hand, noch bevor sie überhaupt etwas sagen konnte. »Das sind nicht meine Worte, Kind. Ich kenne Raschid. Ich weiß, dass er ganz genau der Mann ist, als den du ihn mir gerade geschildert hast. Doch meine Stimme allein zählt nicht. Nein.« Er seufzte tief. »Ich fürchte, ganz gleich, ob nun Saladin obsiegt oder unsere Truppen triumphieren - wer immer die Vormacht in Galiläa und den Ebenen bis Damaskus erringt, der wird als Nächstes die Assassinen vertreiben.«

»Aber ... warum?«, murmelte Robin hilflos.

»Vielleicht gerade weil Raschid Sinan der Mann ist, als den du ihn kennen gelernt hast. Wir leben in schlimmen Zeiten, mein Kind. Und schlimme Zeiten sind schlechte Zeiten für aufrechte Männer.«

»Und was ... bedeutet das?«, fragte Robin leise. Ihr Herz begann zu klopfen.

Bevor Horace antworten konnte, drang ein helles Glockengeläut durch das schmale Fenster herein, und er erhob sich mit einem Ruck und so schnell, als hätte er nur auf dieses Zeichen gewartet, um nicht antworten zu müssen. »Kommt mit mir, Bruder«, sagte er, mit sonderbarer Betonung und einem angedeuteten Lächeln. »Die Stunde des mittäglichen Gebetes ist gekommen. Die Zeit, dem Herrn für all das zu danken, was er uns in seinem Land so überreich beschert.«

Robin fragte sich, wie Horace diese Worte wohl meinte. Eigentlich war er kein Mann, der Andeutungen oder Ironie schätzte, doch in diesem Moment war sie sich dessen ganz und gar nicht mehr sicher.

11. KAPITEL

Goldenes Licht stach in langen Strahlen durch die schmalen Fenster des Refektoriums der Burg herab, in dem sich die Tempelritter zum Mittagsmahl versammelt hatten. Robin fühlte sich unbehaglich. Ihr Magen knurrte hörbar, und angestachelt durch den intensiven Essensgeruch, der in der Luft lag, und unter dem allgegenwärtigen Hunger, der in ihren Eingeweiden wühlte und den weder der Duft nach gebratenem Fleisch noch der Geruch von gedünstetem Gemüse und frischem Käse, der übermäßig in der Luft lag, zu besänftigen vermochten, begann eine andere, Robin auf höchst unwillkommene Art bekannte Übelkeit zu rumoren. Während der letzten zwei oder drei Tage hatte sie dieses Gefühl fast vergessen, und sie hatte schon Hoffnung geschöpft, es wäre ganz vorbei; aber offensichtlich zu früh. Während Robin auf den freigebliebenen Stuhl direkt neben Horaces Platz zuging, den der Komtur ihr angewiesen hatte, versuchte sie, möglichst tief und ruhig zu atmen, um ihre revoltierenden Eingeweide zu beruhigen. Sie fühlte sich in Gegenwart all dieser hochrangigen Tempelritter und Fürsten ohnehin unwohl, und sie spürte durchaus die Gefahr, dass sich ihre Übelkeit bis zum Erbrechen steigern könnte. Auch wenn ihr allein der Essensgeruch in der Luft das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ, so nahm sie sich doch vor, nur sehr wenig zu essen, und auch das nur mit äußerster Vorsicht. Die Vorstellung, sich auf die Füße des Komturs von Safet zu erbrechen - wenn nicht gleich in den Schoß des Großmeisters -, war nicht besonders erbaulich.

Horace, der ganz offensichtlich um ihr Gedächtnis besorgt zu sein schien, denn er hatte ihr auf dem Weg von der Kapelle hier herauf noch einmal in aller Nachdrücklichkeit eingeschärft, sich streng an die Ordensregel zu halten und kein Wort zu reden, es sei denn, sie würde direkt von einem höherrangigen Ritter angesprochen, sprach ein kurzes Gebet und gab ihr dann mit einem verstohlenen Nicken zu verstehen, dass sie Platz nehmen solle. Für einen Moment wich die fast atemlose Stille in dem großen Speisesaal einem hektischen Stühlerücken und Scharren, als die gut siebzig Ritter, die hier zusammengekommen waren, Platz nahmen. Robin sah sich unauffällig um, und ihr Unbehagen wuchs noch weiter, als sie feststellte, dass es tatsächlich ausnahmslos Ritter waren, keine Waffenknechte oder Knappen.

An der Spitze der langen Tafel, nur zwei Stühle links von Horace und drei von ihr, saß Odo von Saint-Amand, der Großmeister des Ordens, den sie schon vorhin unten im Hof gesehen hatte. Zu seiner Rechten hatte Ridefort Platz genommen, der Ordensmarschall, und auch die übrigen Stühle an diesem Ende des Tisches waren mit Edelleuten besetzt, deren Namen ihr Horace zugeraunt hatte, als sie hereingekommen waren. Robin war viel zu aufgeregt gewesen, um sich auch nur einen davon zu merken, und ihre Aufregung legte sich keineswegs, sondern wurde nur noch stärker, als sie den Blick des Großmeisters für einen kurzen Moment auf sich spürte. Hastig, aber nicht so schnell, dass es wie ein Zeichen von schlechtem Gewissen aussah, senkte sie den Kopf und begann die Lippen zu bewegen, als flüsterte sie ein lautloses Gebet. Sie wusste nicht, ob sie damit Odos Wohlgefallen errang, wohl aber, dass nicht einmal der Großmeister des Templerordens es wagen würde, einen seiner Brüder zu unterbrechen, während er in stummem Zwiegespräch mit Gott versunken war.

»Lasset uns beten«, sagte Horace. Robin faltete die Hände über der Tischplatte und senkte das Haupt noch ein wenig weiter, und auch die anderen Ritter taten es ihr nach. Für eine geraume Weile war nichts anderes zu hören als das gedämpfte Murmeln aus dreißig Kehlen, die die vorgeschriebenen sechzig Vaterunser - dreimal zehn für die lebenden Ordensbrüder und noch einmal so viele für die toten - aufsagten, und kaum war das letzte Wort verklungen, da gingen die Türen auf, und Bedienstete in einfachen braunen Kutten begannen das Essen aufzutragen. Robins Eingeweide revoltierten noch heftiger, und sie spürte, wie sich saurer Speichel unter ihrer Zunge zu sammeln begann. Sie schluckte ihn herunter, machte es damit aber nur noch schlimmer. Und als wäre das allein noch nicht genug, knurrte ihr Magen nun so laut, dass nicht nur Horace ihr einen missbilligenden Blick zuwarf, sondern auch Odo selbst den Kopf wandte und sie stirnrunzelnd und eindeutig länger musterte, als ihr lieb war. Robin versuchte beharrlich, weiter so zu tun, als bemerke sie seine Blicke nicht, aber sie spürte auch selbst, von wie wenig Erfolg dieser Versuch gekrönt war.