»Dieser Spion besitzt die Dreistigkeit ...«, begann Ridefort.
»Dieser Spion«, unterbrach ihn Horace betont, »ist als offizieller Vertreter Raschid Sinans hier - unseres Verbündeten.«
»Der in der Wahl seiner Botschafter vielleicht etwas sorgfältiger sein sollte«, sagte Ridefort.
Horace hob die Schultern. »Vielleicht. Unglückseligerweise ist dieser Salim Sinans Sohn - jedenfalls ist es mir so zu Ohren gekommen.«
»Sein Sohn?«, fragte Odo. Wieso sah er Robin dabei an?
Ridefort schnaubte. »Der Bastard eines Heidenfürsten, der durch Mord und Intrigen an die Macht gekommen ist«, sagte er abfällig, »Vermutlich hat er fünfzig Söhne. Oder hundert.«
»Salim«, sagte Odo noch einmal. Er klang nachdenklich, und sein Blick, der weiterhin beharrlich auf Robins Gesicht lastete, wurde noch nachdenklicher. »Ich habe eine Geschichte gehört, über diesen ... Salim. Es heißt, er hätte eine Christenfrau geheiratet. Weißt du etwas darüber, Bruder Robin? Es heißt, es hätte in Sinans Felsennest Masyaf ein großes Fest gegeben, zu dem auch ein Bruder unseres Ordens geladen war. Als Ehrengast, wie man mir berichtet hat.«
Robin war am Rande der Panik. Was sollte sie sagen? Sie konnte Odo die Antwort auf seine Frage nicht einfach schuldig bleiben, aber sie hatte zugleich das schreckliche Gefühl, dass sich einfach alles, was sie sagen konnte, gegen sie wenden würde. Wussten die beiden Templer um ihre wahre Identität und spielten nur ein grausames Spiel mit ihr?
»Davon ... weiß ich nichts«, antwortete sie ausweichend. »Ich habe davon gehört, dass es ein großes Fest gegeben haben soll, aber ich selbst ...« Sie schwieg einen Moment. Ihre Gedanken überschlugen sich. »Vielleicht war es in der Zeit, in der ich krank war.«
»Krank?«, fragte Ridefort misstrauisch. »Davon hat uns niemand etwas gesagt.«
»Es war nicht der Rede wert«, erwiderte Robin rasch. Sie sah den Marschall nicht an. »Ich wurde verletzt, als die Assassinen die Sklavenkarawane angegriffen haben, und musste mehrere Wochen das Bett hüten.«
»Aber du hast Salims Frau gesehen«, beharrte Ridefort. »Du musst wissen, ob sie eine Christin ist.«
»Ich habe sie gesehen«, bestätigte Robin, während sie sich zugleich beinahe selbst für diese Worte verfluchte. Horace warf ihr mittlerweile fast verzweifelte Blicke zu, und damit hatte er nur zu Recht. Sie lief mit jedem Wort größere Gefahr, sich in Widersprüche und Ungereimtheiten zu verstricken. Ob sie Gerhard von Ridefort nun mochte oder nicht, eines war er ganz gewiss nicht: ein Dummkopf. Noch ein paar geschickte Fragen - und ein paar etwas weniger geschickte Antworten von ihr -, und er würde zwei und zwei zusammenzählen und zum richtigen Ergebnis kommen.
Falls das nicht schon längst geschehen war.
»Und?«, fragte Odo. »Ist es wahr? Ist sie eine Christin?«
»Und eine ausgesprochen hübsche dazu?«, fügte Ridefort hinzu.
Robin ignorierte ihn. »Das weiß ich nicht«, erwiderte sie, an Odo gewandt und mit leiser, aber fester Stimme. »Ich habe ihr Gesicht nie gesehen.«
»Ihr kennt die Sitten dieser Heiden«, sagte Horace rasch. »Sie verhüllen die Gesichter ihrer Frauen. Wahrscheinlich hätte es Robin das Leben gekostet, hätte er ihr Gesicht gesehen.«
Rideforts Züge verhärteten sich. »Dennoch muss er ...«
»Dennoch«, fiel ihm Horace betont ins Wort, »sollten wir das Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt fortführen, und an einem anderen Ort. Und vielleicht zusammen mit Bruder Abbé.«
Robin hielt die Luft an. Es war nicht das, was Horace gesagt hatte, sondern die Art, wie er es gesagt hatte. Wenn Robin jemals so etwas wie einen scharfen Verweis gehört hatte, dann jetzt. Rideforts Miene verdüsterte sich noch weiter, aber auch jetzt war es wieder der Großmeister, der zu Robins Überraschung Horaces Partei ergriff.
»Bruder Horace hat Recht«, sagte er. »Wie können wir von unseren Brüdern erwarten, dass sie sich an unsere Regeln halten, wenn wir selbst nicht mit gutem Beispiel vorangehen?« Er nickte in Horaces Richtung. »Ich danke Euch, Bruder Horace, dass Ihr uns auf unseren Fehler aufmerksam macht.« Er faltete die Hände über der Tischplatte. »Lasset uns beten und Gott für alles danken, was er uns in seiner unermesslichen Güte zuteil werden lässt.«
12. KAPITEL
Sie erwachte schweißgebadet, mit einem üblen Geschmack im Mund und so heftig klopfendem Herzen, dass es ihr fast den Atem nahm. Ihr war entsetzlich übel, und in ihrem Schoß wühlte ein dumpfer Schmerz, der ihr fremd war und sie vielleicht gerade deshalb erschreckte. Ein schriller, rhythmisch an- und abschwellender Ton marterte ihr Ohr, und als sie die Augen zu öffnen versuchte, gelang es ihr im ersten Moment nicht. Ihre Lider waren verklebt, und es tat ihr regelrecht weh, sie zu heben. Natürlich tat sie es trotzdem.
Der Schmerz war nicht so schlimm, wie sie erwartet hatte; eigentlich war das Gefühl allenfalls unangenehm, aber dafür stach das Licht der einzelnen Kerze, die in ihrem Gemach brannte, wie mit dünnen rot glühenden Nadeln in ihre Augen. Robin stemmte sich unsicher auf die Ellbogen hoch, unterdrückte mit einiger Mühe ein Gähnen - was einigermaßen absurd war, denn sie war völlig allein in der schäbigen Kammer, die Horace ihr zugewiesen hatte - und blinzelte verschlafen in die Runde. Viel gab es allerdings nicht zu sehen. Die Kammer, deren Wände aus unverputztem braunem Sandstein bestanden, bot gerade Platz für die schmale, mit einem viel zu dünnen Strohsack gepolsterte Bettstatt und einen dreibeinigen Schemel, auf dem die mittlerweile fast heruntergebrannte Kerze stand. Die Flamme bewegte sich unruhig in der Zugluft, die durch das schmale Fenster hereinpfiff, und nicht zum ersten Mal wurde sich Robin schmerzhaft der Tatsache bewusst, wie bitterkalt die Nächte in diesem tagsüber von der Sonne verbrannten Land werden konnten.
Während sie sich schlaftrunken aufsetzte und fröstelnd den Mantel enger um die Schultern zog, folgte ihr Blick dem Spiel von Licht und Schatten, die lautlos über die Wände tanzten. Für einen Moment schienen sie sich zu nervösen Szenen zu gruppieren; winzige Schattenkrieger, die einander hetzten und umschlichen, lautlose Heere, die behäbig zur Schlacht aufmarschierten und wieder verschwanden, Jäger und Beute, die in rasendem Wechsel die Plätze tauschten, und dann, für einen Moment, glaubte sie ein Gesicht in den Schatten zu erkennen.
Aber es war nur Einbildung. Salim war nicht hier.
Das Schrillen in ihren Ohren hielt an. Robins Benommenheit war mittlerweile weit genug verflogen, dass sie das Geräusch erkannte: Es war die Glocke, die zum Matutin rief, dem mitternächtlichen Gebet, und sie hatte sie nicht nur aus tiefstem Schlaf gerissen, sondern auch aus den Klauen eines ebenso wirren wie beklemmenden Albtraumes befreit. Robin erinnerte sich nicht genau, was sie geträumt hatte, aber es war schlimm gewesen. Nicht einmal mehr im Schlaf schien sie Frieden zu finden.
Das Schrillen der Glocke schien nun ungeduldiger zu klingen. Robin schüttelte den Rest ihrer Benommenheit ab, schwang die Beine aus dem Bett und biss mit einem scharfen Laut die Zähne zusammen, als ihre nackten Fußsohlen den eiskalten Boden berührten. Sie sollte sich besser beeilen. Odo würde es ganz gewiss nicht positiv vermerken, wenn sie zu spät zum Matutin - oder gar überhaupt nicht! - kam, und was Gerhard von Ridefort anging ... Nein, Robin zog es vor, lieber nicht darüber nachzudenken, in welchem Maße sie sich den Groll des Ordensmarschalls zugezogen haben mochte. Horace jedenfalls hatte mehr als besorgt ausgesehen, als er sie nach dem Essen hier herunterbegleitet hatte. Robin hatte eine entsprechende Frage gestellt, doch der Komtur hatte sie so derb angefahren, dass sie es nicht gewagt hatte, ihre Frage zu wiederholen.
Rasch schlüpfte sie in ihre Stiefel, wobei sie sich vielleicht zu schnell oder auch zu weit vorbeugte, denn ihr wurde prompt wieder übel, sodass sie weitere, kostbare Augenblicke damit verlor, reglos und mit zusammengebissenen Zähnen dazusitzen und darauf zu warten, dass ihr Magen seine Versuche einstellte, ihre Kehle heraufzukriechen. Robin vertrieb sich die Zeit damit, lautlos auf die Unzulänglichkeit ihres eigenen Körpers zu fluchen, der sie in letzter Zeit immer schmählicher im Stich ließ. Sie verfluchte sich selbst dafür, auf Salim gehört und nicht mehr mit ihren Waffen geübt zu haben. Die zwei Jahre, die sie mit kaum etwas anderem verbracht hatte, als eine Frau zu sein, rächten sich nun bitter. Sie war verweichlicht, und ihr Körper präsentierte ihr unerbittlich die Rechnung für all die Monate, die sie in Überfluss und Bequemlichkeit verbracht hatte.