»Was für ein Gift?«, fragte er. »Diese Sorte hat kein Gift.«
Robin starrte ihn an. »Wie bitte?«
»Sie ist so groß, dass sie es nicht braucht«, erklärte Salim. Er bückte sich nach dem Kelch, aus dem sie am vergangenen Abend getrunken hatte, tauchte einen Zipfel seines Gewandes hinein und begann mit dem nassen Stoff Blut und Schleim des toten Skorpions von ihrem Bauch zu wischen. Robin sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, als sie die Berührung seiner Finger auf der Haut spürte.
»Du hast das gewusst«, sagte sie anklagend.
»Was?«, fragte Salim.
»Das mit dem Skorpion«, antwortete sie. »Dass er nicht giftig ist.«
Salim fuhr fort, mit dem feuchten Tuch über ihren Leib zu wischen, obwohl auf ihrer Haut längst nichts mehr war, was er hätte wegwischen können. Seine Berührung war auf eine sonderbare Weise nicht einmal angenehm, aber sie ließ Robin trotzdem erschauern.
»Aber woher hätte ich das wohl wissen sollen?«, fragte er mit fast überzeugend gespieltem Erstaunen. Er ließ den Tuchzipfel fahren, zog die Hand aber keineswegs zurück, sondern fuhr nun sacht mit den Fingerspitzen über ihren Bauch. Ganz instinktiv griff Robin nach seiner Hand, um sie wegzuschieben oder wenigstens festzuhalten, aber sie konnte weder das eine noch das andere.
»Du hast es gewusst«, beharrte sie. Ihr Atem ging ein wenig schneller, und statt seine Hand zur Seite zu stoßen, was in diesem Moment das einzig Vernünftige gewesen wäre, hielt sie sie einen Atemzug lang fest und schob sie dann ein kleines Stück weiter nach oben. Salim zog fragend die Augenbrauen hoch, lächelte aber dann und ließ seine Finger von sich aus weiter in dieselbe Richtung wandern. Robin wartete, bis sie ihr Ziel fast erreicht hatten, dann umschlang sie mit den Fingern sein Handgelenk, hielt es fest und schob ihn mit der anderen Hand ein kleines Stück weit von sich weg. »Hast du, oder hast du nicht?«
Salim verdrehte die Augen. »Also gut«, seufzte er, »ich gebe mich geschlagen. Ich habe es gehofft.«
»Gehofft?«, ächzte Robin. »Du hast es gehofft?!«
»Ich war sogar ziemlich sicher«, antwortete Salim. »Es gibt nur eine einzige Sorte Skorpione, die so groß werden, und die sind nicht giftig.«
»Und du hast es nicht für nötig befunden, es mir zu sagen?«, grollte Robin. »Ich hatte Todesangst!«
»Ich war ja nicht ganz sicher«, antwortete Salim mit dem unschuldigsten Gesicht der Welt. Dann grinste er plötzlich.
»Außerdem sagt man, dass so ein kleiner Schrecken dann und wann ungemein anregend sein soll.«
»Du elender Schuft«, grollte Robin. »Weißt du, was ich dich könnte?«
Salims Grinsen wurde nur noch breiter. »Da würde mir schon das eine oder andere einfallen. Aber glaubst du wirklich, jetzt wäre der richtige Moment dafür? Ich meine: Es könnte jeden Moment jemand hereinkommen. Andererseits ...« Er seufzte, schüttelte dann jedoch plötzlich den Kopf und streifte dann in einer einzigen raschen Bewegung Turban und Mantel ab. Darunter trug er nur ein schlichtes, schwarzes Hemd.
Robin riss die Augen auf. »Was tust du da?«
»Wenn du es schon selbst sagst ...« Salim glitt mit einer so raschen Bewegung neben sie auf die Liege, dass Robin kaum begriff, was er tat, bevor er sie auch schon mit den Armen umschlang und ihre Lippen mit einem Kuss verschloss. Im allerersten Moment wehrte sie sich ganz instinktiv, aber ihr Widerstand schmolz so schnell dahin wie eine Schneeflocke am heißesten Tag des Jahres in der Wüste. Nach einem einzigen Atemzug erwiderte sie seine Umarmung nicht nur, sondern zog ihn mit aller Kraft an sich. Wie sehr, wie unendlich schmerzhaft hatte sie ihn vermisst, und wie sehr hatte sie sich nach diesem Augenblick gesehnt! Robin hatte das Gefühl, vor lauter Glück, vor lauter Glückseligkeit zerspringen zu müssen, während sie seinen warmen Atem an ihrem Hals spürte und er mit halb erstickter Stimme all die Kosenamen flüsterte, die sie so sehr vermisst hatte. Seine Hand kroch unter ihr zerrissenes Hemd und erkundete jene Bereiche ihres Körpers, die sie sonst so sorgsam vor jedem neugierigen Blick verbarg. Die Berührung seiner Finger schien ihre Haut in Flammen zu setzen. Sie verzehrte sich vor Sehnsucht nach ihm.
Dennoch legte sie ihm nach wenigen weiteren Augenblicken die Hand auf die Brust und schob ihn sanft, aber nachdrücklich von sich weg. »Das ... das dürfen wir nicht, Salim«, flüsterte sie mit bebender Stimme.
»Wieso nicht?« Salims Lippen fuhren zärtlich an ihrem Hals empor und suchten nach ihrem Mundwinkel, und Robin musste sich mit aller Kraft beherrschen, um nicht laut aufzustöhnen.
»Natürlich dürfen wir das«, flüsterte er. »Wir sind schließlich Mann und Frau.«
»Aber es ist viel zu gefährlich«, keuchte Robin. »Wenn uns jemand überrascht, sind wir beide verloren.«
»Da hast du Recht«, entgegnete Salim und küsste sie erneut und noch zärtlicher, und Robin gab auf. Sie hatte ohnehin nicht wirklich vorgehabt, sich zu wehren.
15. KAPITEL
Obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, es nicht dazu kommen zu lassen, war sie eingeschlafen, nachdem sie sich geliebt hatten, und sie erwachte nicht auf ihre gewohnte, rasche Art, sondern dämmerte ganz allmählich aus der Umarmung eines Schlafes, der zum ersten Mal seit einer Ewigkeit nicht mit Albträumen und Angst über sie gekommen war, in eine andere, höchst reale Umarmung hinüber, die sie mit einem Gefühl von Geborgenheit und Wärme erfüllte, das sie schon beinahe vergessen glaubte. Ein wohliger Schauer rann ihr über den Rücken, und sie lauschte noch einmal in sich hinein, wie um die Erinnerung noch einmal zurückzuzwingen. Nicht nur ihre Gedanken erinnerten sich, sondern auch ihr Körper. Auf ihren Lippen war noch immer der Geschmack seiner Haut, und ihr Schoß glühte von der Inbrunst, mit der sie ihn in sich gespürt hatte. Salim hatte sie zweimal genommen, das erste Mal wild und ungestüm und schnell, das zweite Mal so zärtlich und sanft, dass sie das Gefühl hatte, es hätte Stunden gedauert - und es musste Stunden gedauert haben, denn draußen war es bereits hell!
Robin fuhr mit einer fast entsetzten Bewegung hoch oder wollte es zumindest, aber das einzige Ergebnis ihres Versuches war ein scharfer Schmerz, der durch ihre Schulter schoss, und ein harter Ruck, mit dem sie zurückgerissen wurde. Salim lag auf ihrem Arm, und der klare Blick seiner Augen, mit dem er sie ebenso zärtlich wie besorgt musterte, sagte ihr, dass es nicht erst ihre hektische Bewegung war, die ihn geweckt hatte.
»Hast du schlecht geträumt?«, fragte er.
»Wir müssen auf!«, sagte Robin alarmiert. »Es ist bereits hell, und ...«
»Nein, das ist es nicht«, unterbrach sie Salim. »Es ist noch fast eine Stunde bis zu eurem Morgengebet.«
»Aber es ist ...« Robin brach verwirrt ab und betrachtete das rote Licht, das durch die dünnen Wände ihres Zeltes drang. Salim hatte Recht. Das rote Licht, das das Zelt nun viel intensiver erfüllte als vorhin, war der flackernde Schein von Lagerfeuern und Fackeln, nicht die Glut des Sonnenaufgangs. Ganz leise und weit entfernt hörte sie Stimmen.
»Anscheinend bist du nicht die Einzige hier, die keine sehr ruhige Nacht hat«, sagte Salim amüsiert. Das rote Licht, das durch die Zeltbahn drang, floss wie flüssiges Feuer über seine nackte Brust und verwandelte seine Haut nicht nur in geschmolzenes Kupfer, sondern ließ auch die Wärme aus Robins Schoß ausbrechen und sich in kribbelnden Wellen in ihrem ganzen Körper ausbreiten. Nur mit Mühe widerstand sie der Versuchung, seinen Körper nicht nur mit Blicken zu liebkosen.
»Du musst jetzt wirklich gehen, Liebster«, flüsterte sie.
»Muss ich das?« Salim küsste sie zärtlich auf die Stirn, verzog aber dann in übertrieben gespieltem Misstrauen das Gesicht.
»Wieso? Erwartest du jemanden? Einen deiner Ordensbrüder vielleicht?«
»Ich hatte gehofft, dass Bruder Dariusz noch zu mir kommt, um mir seinen Segen zu erteilen«, antwortete sie ernsthaft, »aber ich fürchte, er hat es bisher nicht geschafft, zu uns zu stoßen.«