Выбрать главу

Robin trat ein paar Schritte tiefer ins Meer hinein, bis ihr das Wasser fast zu den Knien reichte, aber die Erleichterung, auf die sie wartete, kam nicht. Ganz im Gegenteil. Die Hitze schien noch unerträglicher geworden zu sein, und auch das Schwindelgefühl hatte sich zwar ein wenig gelegt, war aber nicht wirklich verschwunden.

Da sie plötzlich das Gefühl hatte, unter dem schweren schwarzen Mantel nicht mehr atmen zu können, zog sie ihn kurz entschlossen aus und warf ihn sich wie eine Decke über den linken Arm. Das strahlend weiße Gewand mit dem roten Tatzenkreuz, das sie darunter trug, musste nicht nur meilenweit zu sehen sein, sondern auf die Männer, die sie gerade beobachtet hatten, auch ungefähr die Wirkung einer schallenden Ohrfeige haben, aber das war ihr mittlerweile gleich. Sie hatte an diesem Tag schon so viel falsch gemacht, dass es darauf vermutlich auch nicht mehr ankam.

Unglücklicherweise half es auch nichts. Ihr war noch immer heiß. Um sich wirklich Linderung zu verschaffen, hätte sie schon den Wappenrock und vor allem das zentnerschwere Kettenhemd, das sie darunter trug, abstreifen müssen, was ohne weiteres möglich gewesen wäre, denn sie trug auch darunter noch ein dickes, baumwollenes Kleid, um sich die Haut nicht an den groben eisernen Maschen des Kettenhemdes wund zu scheuern (und sie wunderte sich, dass ihr heiß war?), aber nach dem, was Salim gerade über ihre Rüstung gesagt hatte, ließ es ihr Stolz nicht zu.

Sie ging in die Knie, schüttete sich zwei Hand voll des erfrischenden Salzwassers ins Gesicht und machte dann kehrt, um mit plötzlich schnellen Schritten auf das einzeln dastehende Gebäude am Dorfrand zuzugehen. Das große, eingeschossige Haus - das einzige Gebäude hier mit festen Mauern - war grob mit abbröckelndem Lehm verputzt und hatte das typische, von einer brusthohen Mauer umgebene Flachdach, über dem sich die ausladenden Äste eines etwas windschiefen Aprikosenbaums erhoben. Sie waren schwer von Früchten. Die ersten davon waren bereits goldgelb, und der Anblick ließ Robin das Wasser im Mund zusammenlaufen, obwohl es noch keine zwei Stunden her war, dass sie ausgiebig und fast schon zu gut gefrühstückt hatte. Salim hatte zwar nichts dazu gesagt, aber ihr waren weder seine Blicke noch sein bezeichnendes Stirnrunzeln entgangen. In letzter Zeit entwickelte sie einen gesunden Appetit, und auch, wenn sie es empört von sich gewiesen hätte, so wusste sie doch, dass sie etliche Pfunde zugenommen hatte.

Robin fragte sich, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Hunger war ihr nicht fremd. Er gehörte zu den ersten Erinnerungen ihres noch jungen Lebens, und er war vielleicht in all den Jahren, die seither vergangen waren, ihr treuester Begleiter gewesen. Selbst in der Komturei Bruder Abbés und später, als sie mit den Tempelrittern von Friesland aus in Richtung Italien gezogen war - und erst recht auf dem Schiff -, hatte es längst nicht jeden Tag satt zu essen gegeben. Den unbeschreiblichen Luxus, sich keine Gedanken über die nächste Mahlzeit machen zu müssen und es als ganz selbstverständlich hinzunehmen, dass sie es am nächsten Tage ebenso wenig musste wie an dem danach und dem darauf folgenden, hatte sie erst kennen gelernt, seit sie Salims Frau war und in der Burg seines Vaters lebte. Wahrscheinlich, dachte sie, war es ein schlechtes Zeichen.

Das bequeme Leben in reinem Luxus, das sie an Salims Seite führte, begann unaufhaltsam seinen Preis zu fordern. Das spielerische Kräftemessen, zu dem Salim sie vorhin herausgefordert hatte, war das erste seit Wochen gewesen, und ganz offensichtlich hatte sie sich damit schon selbst überfordert, denn das Schwindelgefühl verschwand nun tatsächlich, machte dafür aber einer leisen Übelkeit Platz, die in ihren Eingeweiden rumorte und sich langsam auf den Weg nach oben begab.

Mit purer Willensanstrengung kämpfte Robin das Gefühl nieder. Ihr Verstand sagte ihr ganz genau, was mit ihr los war: Sie hatte sich über die Maßen verausgabt, und das ihr eiskalt erscheinende Wasser hatte ein Übriges dazu getan, ihren Kreislauf bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit zu fordern. Vernünftig wäre es, sich jetzt zu schonen, zumindest aber langsamer zu gehen. Aber wann hatte es sie je interessiert, was vernünftig war? Schon aus purem Trotz beschleunigte sie ihre Schritte noch mehr, warf den Kopf in den Nacken, sodass ihr Haar abermals flog (die Bewegung musste auf jeden heimlichen Beobachter wie eine herausfordernd geschwenkte Fahne wirken, wie sie sich schmerzhaft klar machte), und erreichte, zwar beinahe mit letzter Kraft, dennoch aber stolz aufgerichtet und mit festen Schritten das Haus. Vielleicht hatte sie gestern etwas Falsches gegessen, was ihr jetzt zusätzlich aufstieß.

Nach der schier unerträglichen Gluthitze draußen kam es Robin hier drinnen nur im allerersten Moment angenehm kühl vor. Dann schlug das Gefühl wohltuender Erleichterung urplötzlich in Kälte um. Ein eisiger Schauer rann ihr über den Rücken. Sie ließ den Mantel fallen, der ihr plötzlich so schwer vorkam, als wäre auch er aus Eisen geflochten, und registrierte beiläufig, dass das Kleidungsstück im Grunde nur noch aus Fetzen bestand - Salims Klinge hatte den Stoff an mindestens einem Dutzend Stellen zerschnitten. Als hätte es des Anblickes bedurft, spürte sie plötzlich auch jeden einzelnen Hieb, den das Kettenhemd aufgefangen hatte; spätestens morgen früh würde sie eine hübsche Sammlung blauer Flecken und Striemen auf Brust, Rücken und Oberarmen aufweisen. Sie konnte sich jetzt schon vorstellen, dass Salim nicht nur jede dieser Erinnerungen an den heftigen Kampf ausgiebig erkunden, sondern auch zu jeder einzelnen einen spöttischen Kommentar abgeben würde - aber selbst diese amüsante Vorstellung nutzte nichts. Das Gefühl von Schwäche wurde im Gegenteil immer schlimmer.

Jetzt, wo sie allein im Haus und sicher vor neugierigen Augen war, streifte sie auch die übrige Kleidung ab, bis sie nur noch das schwere baumwollene Unterhemd trug. Sie hatte jetzt nicht mehr das Gefühl, ein totes Pferd mit sich herumzuschleppen, das ihr jemand heimlich auf den Rücken gebunden hatte, dafür war in ihrem Mund plötzlich ein Geschmack, als hätte sie ihre Zähne in ein solches geschlagen.

Allmählich wurde Robin wütend auf sich selbst; auf die Unzulänglichkeit ihres Körpers, der sie so schmählich im Stich ließ, aber auch auf sich, die Schwäche, die sie in den letzten Monaten zugelassen hatte. Zum wiederholten Male nahm sie sich fest vor, gleich am nächsten Tag wieder damit zu beginnen, regelmäßiger zu trainieren. Auch wenn ihr vollkommen klar war, was Salim dazu sagen musste - von seinem Vater gar nicht zu reden -, so würde sie sich einige der zuverlässigsten Männer aus seiner Leibgarde heraussuchen, um mit ihnen regelmäßige Waffenübungen zu absolvieren.

Was leider nichts daran änderte, dass sie sich noch immer hundsmiserabel fühlte. Und plötzlich, obwohl sie noch vor ein paar Augenblicken das Gefühl gehabt hatte, vor Hitze sterben zu müssen, hielt sie es in der Kälte des schattigen Zimmers nicht mehr aus. Mit schnellen Schritten (deren leichtes, aber dennoch unübersehbares Wanken sie geflissentlich ignorierte) durchquerte sie den Raum und trat wieder in die kochende Nachmittagshitze hinaus, die den kleinen, an allen Seiten ummauerten Innenhof in einen flirrenden Glutofen verwandelte. Als Robin das erste Mal hier gewesen war, hatte sie zusammen mit Saila mühsam Erde herbeigeschafft und einen kleinen Blumengarten angelegt, der dem tristen Ocker des gemauerten Gevierts ein wenig Farbe und Freundlichkeit verleihen sollte. Mittlerweile waren die Beete in der Sommerhitze verbrannt und die Erde zu braunem Staub verdorrt, den der Wind nur deshalb noch nicht davongetragen hatte, weil ihn die drei Meter hohen Mauern zuverlässig abwehrten.

Wie immer, wenn Robin hierher kam (was in letzter Zeit viel zu selten geschah), erfüllte sie der Anblick mit einer sonderbaren Mischung aus Trauer und Melancholie. Sie hatte auch oben in Raschids Burg einen kleinen Blumengarten angelegt, der prächtig gedieh und dem gemauerten Gebirge aus gewaltigen Felsquadern einen Hauch von Wohnlichkeit verlieh, aber sie hatte bisher stets die Augen davor verschlossen, wie viel Anstrengung und Mühe es ihren Dienern abverlangte, dieses winzige Stückchen Erde am Leben zu halten. Hier, in diesem zumeist leer stehenden Gebäude, hatte sich die Natur unbarmherzig zurückerobert, was Saila und sie ihr so mühsam abgerungen hatten. Das einzige Zeichen von Leben, das es hier gab, war der uralte Aprikosenbaum, dessen knorriges Wurzelwerk sich wie die versteinerten Finger einer bizarren, vor Urzeiten gestorbenen Kreatur aus dem Boden erhob.