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Er lächelte. »Ihr habt Euch von der Kolonne entfernt, nicht wahr?«

Robin gab auf. Horace verfügte offensichtlich nicht nur über eine Menge neugieriger Augen und großer Ohren, die ihm alles zutrugen, sondern war darüber hinaus auch selbst ein aufmerksamer Beobachter, dem kaum etwas entging. Schon gar nicht das, was er eigentlich nicht sehen sollte.

»Ihr habt Recht«, gestand sie, wobei sie den zerknirschten Ton in ihrer Stimme nicht einmal zu spielen brauchte. »Ich habe ...«

Sie fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen, die plötzlich so trocken und spröde geworden zu sein schienen, dass sie kaum noch weitersprechen konnte, und setzte neu an.

»Gestern Nacht, während des Matutin ... ich dachte, ich hätte Bruder Abbé gesehen.«

»Und Ihr wart auf der Suche nach ihm?«, fragte Horace, ohne dabei auch nur mit einer Silbe auf ihre eigene Frage einzugehen. »Warum seid Ihr nicht einfach zu mir gekommen?«

Robin sah ihn einen Moment lang fast hilflos an und musste sich dann eingestehen, dass sie es nicht wusste. Die Wahrheit war, dass sie gar nicht auf diese Idee gekommen war.

»Abbé ist nicht hier«, fuhr Horace fort. Robin sagte auch dazu nichts. Sie hoffte, dass sie ihre Züge diesmal besser unter Kontrolle hatte als gerade. So unglaublich es ihr selbst erschien - sie spürte, dass Horace log. Außerdem war sie mittlerweile sicher, Abbé gestern Abend erkannt zu haben.

»Und wäre er hier«, fuhr Horace fort, nachdem er etliche Schritte schweigend neben ihr einhergegangen war und vergeblich auf eine Antwort gewartet hatte, »so hätte er Besseres zu tun, als das Wiedersehen mit Euch zu feiern, Bruder Robin.«

Die sonderbare Art, in der er das Wort Bruder betonte, war kein Zufall, das war Robin klar. Er wollte ihr damit etwas ganz Bestimmtes sagen, aber sie wusste nicht, was. Sie reagierte auch darauf nicht, und zu ihrer Erleichterung schien sich Horace damit zufrieden zu geben, denn er verfolgte das Thema nicht weiter. Eine ganze Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, und Robin fiel abermals auf, wie streng Horace darauf zu achten schien, den Abstand von guten dreißig oder vierzig Schritten, die sie zu Odo und Ridefort einhielten, nicht kleiner werden zu lassen. Sie musste an das Streitgespräch in dem Zelt denken, dessen Ohrenzeuge sie geworden war, und an den Ausdruck unverhohlener Wut auf den Gesichtern der beiden hochrangigen Tempelritter, als sie herausgekommen waren. Schließlich hielt sie es nicht mehr länger aus und kleidete ihre Neugier in eine Frage.

Fast zu ihrer Überraschung beantwortete Horace sie. »Unser Großmeister und der Marschall sind verärgert«, räumte er unverblümt ein.

»Aber sie kamen von einer Audienz des Königs«, sagte Robin verwundert. »Ich dachte bisher, unser Orden genießt sein ganz besonderes Vertrauen und sein besonderes Wohlwollen.«

Horace bemühte sich, ein zerknirschtes Gesicht zu machen, aber wieder hatte Robin das sichere Gefühl, die Andeutung eines Lächelns über seine Lippen huschen zu sehen, als er antwortete.

»Ja, das dachten Odo und Marschall Ridefort bis zum heutigen Abend wohl auch.«

»Was ist geschehen?«, fragte Robin.

»Mir scheint, König Balduin wird allmählich erwachsen«, erwiderte Horace. Nicht, dass Robin mit dieser Antwort irgendetwas anfangen konnte.

»Haben wir uns ... durch irgendetwas seinen Unmut zugezogen?«, fragte sie zögernd.

Diesmal war das Lächeln, das Horaces Kopfschütteln begleitete, mehr als nur angedeutet. »Nein. Es ist wohl eher so, dass er nicht mehr auf alles hört, was ihm jemand mit einem beeindruckenden Titel und einer langen Liste vermeintlicher oder auch wirklicher Heldentaten rät. Ich habe Odo gewarnt, aber er hat meine Worte in den Wind geschlagen. Er hält Balduin für krank - er ist es - und schwach - er ist es nicht - und scheint nicht begreifen zu wollen, dass er in wachsendem Maße die Tugenden eines wirklich großen Herrschers entwickelt. Großmut, Klugheit und Willensstärke.«

»Und was bedeutet das?«

»Zum Beispiel, dass König Balduin den Großmeister und den Marschall unseres Ordens brüskiert hat, indem er uns und unsere Brüder morgen nicht im Herzen der Schlacht haben will.«

Nun war Robin ehrlich überrascht. Auch wenn sie noch niemals eine richtige Schlacht erlebt hatte, so wusste sie doch, dass die Templer traditionell die Speerspitze eines Angriffes bildeten, und das nicht nur, weil ihr Glaube es von ihnen verlangte oder sie überheblich genug waren, sich als unbesiegbar zu fühlen. In gewissem Maße waren sie es sogar. Selbst die tapfersten und stärksten muslimischen Reiter konnten dem Anprall einer Hundertschaft schwer gepanzerter Tempelritter auf ihren gewaltigen Schlachtrössern nicht widerstehen.

»Unsere Aufgabe morgen ist es lediglich, die Flanken des Heeres zu sichern«, fuhr Horace fort. »Eine sehr wichtige Aufgabe, wenn du mich fragst. Mehr als eine Schlacht ist schon entschieden worden, weil ein kluger Feldherr dafür gesorgt hat, dass Flanken und Rücken des Heeres gedeckt sind.«

»Aber Odo sieht das anders«, vermutete Robin.

»Ja«, seufzte Horace. »Um es mit deinen Worten auszudrücken: Er und Ridefort schäumen vor Wut. Sie fühlen sich zu reinen Zuschauern degradiert.« Er lachte ganz leise. »Ich fürchte, sie werden in dieser Nacht nicht besonders gut schlafen.«

»Aber Ihr schon«, vermutete Robin. In ihrer Stimme war ein leicht vorwurfsvoller Ton, der sie selbst überraschte und auch erschreckte, denn erst er machte ihr klar, dass ein Teil von ihr den Zorn und die Enttäuschung der beiden Tempelritter nicht nur verstand, sondern auch teilte. Auf eine völlig absurde, widersinnige Art fühlte sie sich um ihre erste große Feldschlacht betrogen - als ob sie jemals vorgehabt hätte, wirklich daran teilzunehmen!

Horace musste auffallen, dass sie nicht unbedingt seiner Meinung war. Er maß sie mit einem eindeutig tadelnden Blick. »Diesmal wird unseren Brüdern, den Johannitern, die Ehre zuteil, als Erste auf die Armeen Saladins zu treffen.«

»Oh«, machte Robin nur. Auch wenn sie den Grund dafür niemals wirklich verstanden hatte, so wusste sie natürlich um die uralte Rivalität zwischen dem Templer- und dem Johanniter-orden. Mit einem Male konnte sie den Zorn des Großmeisters noch besser verstehen. Nicht unmittelbar an der Schlacht teilnehmen zu dürfen, musste ihn verletzt und vielleicht in seiner Ehre gekränkt haben, diesen Platz jedoch an die alten Rivalen des Johanniterordens abtreten zu müssen, musste für ihn wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein.

»Und was können sie besser, was wir nicht können?«, fragte sie.

»Nichts«, antwortete Horace. Er gab sich jetzt keine Mühe mehr, seine wahren Gefühle zu verhehlen. Warum auch immer, irgendetwas an der Situation schien ihn über die Maßen zu amüsieren. »Politik, Robin. Es ist nichts als Politik.«

»Politik?«

»Du weißt nicht viel über den König und den Hof in Jerusalem, nicht wahr?«, erkundigte er sich.

Robin schüttelte den Kopf. Sie war auch nicht sicher, ob sie wirklich viel mehr darüber wissen wollte, als sie in den letzten Stunden und Tagen erfahren hatte.

»Seit Balduin den Thron von Jerusalem bestiegen hatte«, begann Horace, »hat in Wahrheit seine Mutter regiert, Agnes von Courtenay, eine Schlampe, die mit jedem Mann ins Bett hüpft, weshalb sie auch von Balduins Vater Amalrich verstoßen wurde.«

Robin sah ihn leicht verwundert an. Horace war normalerweise kein Mann, der über solcherlei Dinge sprach, schon gar nicht in diesem Ton.

»Unglückseligerweise hat Agnes beste Verbindungen zu den Templern und zu Rainald de Châtillion, dem Grafen von Oultrejourdain, und etlichen anderen wichtigen Adeligen, mit denen sie vermutlich das Lager geteilt hat oder die hoffen, dass sie es tun wird, wenn sie ihr nur lange genug zu Gefallen sind. Sie plädiert für eine radikale Kriegspolitik gegen Saladin, und solange Balduin ihre gehorsame Marionette war und getan hat, was sie von ihm verlangte ...« Er hob mit einem leisen Seufzen die Schultern und fuhr kopfschüttelnd und in verändertem und noch amüsierterem Ton, wie es Robin schien, fort: »Auf der anderen Seite steht Maria Komnena, die Stiefmutter Balduins, eine byzantinische Prinzessin und eine sehr kluge Frau. Zusammen mit den Johannitern und nicht wenigen Fürsten aus der nördlichen Hälfte des Königreiches ist sie für ein friedliches Nebeneinander mit den Heiden, zum Wohle aller.«