Eine Warnung, dass sie besser daran täte, sich aus der bevorstehenden Schlacht herauszuhalten, wenn sie keine Katastrophe heraufbeschwören wollte.
13. KAPITEL
Es war das größte Heerlager, das sie jemals gesehen hatte, und hätte man ihr in diesem Augenblick erzählt, es sei das größte, das es jemals gegeben hatte, sie hätte sogar das geglaubt. Selbst jetzt, in der hereinbrechenden, kurzen Dämmerung des Orients, wirkte es gewaltig. In den wenigen Augenblicken, in denen Tag und Nacht miteinander rangen und die Schatten so schnell länger zu werden schienen, dass selbst ein galoppierendes Pferd Mühe haben musste, ihnen zu folgen, erschien es Robin beinahe noch beeindruckender als vor einer Stunde, als der gewaltige Tross hier an den Ufern des Litani Halt gemacht und die Männer damit begonnen hatten, das Lager aufzuschlagen; ein Lager, das das letzte vor der bevorstehenden Schlacht und für nur zu viele von ihnen wohl das letzte überhaupt werden würde. Die bunten Zelte der Ritter, in denen Kerzen oder Öllampen brannten, leuchteten in der blasser werdenden Dämmerung wie riesige, farbenfrohe Laternen.
Robin wusste nicht, wie viele Männer aus Safet aufgebrochen waren und wie viele sich unterwegs noch zu ihnen gesellt hatten. Es mussten Tausende sein, aber diese Zahl war im Laufe des Tages bedeutungslos geworden. Zum allerersten Mal befand sich Robin inmitten eines wirklichen Heeres, nicht eines kleinen Trüppchens, das sich nur mit diesem Wort schmückte. Während sie mit Dariusz und seinen Männern nach Osten gezogen war, hatte sie geglaubt, Teil einer gewaltigen Armee zu sein, doch schon der erste Blick, den sie am Morgen in die Ebene hinabgeworfen hatte, als sie neben Horace aus dem Tor der Templerburg geritten war, hatte sie eines Besseren belehrt. Die Zahl der Reiter und Fußtruppen, die in gewaltigen, unordentlich wirkenden Blöcken am Fuße des Festungsberges Aufstellung genommen hatten und auf die Templer, die Ritter des Lazarusordens und vor allem den König warteten, sprengte ihr Vorstellungsvermögen. Es blieb sich gleich, ob sie Hunderte, Tausende oder noch mehr zählten - es waren unendlich viele.
Und es waren mehr geworden, je weiter sie sich nach Osten bewegten. Jetzt, am frühen Abend, hatten sich die Truppen mit dem Heer König Balduins vereinigt und Lager hier am Ufer dieses schmalen, schlammigen Flusses aufgeschlagen, und obwohl sie seit mehr als einer Stunde beschäftigt waren, war ein Ende immer noch nicht abzusehen, wuchs das Heerlager noch immer in alle Richtungen und breitete sich entlang des Flussufers aus wie ein riesiger, bunter Flickenteppich, in dem sich zahllose Glühwürmchen verfangen hatten.
Robin streifte seit nahezu einer Stunde ziellos durch das Lager, zerrissen von den unterschiedlichsten Fantasievorstellungen und Gefühlen. Das in Latein verfasste Geschmiere auf dem Stoffstreifen, das sie in ihrer Kammer in Safet vorgefunden hatte, rumorte in ihr wie ein Stück nicht mehr ganz frischen Fleisches, das einem auch nach einem Tag noch sauer aufstoßen kann. Doch sosehr sie sich auch den Kopf zerbrach: Sie kam nicht im Geringsten darauf, wer es verfasst haben könnte. Bruder Horace und Bruder Abbé fielen ihr als Verdächtige genauso ein wie Rother; aber vielleicht war es auch irgendein anderer Templer gewesen, der sich von ihr herausgefordert fühlte oder einen Grund hatte, ihr eine gut gemeinte Warnung zukommen zu lassen. In jedem Fall gedachte sie nicht daran, ihr nachzugeben. Ganz im Gegenteil, sie hatte ihren Trotz geweckt.
Und das war beileibe noch nicht alles, was ihre Gefühle in Wallung brachte. Auch wenn sie bislang nirgends eine Spur von Salim und den Assassinen hatte ausmachen können, war sie sicher, dass er schon ungeduldig auf sie warten würde. Ihr Herzschlag, der sich bei dem Gedanken an ihn spürbar beschleunigte, verriet, wie sehr sie sich nach Salims Umarmungen und seinen leidenschaftlichen Küssen sehnte. Doch das musste warten, sie konnte und wollte die Templer nicht vor der Schlacht verlassen; vielleicht weniger, weil sie sich auf eine morbide Art ihnen noch immer zugehörig fühlte, sondern vielmehr, weil es ihr - besonders jetzt - wie die feige Flucht vor dem anstehenden Waffengang vorgekommen wäre.
Das alles trug nicht gerade zur Verbesserung ihrer Stimmung bei. Sie war müde wie ganz gewiss jeder einzelne Mann hier, denn der Tag war lang und grausam heiß gewesen, und Balduin und seine Ritter hatten dem Heer nur eine einzige, viel zu kurze Rast gegönnt, aber sie spürte zugleich auch, dass sie jetzt noch keine Ruhe finden würde. In ihrer zerrissenen Stimmung konnte sie trotz ihrer Müdigkeit und Erschöpfung auch nicht im Entferntesten an Schlaf denken, und sie musste nur einen einzigen Blick in die Runde werfen, um zu begreifen, dass es den meisten anderen hier wohl ebenso erging; wenn auch mit Sicherheit sonst niemand die Sehnsucht nach seinem Liebsten verzehrte.
Ansonsten war hier alles so vollkommen anders, als sie es sich vorgestellt hätte. Sie hatte geglaubt, dass die Stimmung in einem Heerlager, noch dazu am Vorabend einer großen Schlacht, deren Ausgang nicht annähernd so gewiss war, wie Odo und Ridefort am vergangenen Tag behauptet hatten, niedergeschlagen, gedrückt und vielleicht sogar ängstlich wäre, doch das genaue Gegenteil war der Fall. Sah sie einmal von dem kleinen Geviert ab, in dessen unsichtbaren Grenzen die Templer ihre Zelte aufgeschlagen hatten, so wurde fast überall gelacht und fröhlich geschwätzt. Aus manchen Zelten drang Musik, an mehr als einem Lagerfeuer wurden Schläuche herumgereicht, in denen sich vermutlich kein Wasser befand, es roch nach gebratenem Fleisch und frisch gebackenem Brot, und hier und da sah sie auch einen Weiberrock in einem Zelt verschwinden oder auch die Hand eines Ritters ganz unverblümt sich unter einen solchen schieben.
Sie hörte das heisere Kreischen von Wetzsteinen, die über Klingen gezogen wurden, das Scheppern von Metall, wo ein Schild ausgebeult oder ein zerschlagener Helm gerichtet wurde, das Peitschen von Bogensehnen, die ein letztes Mal prüfend gespannt und losgelassen wurden, das erleichterte Schnauben von Pferden, die nach einem langen ermüdenden Tag endlich vom Gewicht ihres Sattelzeugs und der Schabracken befreit waren. Musik drang in schrillen, misstönenden Fetzen an ihr Ohr, und einmal blieb sie eine Weile stehen und beobachtete einen Knappen, der ein schäbiges kleines Fass scheinbar ziellos mit dem Fuße hin und her rollte. Erst nach einer geraumen Weile wurde ihr klar, dass sich darin feiner Sand und das Kettenhemd eines Ritters befanden, das auf diese Weise effektiv vom letzten Stäubchen Flugrost gereinigt wurde. Auch das gehörte zu den viel zu vielen Dingen, die Bruder Abbé und die anderen ihr beigebracht und die sie wieder vergessen hatte.
Robin fragte sich mit einem ihr selbst nicht ganz verständlichen Gefühl von Trauer, wie viele es noch sein mochten. Nachdem sie Salims Frau geworden war, hatte sie geglaubt, sich von ihrem alten Leben, das doch im Grunde aus nicht sehr viel mehr als einer Aneinanderreihung von Entbehrungen, Erniedrigungen, Schmerzen, Demütigungen und Lügen bestanden hatte, ohne allzu große Wehmut oder gar Trauer verabschieden zu können, und die Monate, die sie auf Masyaf verbracht hatte, schienen ihr Recht zu geben. Nur sehr selten hatte sie an diese Zeit zurückgedacht, und noch sehr viel seltener hatte sie dabei das Gefühl gehabt, tatsächlich etwas verloren zu haben, irgendetwas oder irgendjemandem nachtrauen zu müssen. Vielleicht Bruder Abbé, der ihr nicht nur das Leben gerettet hatte, sondern - mit Ausnahme ihrer Mutter - vielleicht bis dahin der einzige Mensch gewesen war, der es ganz selbstlos wirklich gut mit ihr gemeint hatte, der ihr einfach geholfen hatte, ohne etwas zu verlangen. Nun aber begann sie sich zu fragen, ob sie sich nicht vielleicht die ganze Zeit über etwas vorgemacht hatte. All das hier war noch immer ein Teil ihres Lebens, und vielleicht ein größerer, als sie sich selbst hatte eingestehen wollen.
Vielleicht hätte sie noch länger dagestanden und dem Jungen zugesehen, der mit missmutigem Gesicht sein Fass über den sandigen Boden trat und immer öfter ärgerliche Blicke in ihre Richtung warf, hätte sie nicht plötzlich wieder das Gefühl gehabt, angestarrt zu werden. Hier in diesem Lager war das eigentlich nichts Außergewöhnliches. Obwohl das Heer Tausende und Abertausende zählte, stellte der weiße Mantel eines Tempelritters doch noch immer etwas ganz Besonderes dar, das ganz natürlich neugierige Blicke auf sich zog, zumal wenn er von einem Ritter getragen wurde, der kaum dem Knabenalter entwachsen zu sein schien. Dieses Gefühl aber war anders. Unangenehm.