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Horace sah für einen Moment regelrecht konsterniert aus, und auch überall am Tisch hoben sich Köpfe, blickten Gesichter fragend in ihre Richtung, erschien ein bestürzter Ausdruck auf dem einen oder anderen Antlitz oder auch ein unverhohlen missbilligendes Stirnrunzeln. Nichts von alledem schien Odo zu irritieren. Er lachte nur noch lauter, warf schließlich den Kopf in den Nacken und schlug dem neben ihm sitzenden Marschall die flache Hand zwischen die Schultern. Ridefort sah für einen Moment aus, als hätte ihn nicht nur im wortwörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinne der Schlag getroffen. Er sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, und was Robin für einen halben Herzschlag in seinen Augen las, das war nichts anderes als blanke Mordlust. Dann aber zwang er sich zu einem gequälten Lächeln.

»Nun, ich glaube, das habt Ihr Euch redlich verdient, Bruder«, sagte der Großmeister, immer noch leise lachend und mit einem Blick in Robins Richtung. »Was habt Ihr erwartet von einem jungen Ritter wie Bruder Robin? Dass er seinen Lehrmeister einen Schwächling und alten Mann nennt?«

»Wohl kaum«, gestand Ridefort. Sein Lächeln wirkte immer noch verkrampft. Robin empfand plötzlich den intensiven Wunsch, auf die Größe einer Maus zusammenzuschrumpfen, um sich irgendwo in einer Fußbodenritze verstecken zu können, und sie sah auch Horace an, dass er sich in diesem Moment weit, weit weg wünschte.

»So Gott will«, sagte Horace mit einem angedeuteten, nervösen Lächeln in Odos Richtung, »wird Bruder Abbé schon sehr bald Gelegenheit haben, uns seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.«

»Und das vielleicht eher, als Ihr jetzt noch glaubt«, fügte Ridefort hinzu. Horace sah ihn mit einem Ausdruck leiser Verwirrung an, und Ridefort fuhr fort: »Mit ein wenig Glück - und Gottes Hilfe - werden die letzten Truppen schon morgen hier eintreffen. Der Moment, in dem wir Saladin stellen, ist nicht mehr fern.«

Unbeschadet dessen, was er noch vor einem Atemzug selbst gesagt hatte, wirkte Horace nicht unbedingt begeistert. »So schnell?«, fragte er. »Sind die Truppen denn bereit für die Schlacht?«

»So bereit, wie sie nur sein können«, erwiderte Ridefort großspurig. »Dieses Heidenpack wird dem Schwert der Christenheit nicht widerstehen.«

»Dieses ... Heidenpack«, erwiderte Horace vorsichtig, »ist uns zahlenmäßig immer noch weit überlegen.« Er warf Odo einen Beifall heischenden Blick zu, doch der Großmeister des Templerordens schüttelte nur heftig den Kopf.

»Wir stehen nicht Saladins gesamtem Heer gegenüber ...«, begann er. »... was auch keinen Unterschied machen würde«, fügte Ridefort hinzu, und Odo fuhr ungerührt fort: »... sondern weniger als der Hälfte seiner Truppen. Unsere Späher berichten, dass er sein Heer geteilt hat. Saladin selbst hat sich mit dem Hauptteil seiner Truppen nach Damaskus zurückgezogen. Sein Neffe Faruk-Schah führt den Rest des Heeres an - eine Bande von Tagedieben und Mördern, die Überfälle auf die Herden und Dörfer zwischen Sidon und Beirut ausführen, weil sie zu feige sind, sich zum offenen Kampf zu stellen.« Er lächelte abfällig.

»Auch wenn ich Bruder Rideforts Meinung nicht immer teile, was die Schwäche der Muselmanen angeht, so muss ich ihm in diesem Falle doch beipflichten. Gott hat es so eingerichtet, dass wir Saladin im Moment überlegen sind, sowohl an Zahl als auch an Entschlossenheit.«

Horace wirkte zögerlich. »Das Gelände ist ungünstig«, gab er zu bedenken. »In diesem bewaldeten Bergland ist es leicht, eine Falle zu stellen.« Er machte eine Kopfbewegung auf Robin. »Vergesst nicht, was Bruder Dariusz und den Seinen passiert ist.«

»Einem Dutzend Ritter!«, sagte Ridefort. »Keinem Heer.«

»Einem Dutzend unserer Besten. Vielleicht sollten wir Gott danken, dass es nur ein Dutzend Ritter war, und es als Warnung betrachten«, beharrte Horace. »Es könnte sich wiederholen, nur in weit größerem Maßstab. Was einer Hand voll Plünderern einfällt, das kann einem Mann wie Saladin erst recht in den Sinn kommen. Das Gebirge ist kein guter Platz, um die Überlegenheit der schweren Reiterei auszuspielen.«

Robin folgte dem Gespräch mit einer Mischung aus Unbehagen und morbider Faszination. Die Erinnerung an die Katastrophe, der sie um Haaresbreite entgangen waren, war noch zu frisch in ihr, als dass ihr die Aussicht, in eine offene Feldschlacht zu ziehen, irgendetwas anderes als blanke Furcht einjagen konnte - und zugleich empfand sie eine sonderbare Erregung bei genau diesem Gedanken. Auch wenn sie selbst nicht wirklich verstand, warum. Sie wünschte sich, das Essen wäre bald vorbei.

Horace und der Großmeister debattierten noch eine Weile weiter über die bevorstehende Schlacht und ihre unterschiedlichen Auffassungen über die besten Strategien, doch Robin hörte nicht mehr wirklich hin. Ihre eigene Situation kam ihr immer unwirklicher vor - saß sie, ein einfaches Mädchen aus Friesland, dem das Leben als einzig Außergewöhnliches einen fremdartigen Namen mitgegeben hatte, den Namen eines Vaters noch dazu, den sie niemals in ihrem Leben kennen gelernt hatte, tatsächlich hier, in einem Land am anderen Ende der Welt, zusammen mit den wichtigsten Männern der Christenheit und unterhielt sich mit ihnen fast wie mit Gleichgestellten? Und als wäre das noch nicht genug, hatte sie soeben den Marschall des Templerordens beleidigt, und vermutlich hatte sie diese Beleidigung aus dem einzigen Grund nicht sofort mit dem Leben bezahlt, weil sich der einzige noch mächtigere Mann im Raum über den unübersehbaren Ärger amüsierte, den Ridefort über ihre Worte empfand.

»Bruder Robin?«

Robin fuhr erschrocken zusammen, als der Klang von Odos Stimme in ihre Gedanken drang, hob rasch den Kopf und erschrak dann noch einmal und deutlich heftiger, als sie Odos Blick begegnete und ihr der Ausdruck in seinen Augen klar machte, dass er sie nicht zum ersten Mal angesprochen hatte.

»Bruder ... Odo?«, fragte sie nervös. Sie bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Horace die Augen verdrehte und plötzlich so aussah, als wollte er am liebsten im Boden versinken, doch das amüsierte Glitzern in Odos Augen nahm eher noch zu. Nach allem, was sie bisher über den Großmeister des Templerordens gehört hatte, hätte sie eine solche Reaktion von ihm als Allerletzten erwartet, aber Odo schien an diesem Tag in ganz besonders großzügiger Stimmung zu sein.

»Zweifellos warst du gerade in stummer Zwiesprache mit Gott«, sagte er amüsiert. »Ich habe gefragt, ob du es warst, den Bruder Abbé damals in seiner Komturei auf den Spion des Alten vom Berge angesetzt hat.«

Einen Herzschlag lang sah Robin den schmalgesichtigen Ritter nur mit einem Ausdruck vollkommener Verständnislosigkeit an. Sie war so sehr in ihre Gedanken versunken gewesen, dass sie sich fühlte, als erwache sie aus einem tiefen, von Albträumen heimgesuchten Schlaf, und es ihr im ersten Moment vollkommen unmöglich war, diesen Worten irgendeinen Sinn abzugewinnen. »Sein ... Spion?«

»Sein Name war Saled«, fügte Ridefort hinzu.

»Salim«, berichtigte ihn Horace, betont beiläufig, zugleich aber auch mit einem raschen, beinahe beschwörenden Blick in Robins Richtung. »Ja, das ist richtig. Bruder Abbé hat Robin damals den vermeintlichen Sklaven als Leibdiener und Knappen zugewiesen.« Er lächelte dünn. »Wie ich das alte Schlitzohr kenne, wird er heute behaupten, schon damals gewusst zu haben, dass dieser Heide in Sinans Auftrag gekommen ist, uns auszuspionieren. Aber wenn Ihr mich fragt, war es wohl reiner Zufall.«

»Vermutlich«, sagte Odo nickend.

»Oder Gottes Fügung«, fügte Ridefort hinzu. Seine Stimme nahm wieder jenen lauernden Ton an, der Robin schon mehrmals darin aufgefallen war. »Wisst Ihr, wo sich der Heidenhund heute aufhält?«

»In einem Zelt weniger als eine Stunde von hier«, sagte Horace. Nicht nur Ridefort sah ihn überrascht an, sondern auch Odo wandte mit einem Ruck den Kopf und runzelte fragend die Stirn, und Robin fuhr so heftig zusammen, dass sie um ein Haar ihren Trinkbecher umgeworfen hätte. Salim war also tatsächlich hier!