Выбрать главу

Robin riss sich mit einiger Mühe vom Anblick des jungen Tempelritters los und ließ ihren Blick über die Gesichter der anderen Männer beiderseits der langen Tafel schweifen. Einige von ihnen kannte sie - es waren Männer, die sie unten im Burghof oder auf dem Weg hierher getroffen hatte -, die meisten aber waren ihr fremd, und das eine Gesicht, nach dem sie suchte, war nicht dabei. Bruder Horace hatte ihr gesagt, dass sich Abbé ebenfalls hier auf Safet aufhielt, und er hatte auch gesagt, dass sich alle anwesenden Tempelritter zu diesem gemeinsamen Mittagsmahl versammelt hatten. Wo also war er?

Sie wagte es nicht, nach ihm zu fragen, aber ihre suchenden Blicke blieben weder Horace noch Odo oder dem Ordensmarschall verborgen. Ridefort verzog abfällig die Lippen, während Horace ihr fast verzweifelt etwas mit Blicken zu signalisieren versuchte, was sie nicht verstand. Sie fühlte sich in die Enge getrieben, so hilf- und wehrlos wie eine Spielfigur auf dem Schachbrett, die weder weiß, wie der nächste Zug des Spiels ausfallen würde, noch in der Lage war, ihn irgendwie zu beeinflussen.

Ein einzelner Ritter stand auf und ging zu einem niedrigen Schreibpult, auf dem eine aufgeschlagene Bibel lag, und begann daraus zu lesen.

»Seht, der Tag des Herrn kommt, voll Grausamkeit, Grimm und glühendem Zorn«, begann er mit ruhiger, aber sonderbar durchdringender Stimme, »und er wird die Erde zur Wüste machen und die Sünder von ihrem Antlitz tilgen. Und ich werde auf der Erde die Bosheit heimsuchen und über die Gottlosen Gericht halten.«

»Das Buch Jesaja«, sagte Odo und nickte Horace anerkennend zu. »Eine gute Wahl, Bruder Horace. Ich bin sicher, dass die Heiden, die ins Königreich gekommen sind, um zu plündern, schon nur allzu bald zerschmettert sein werden, so wie zu Jesajas Zeiten Babylon durch Gottes Willen ein schreckliches Strafgericht fand.«

»Und wer schuldig gefunden wird, soll durchbohrt werden, und wer flüchtig ergriffen wird, soll durchbohrt werden«, fuhr der Ritter fort. »Vor ihren Augen werden ihre Kinder zerschmettert, ihre Häuser geplündert, ihre Frauen geschändet. Wilde Hunde werden in ihren Palästen heulen und Schakale in den Schlössern der Lust. Und seine Zeit steht nahe bevor, und nicht verlängert sollen seine Tage sein.«

Horace reagierte nicht auf die Worte des Großmeisters, sondern machte im Gegenteil keinen Hehl aus seiner Missbilligung darüber, dass Odo das von ihm selbst aufgestellte Schweigegelübde weiter so beharrlich missachtete. Schließlich gab es der Großmeister auf und konzentrierte sich wieder ganz auf seine Mahlzeit, doch an seiner Stelle ergriff Ridefort das Wort.

»Sagt, Bruder Horace, wo ist Bruder Abbé?« Sein Blick streifte Robin, und das abfällige Glitzern darin nahm eine andere, beunruhigende Qualität an. »Ich hätte erwartet, dass er herbeieilt, um das Mysterium von Bruder Robins wundersamer Errettung mit uns zu feiern.«

Deutlicher, dachte Robin, ging es wohl kaum noch. Sie war selbst ein wenig erstaunt, wie gut es ihr gelang, ihr Erschrecken über die Worte des Marschalls zu verbergen, doch Horace reagierte eindeutig nervös. Einen Moment lang sah er Ridefort beinahe hilflos an, bevor er sich in ein noch viel hilfloseres Lächeln rettete.

»Zweifellos wäre er gerne hier, um Bruder Robin willkommen zu heißen«, antwortete er. »Doch er führt einen Trupp Späher an, um die Plünderer zu verfolgen, auf die Dariusz gestoßen ist. Sie versuchen ihr Hauptlager aufzuspüren. Wir können es Männern wie ihnen nicht erlauben, ihr Unwesen direkt vor unserer Haustür zu treiben. Wie können wir erwarten, dass die Menschen sich in diesem Land zum wahren Glauben bekennen, wenn wir sie nicht einmal vor ein paar dahergelaufenen Banditen beschützen können?«

Ridefort entging der kaum verhohlene Tadel in diesen Worten keineswegs. In seinen Augen blitzte es wütend auf, und seine Lippen wurden für einen Moment zu einem dünnen, blutleeren Strich. Mit einem wütend-herausfordernden Blick wandte er sich an den neben ihm sitzenden Odo, erntete aber nur ein spöttisches Lächeln. »Ja, da mögt Ihr wohl Recht haben, Horace«, antwortete er daraufhin mit geheuchelter Höflichkeit, »und doch frage ich mich, ob das wirklich eine Aufgabe für einen Mann wie Abbé ist.«

»Zweifelt Ihr an Abbés Mut, Bruder?«, erkundigte sich Horace.

»Nein«, antwortete Ridefort. »Jeder hier weiß, dass Bruder Abbé einer der Tapfersten von uns ist. Doch er ist kein junger Mann mehr, und ich frage mich, ob sein unbestritten scharfer Verstand für uns hier in Safet nicht von weit größerem Nutzen ist, als sein Schwert im Kampf gegen ein paar Wegelagerer.«

»Warum stellt Ihr ihm diese Frage nicht selbst, sobald er zurück ist?«, fragte Horace kühl.

Ridefort wollte auffahren, aber Odo brachte ihn mit einer raschen Handbewegung zum Schweigen. Statt sich an einen der beiden Kampfhähne zu wenden, suchte sein Blick den Robins.

»Du kennst Bruder Abbé von uns allen vielleicht am besten, Robin«, sagte er. »Immerhin hast du mehr Zeit mit ihm verbracht als irgendein anderer hier im Raum. Glaubst du auch, er wäre zu alt, um es mit einer Räuberbande aufzunehmen?«

»Es ist ... lange her, dass ich Bruder Abbé das letzte Mal gesehen habe«, erwiderte Robin ausweichend. Sie versuchte, in Odos Augen zu lesen, um herauszufinden, was er von ihr erwartete - ob er einfach nur neugierig war oder von ihr erwartete, Partei für Horace auf der einen oder Ridefort auf der anderen Seite zu ergreifen. Schließlich spürte sie selbst, dass ihr Schweigen zu lange wahrte, und fuhr mit einem unschlüssig wirkenden Achselzucken fort. »Ich war fast noch ein Kind, als ich ihn das erste Mal gesehen habe. Damals hat er mich beeindruckt.«

»Damals?«, hakte Ridefort nach.

»Ebenso wie später«, sagte Robin. Sie wich dem Blick des Marschalls aus und sah stattdessen dem Großmeister fest in die Augen. »Ich habe fast alles, was ich weiß, von Bruder Abbé gelernt. Er mag ein alter Mann sein im Vergleich mit Euch, aber er schwingt das Schwert besser als so mancher halb so alte Mann, den ich getroffen habe. Als die Piraten die Sankt Christophorus angegriffen haben, ist mehr als einer von ihnen unter seiner Klinge gefallen.«

Ridefort funkelte sie eindeutig feindselig an, doch bei Odo - und zu ihrer Überraschung auch Horace - war es ihr unmöglich zu entscheiden, ob sie ihre Worte billigten oder vielleicht eher das Gegenteil zu hören erwartet hatten. Schließlich hob sie abermals die Schultern und schloss: »Das ist alles, was ich Euch sagen kann.«

»Und du, Bruder?«, fragte Odo.

»Ich?«, murmelte Robin verstört. »Was ... meint Ihr?«

Odo lächelte dünn. »Nun, immerhin warst du fast zwei Jahre lang des Sheik Sinans Gast. Man erzählt sich ja wahre Wunderdinge von seinen Assassinen.«

»Es heißt, sie könnten sich selbst im hellen Sonnenlicht lautlos und unsichtbar wie die Schatten bewegen«, pflichtete ihm Ridefort mit einem Nicken bei. Auch er sah Robin an, doch wo der Blick des Großmeisters einfach nur neugierig war, meinte Robin in seinen Augen etwas Lauerndes zu bemerken, als warte er nur darauf, dass sie die falsche Antwort gab.

»Davon weiß ich nichts«, sagte sie ausweichend. »Wie Ihr selbst gesagt habt, Bruder - ihre herausragendste Eigenschaft ist es wohl, sich unsichtbar zu machen. Ich habe jedenfalls nur sehr wenige von ihnen zu Gesicht bekommen.«

Ridefort japste hörbar nach Luft, und sie bemerkte aus den Augenwinkeln, wie auch Horaces Gesicht jede Farbe verlor. Erst da wurde ihr klar, welche Antwort sie dem zweitwichtigsten Mann des Templerordens gerade gegeben hatte. Sie erschrak so tief, dass ihre Hände zu zittern begannen. Für einen einzelnen, aber schier endlosen Moment schien die Zeit anzuhalten ... und dann begann Odo schallend zu lachen.