»Dariusz ist hier«, antwortete Salim. »Sein Zelt ist nur ein paar Schritte entfernt. Wenn du willst, kann ich ihn holen. Er hat gleich als Erstes nach dir gefragt, kaum dass er angekommen war.«
»Dariusz ist hier?«, wiederholte Robin alarmiert.
»Wir sind nahezu gleichzeitig hier eingetroffen«, bestätigte Salim. »Wir hätten sogar ein gutes Stück des Weges gemeinsam reiten können, aber ich fürchte, dein Freund ist kein sehr geselliger Mensch.«
Robin blieb ernst. »Wenn Dariusz hier ist, solltest du erst recht verschwinden. Er darf dich auf gar keinen Fall auch nur in meiner Nähe sehen. Er ist ohnehin schon misstrauisch. Und er ist der Schlimmste von allen.«
»Der Schlimmste von allen?«, wiederholte Salim. »Bist du sicher?«
Robin überlegte einen Moment lang ernsthaft, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein.«
»Ich auch nicht.« Salim setzte sich mit einer fließenden Bewegung auf und griff nach seinem Hemd, zog es aber nicht an, sondern hielt es nur in der Hand und sah über die Schulter zurück und auf eine Art auf sie herab, die aus dem bloßen Kribbeln in ihrem Leib etwas anderes machte.
Aber er beließ es bei diesem Blick. Statt irgendetwas von dem zu tun, was sie in diesem Moment ebenso sehr herbeisehnte wie fürchtete, bückte er sich plötzlich und hob etwas auf, was Robin nach einigen Augenblicken - und zu ihrer nicht geringen Überraschung - als den Kadaver des toten Skorpions erkannte.
»Das ist seltsam«, sagte er in nachdenklichem Ton.
»Was ist seltsam?«
Salim wedelte mit dem halbierten Skorpion. »Ich hatte Recht, weißt du? Das hier ist die ungiftige Art, für die ich sie gehalten habe.«
»Soll das heißen, dass du bisher nicht ganz sicher warst?«, fragte Robin. Ein ganz leiser Unterton von Hysterie schwang in ihrer Stimme mit.
Salims Antwort bestand nur aus einem neuerlichen Grinsen, und Robin zog es vor, nicht weiter über die Bedeutung dieser Geste nachzudenken. »Und ... was ist daran so seltsam?«, fragte sie stockend.
»Dass diese Sorte Skorpion gar nicht in dieser Gegend vorkommt«, antwortete er. »Eigentlich gibt es sie nur in der Negevwüste südlich von Jerusalem oder den Wüsten des Sinai.«
»Anscheinend wohl doch nicht«, erwiderte Robin nervös.
»Oder der da hat sich ziemlich weit verlaufen.«
»Das dachte ich auch«, antwortete Salim stirnrunzelnd.
»Manchmal verirren sie sich unter eine Decke oder in das Bett eines Menschen. Die Nächte hier sind sehr kalt, und sie suchen die Wärme. Aber dieses Tier ...« Er schüttelte nachdenklich den Kopf. »Es dürfte nicht hier sein.«
»Da kann ich dir nur beipflichten«, sagte Robin mit einem übertriebenen Schaudern, aber Salim blieb ernst. Er betrachtete den Kadaver des Skorpions noch einen Moment lang nachdenklich, dann ließ er ihn zu Boden fallen, sah sich aufmerksam im Inneren des Zeltes um und war dann mit einem einzigen, nicht einmal sehr großen Schritt an der Rückwand, wo er sich wieder in die Hocke sinken ließ.
»Das habe ich mir gedacht«, murmelte er.
Robin betrachtete fasziniert das Spiel von Licht und Schatten auf seiner Haut und seinem schlanken und doch muskulösen Rücken. Das warme Gefühl in ihrem Leib nahm zu, und es fiel ihr plötzlich schwer, weiter ruhig liegen zu bleiben oder sich auch nur auf seine Worte zu konzentrieren. »Was?«, fragte sie mühsam.
Salim warf ihr einen strafenden Blick zu. »Das.« Er deutete auf einen Schatten in der Rückwand des Zeltes, von dem sie selbst jetzt erst auf den zweiten oder dritten Blick bemerkte, dass es gar kein Schatten war, sondern ein gut handlanger, gerader Schnitt, offenbar mit einer sehr scharfen Klinge ausgeführt.
»Dieses Tier ist nicht zufällig hier hereingekommen. Es ist unter deine Decke gekrochen, weil es deine Körperwärme gespürt hat, aber zuvor hat es jemand hier hereingesetzt.« Ein dünnes, freudloses Lächeln spielte für einen Moment um seine Lippen und erlosch beinahe schneller wieder, als es gekommen war. »Du bist wirklich gut darin, dir innerhalb kürzester Zeit tödliche Feinde zu machen, habe ich dir das eigentlich schon einmal gesagt?«
»Nein«, antwortete Robin. »Nicht einmal. Tausendmal, wenn nicht mehr.«
»Aber ganz offensichtlich noch nicht oft genug.« Ein Ausdruck ehrlicher Sorge erschien auf seinem Gesicht, während er sich wieder aufrichtete und zu ihr zurückkam. »Wie hast du es nur geschafft, dir innerhalb einer knappen Woche schon wieder einen Todfeind zu machen?«
»Vielleicht hatte ich ihn schon vorher«, sagte Robin in nachdenklichem Tonfall.
Salim sah stirnrunzelnd auf sie herab. »Dariusz?« Er setzte dazu an, sein Hemd überzustreifen, aber Robin ergriff rasch seinen Arm und hielt ihn fest.
»Ich glaube, er ... weiß es«, sagte sie. »Zumindest hat er einen Verdacht. Er hat mir nicht wirklich geglaubt.«
»Soll ich ihn töten?«, fragte Salim.
Robin dachte tatsächlich einen Moment über diesen Vorschlag nach, aber dann erschrak sie über ihre eigenen Gedanken. Sie würde Dariusz keine Träne nachweinen, sollte ihm etwas zustoßen, aber über seine Ermordung nachzudenken? Wie weit war es mit ihr gekommen?
»Das würde es nur schlimmer machen«, sagte sie kopfschüttelnd. »Außerdem bin ich nicht einmal sicher, dass er wirklich dahinter steckt.« Sie wiegte nachdenklich den Kopf und erzählte ihm dann mit wenigen, möglichst sachlichen Worten, was seit ihrer Ankunft in Safet - aber auch auf dem Weg dorthin - geschehen war. Salim hörte ihr schweigend zu, aber vor allem in dem Teil, in dem sie von ihrem Gespräch mit Odo und dem Ordensmarschall berichtete, verdüsterte sich sein Gesicht zusehends.
»Du lässt wirklich keine Gelegenheit aus, dir neue Freunde zu suchen«, sagte er mit einem spöttischen Kopfschütteln. »Mein Vater wird höchst irritiert sein zu hören, wie seine angeblichen Freunde über ihn reden, wenn er nicht dabei ist.«
»Genau genommen«, verbesserte ihn Robin, »haben sie über dich gesprochen.«
Salim schoss einen giftigen Blick in ihre Richtung ab und zog es darüber hinaus vor, ihre Bemerkung zu ignorieren. »Ich erweitere mein Angebot gern auf euren Großmeister und Ridefort. Vielleicht sollte ich sie auch umbringen.«
»Warum nicht gleich den gesamten Orden?«, fragte Robin.
»Hätten sie dir auch nur ein Haar gekrümmt«, sagte Salim sehr ernst, »dann hätte ich es getan. Du bist mein Weib. Niemand bedroht meine Frau. Und einen Mordanschlag auf sie nehme ich persönlich übel.«
»Aus Sorge um mich«, fragte Robin, »oder weil es gegen deine Ehre geht?« Salim wollte auffahren, doch Robin fuhr mit leicht erhobener Stimme, aber trotzdem eher nachdenklichem Ton fort: »Ich bin nicht einmal wirklich sicher, dass es ein Mordanschlag gewesen ist.«
»Und wofür hältst du das?« Salim blickte fragend auf den toten Skorpion hinab.
Robin musste wieder an die sonderbare Nachricht denken, die sie auf ihrem Bett gefunden hatte. »Vielleicht eine Warnung?«
»Eine Warnung?« Salim lachte. »Ja, von einem guten Freund, den du im Orden hast, wie? Aber wer immer es war, hat in der Wahl seines Botschafters keine gute Hand bewiesen.« Er stupste den toten Skorpion mit dem Fuß an und lachte dann leise. »Es muss wohl stimmen, was ihr Christen über die Überbringer schlechter Nachrichten sagt.«
Robin blieb ernst. »Und wenn er es gewusst hat?«
»Was?«
»Dass der Skorpion nicht giftig ist.«
»Du meinst, jemand wollte dir nur einen Schrecken einjagen?«
»Wenn ja, dann ist es ihm gelungen«, antwortete Robin, zuckte mit den Schultern und schüttelte fast in der gleichen Bewegung den Kopf. »Es hätte in den letzten Tagen genug Gelegenheiten gegeben, mich zu töten. Gar nicht zu reden von der bevorstehenden Schlacht. Ein verirrter Pfeil, ein fehlgeleiteter Schwerthieb ...«