Выбрать главу

Die Stimmen auf der anderen Seite des Ganges brachen plötzlich ab, und dann war das Geräusch hastiger Schritte zu hören, die sich schnell entfernten. Eine Tür schlug. Robin war für einen Moment vollkommen verwirrt - hatte sie ein Geräusch gemacht und sich damit verraten?

Abermals hörte sie das Geräusch von Schritten; aber diesmal war es hinter ihr! Erschrocken fuhr sie herum, und ihr Herz begann schon wieder wie wild zu klopfen, als sie die hoch gewachsene, in ein schmuckloses, knöchellanges Kettenhemd gehüllte Gestalt sah, die aus der Dunkelheit des Ganges hinter ihr aufgetaucht war. Der Mann schien im allerersten Moment mindestens genauso verblüfft zu sein, sie zu sehen, wie sie umgekehrt ihn, doch er fand seine Fassung weitaus schneller wieder als sie. Mit einem herausfordernden Schritt trat er auf sie zu und blieb gerade dicht genug vor ihr stehen, dass es ihr unangenehm war. »Halt!«, sagte er mit fordernder, scharfer Stimme. »Wer seid Ihr?«

Robin starrte den Mann einen halben Atemzug lang einfach nur verstört an. Ihre Gedanken überschlugen sich, schienen sich zugleich aber auch so träge zu bewegen, als wäre ihr Kopf mit halb geschmolzenem Pech gefüllt. Der Mann - zweifellos ein Wachtposten auf seiner Runde - war einen guten Kopf größer als sie und mindestens dreimal so alt. Sein stoppelbärtiges Gesicht war von den endlosen Jahren verbrannt, die er es in die unbarmherzige Sonne des Orients gehalten hatte, und allein der Klang seiner Stimme machte Robin klar, wie wenig er sich von ihrem weißen Templergewand beeindrucken ließ. Er trug nur das knöchellange Kettenhemd und nicht einmal Schuhe, hatte aber einen Schild am linken Arm befestigt, einen Speer in der rechten Hand und ein wuchtiges Schwert in einer ledernen Scheide am Gürtel, dessen deutliche Abnutzungsspuren am Griff verrieten, dass er die Waffe nicht nur zur Zierde mit sich führte. Sein mehr als schulterlanges, grau gewordenes Haar lugte in Strähnen unter einem verbeulten Helm hervor, der ihm nicht nur um mindestens eine Nummer zu groß war, sondern auch nicht so recht zum Rest seiner Ausrüstung passen wollte. Vermutlich ein Beutestück, das seinem früheren Besitzer wenig Glück gebracht hatte.

»Was Ihr hier sucht, habe ich gefragt«, wiederholte er scharf, als Robin nicht sofort antwortete, sondern ihn nur weiter verwirrt ansah.

Sie sagte auch jetzt noch nichts, sondern zog sich rasch einen halben Schritt von dem Mann zurück. Er hatte die Distanz, in der sie die Nähe irgendeines anderen Menschen - mit Ausnahme Salims vielleicht - ertrug, eindeutig unterschritten, und er stank nach Knoblauch, Schweiß und anderen, schlimmeren Dingen.

Robin geriet endgültig in Panik. Alles, was sie gelernt hatte, schien vergessen, alles, was Bruder Abbé, Salim und seine Assassinen ihr beigebracht hatten, zählte nicht mehr. Ohne dass es einen wirklichen Grund dafür gegeben hätte, spürte sie nichts anderes als nackte Angst vor diesem Mann. Und es wurde schlimmer. Ihre Reaktion war so falsch, wie sie nur sein konnte, und aus dem Misstrauen in seinem Blick wurde etwas anderes, weit Gefährlicheres.

»Bruder Robin! Da bist du ja! Endlich!«

Robin fuhr abermals und vielleicht noch erschrockener zusammen, und auch der Wachtposten runzelte überrascht die Stirn und drehte sich dann mit einer schnellen Bewegung herum, als die Stimme hinter ihm erklang. Eine weitere Gestalt trat aus den nachtschwarzen Schatten heraus, die den Gang erfüllten, und Robin riss erstaunt die Augen auf, als die Gestalt mit einer beidhändigen raschen Bewegung die Kapuze zurückschlug und Rothers Gesicht darunter zum Vorschein kam.

»Und ich dachte schon, ich würde dich gar nicht mehr finden«, fuhr Rother mit einem leisen Lachen fort. Sein Blick streifte betont beiläufig das Gesicht des Wächters, bevor er kopfschüttelnd und in gutmütig-spöttischem Ton fortfuhr: »Ich glaube, du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der es auch noch fertig bringt, sich in seinem eigenen Quartier zu verlaufen. Habe ich dir nicht gesagt, du sollst immer dicht hinter mir bleiben?«

Robin schwieg. Sie war immer noch völlig verstört, und ihr Herz klopfte bis zum Hals. Der Blick des Wachtpostens irrte misstrauisch zwischen ihrem Gesicht und dem Rothers hin und her, und er wirkte nicht unbedingt überzeugt von dem, was er gehört hatte. »Wer ...?«

»Ihr müsst Bruder Robin sein Verhalten nachsehen«, sagte Rother, nunmehr direkt an den Posten gewandt. »Es ist nicht das erste Mal, dass er sich verläuft.« Er seufzte. »Bruder Horace wird dich fünfhundert Ave Maria aufsagen lassen, wenn er davon hört, Robin. Warum bist du nicht einfach bei mir geblieben, wie ich es dir gesagt habe?«

»Ich wollte nur ...«, begann Robin, wurde aber sofort wieder von Rother unterbrochen, »... wieder einmal falsch abbiegen, ich weiß«, sagte er kopfschüttelnd. »Irgendwann einmal wirst du den Unterschied zwischen rechts und links noch begreifen, hoffe ich.«

Endlich verstand Robin. Sie warf Rother einen raschen, dankbaren Blick zu, der dem Wachtposten gottlob entging, denn er hatte sich nun vollends zu dem jungen Tempelritter umgewandt und musterte ihn um keinen Deut weniger misstrauisch als sie zuvor. »Und wer seid Ihr?«, fragte er. »Ihr habt in diesem Teil der Burg ...«

»... nichts zu suchen, ich weiß«, unterbrach ihn Rother, zwar mit ganz leicht erhobener Stimme, aber auch einem offenen, um Verzeihung bittenden Lächeln. »Ich werde Bruder Horace Meldung machen, wie aufmerksam du auf deinem Posten bist.« Er wandte sich direkt an Robin. »Komm jetzt. Oder möchtest du, dass aus den fünfhundert Ave Maria tausend werden?«

Rasch und mit gesenktem Blick trat Robin an dem Wachtposten vorbei, und auch Rother drehte sich um und machte einen einzelnen Schritt, blieb dann aber noch einmal stehen und sah über die Schulter zurück. »Ich weiß, dass es mir nicht zusteht«, begann er, »aber darf ich dich trotzdem um etwas bitten?«

Der Posten starrte ihn mit steinernem Gesicht an. Erst nach etlichen Augenblicken nickte er.

»Würdest du davon absehen, Bruder Horace Meldung von diesem Zwischenfall zu machen?«, fuhr Rother fort. »Ich weiß, dass es eigentlich deine Pflicht ist, aber du würdest Bruder Robin eine Menge Ärger ersparen. Er ist ein tapferer Ritter und einer der gottesfürchtigsten unter uns, aber mit seiner Orientierung steht es leider nicht zum Besten.«

Wieder ließ der Mann deutlich mehr Zeit verstreichen, als Robin lieb war, doch schließlich rang er sich zu einem abermaligen, abgehackten Nicken durch. »Gut«, sagte er. »Aber gib acht, dass er nicht in die falsche Richtung läuft, wenn Ihr gegen die Muselmanen zieht.«

Wahrscheinlich waren diese Worte nur scherzhaft gemeint, doch Rothers Blick verdüsterte sich schlagartig weiter, und auch seine Stimme klang hörbar kühler, als er mit unbewegtem Gesicht antwortete: »Das werde ich. Und habt Dank.«

Sie setzten ihren Weg fort. Rother ging an der Tür vorbei, durch die Robin hereingekommen war, eilte trotz der mittlerweile vollkommenen Finsternis mit traumwandlerischer Sicherheit voraus und machte sich dann lautstark an einem hölzernen Riegel zu schaffen, der nach einem Augenblick scharrend zurückglitt. Eisige Nachtluft und blasses Sternenlicht schlugen ihnen entgegen, als er eine Tür öffnete und mit einer einladenden Geste beiseite trat, um Robin vorbeizulassen. Sie gehorchte und fand sich unversehens auf einem schmalen hölzernen Absatz außerhalb des Turms wieder, von dem aus etwas in die Tiefe führte, wovon sie nicht ganz sicher war, ob es eine besonders steile Treppe oder vielleicht doch nur eine mit einem Geländer versehene Leiter war. Rother zog die Tür hinter sich wieder ins Schloss, und sie stieg rasch nach unten, ohne auf eine weitere Aufforderung zu warten.

Sie befanden sich jetzt wieder im Innenhof. Der weite, gepflasterte Platz lag vollkommen leer und dunkel vor ihnen, aber Robin hatte trotzdem das intensive Gefühl, beobachtet zu werden. Vielleicht war der Posten ihnen gefolgt, um sich davon zu überzeugen, dass sie auch wirklich zu ihren Quartieren zurückgingen.