Salim schien einen Moment lang ernsthaft über diese Möglichkeit nachzudenken, aber schließlich machte er eine wegwerfende Geste. »Ihr Christen seid mir zu kompliziert. Außerdem spielt es keine Rolle mehr.«
»Wieso?«
»Du hast mich noch gar nicht gefragt, warum ich eigentlich hergekommen bin«, sagte Salim, ohne ihre Frage damit zu beantworten.
Robin lächelte schelmisch. »Ich dachte, das wüsste ich schon. Zweimal, wenn ich mich richtig erinnere.«
»Ach, das.« Salim machte eine wegwerfende Geste. »Ich wollte lediglich etwas ausprobieren, was mir eine der neuen nubischen Sklavinnen meines Vaters gezeigt hat, und ...«
Robin knuffte ihn in die Rippen, und Salim verzog mit einem übertrieben gespielten Keuchen das Gesicht und tat so, als krümme er sich vor Schmerz, und Robin nutzte die Gelegenheit, seine Hände zu ergreifen und ihn mit einem überraschenden Ruck zu sich herunterzuziehen.
»Lügner«, keuchte sie, nachdem sich ihre Lippen wieder voneinander gelöst hatten und sie wenigstens halb wieder zu Atem gekommen war. »Dein Vater hat keine nubischen Sklavinnen.«
»Natürlich nicht.« Salims Hände strichen sanft über ihren Rücken. »Jetzt nicht mehr. Ich habe ihn gebeten, sie mir zu schenken. Das kannst du doch verstehen, oder? Ich meine: Du warst nicht da, und ich bin ein Mann mit gewissen Bedürfnissen.«
»Aber natürlich«, antwortete Robin. »Nur eins verstehe ich nicht: Wenn sie dir wirklich etwas Neues gezeigt hat, warum behältst du es dann für dich?«
Salims Hände hörten für einen Moment auf, sanft über ihren Rücken zu streichen. »Ich hätte dich doch bei dem Sklavenhändler lassen sollen.«
»Stimmt«, antwortete Robin. »Ich bin sicher, über kurz oder lang hätten wir uns aneinander gewöhnt. Im Grunde war er ein sehr gut aussehender Mann.«
»Er lebt noch«, sagte Salim. »Ich glaube, ich habe ihn vor kurzem gesehen, als ich unten in den Kerkern meines Vaters war. Die zwei Jahre dort haben ihm möglicherweise nicht besonders gut getan, aber wenn du ihn richtig pflegst ... soll ich meinen Vater bitten, ihn dir zu schenken?«
»Warum nicht?«, sinnierte Robin. »Die Mühe könnte sich lohnen. Ich wollte schon immer wissen, wie es mit einem richtigen Mann ist.«
Salim lachte zwar, aber Robin sah auch das warnende Glitzern in seinen Augen und spürte, dass sie im Begriff war, eine Grenze zu überschreiten, die sie besser nicht überschreiten sollte. Für einen Mann seines Volkes - noch dazu einen Mann mit Macht - ließ er ihr ungewöhnlich viel durchgehen, aber er konnte letzten Endes nicht aus seiner Haut. Und vielleicht war es auch gut so. Was sie vor Wochenfrist über Saila und ihre Tochter gedacht hatte, das galt vielleicht ebenso - vielleicht noch viel mehr - für sie selbst. Solange sie unter Salims Schutz stand, konnte sie sich beinahe jede Freiheit herausnehmen, aber sie tat ihm damit keinen Gefallen und sich selbst auch nicht.
»Hast du vorhin die Wahrheit gesagt über Dariusz?«, fragte sie. »Er ist wirklich hier?«
»Wir sind praktisch zusammen hier eingetroffen«, bestätigte Salim noch einmal, »wenn auch nicht gemeinsam. Sein weißer Mantel ist nun wirklich nicht zu übersehen. Er leuchtet meilenweit durch die Nacht. Wie eine Zielscheibe.«
»Du wirst ihm nichts tun«, sagte Robin ernst.
»Weil du so sehr um sein Wohl besorgt bist?«
»Weil ich nicht will, dass er ermordet wird«, sagte Robin ernst.
»Und das sagt die Schwiegertochter des Mannes, dem man nachsagt, er wäre Herr der Meuchelmörder und Attentäter?«
Robin schwieg dazu, aber sie wusste, dass dem nicht so war. Man sagte viel über Raschid Sinan, den Alten vom Berge, und manches davon mochte wahr sein. Manches kam der Wahrheit vermutlich nicht einmal nahe. Aber eines war er gewiss nicht: ein Mörder.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Salim und küsste sie erneut, lange und sehr zärtlich. »Ich bringe dich hier weg. Noch bevor es hell wird.«
Robin schob ihn überrascht ein kleines Stück von sich weg und versuchte sich unter ihm aufzurichten, aber Salim war zu schwer. Er stützte sich rechts und links von ihr mit den Ellbogen auf und ließ ihr gerade genug Raum, Hinterkopf und Schultern eine Winzigkeit von ihrem harten Lager zu erheben, rührte sich aber ansonsten nicht.
»Heute noch?«, fragte sie zweifelnd. »Noch vor der Schlacht?«
»Ganz bestimmt vor der Schlacht«, antwortete Salim, betont und mit einem sonderbaren Blick. »Ich bin wie der Teufel geritten, um dich hier wegzubringen, bevor dieser Irrsinn beginnt.«
Robin antwortete auch darauf nicht, und was hätte sie denn auch sagen sollen? Auch wenn sie das Gefühl bisher mit mehr oder weniger Erfolg unterdrückt hatte, so hatte sie doch tief in sich drinnen furchtbare Angst vor dem gehabt, was morgen geschehen würde. Trotzdem schob sie Salim abermals von sich, als er sie küssen wollte.
»Aber das geht nicht«, sagte sie fast erschrocken. »Ich kann nicht einfach am Morgen vor der Schlacht verschwinden! Alle werden glauben, ich wäre feige davongelaufen!«
»Wäre das denn so falsch?«, fragte Salim, hob aber rasch die Hand, als sie etwas sagen wollte, und schnitt ihr mit einer energischen Bewegung das Wort ab. Einen Moment lang blickte er noch ebenso nachdenklich wie verärgert auf sie herab, dann setzte er sich mit einem Ruck auf, schwang die Beine von der schmalen Pritsche und bückte sich nach seinem Hemd, das er vorhin fallen gelassen hatte, zog es aber noch nicht an, sondern sah nur über die Schulter auf eine so sonderbar abschätzende Art auf sie herab, dass Robin sich - absurd genug - plötzlich ihrer Nacktheit schämte und in einer fast unbewussten Bewegung die zerschlissene Decke, die zerknüllt und von ihrer beider Schweiß getränkt neben ihr lag, fast bis zu den Schultern hochzog.
»Du hast Angst, dass man Bruder Robin einen Feigling nennen wird, der vor der Schlacht geflohen ist«, fuhr Salim fort.
»Niemand wird das tun.«
»Und wenn doch?«, hörte sich Robin fast zu ihrer eigenen Überraschung antworten. »Die Templer vergessen nicht. Ich möchte nicht, dass sie mich als Feigling in Erinnerung behalten.«
»Niemand wird sich an dich erinnern«, widersprach Salim ruhig. »Sie werden sich an Bruder Robin erinnern, einen jungen Ritter, der als Protegé eines alten Mannes in den Orden aufgenommen wurde und ein paar Jahre mit ihnen geritten ist. Vielleicht werden sie ihn einen Feigling nennen, aber das glaube ich nicht einmal. Sie werden ihn vergessen. Er wird ebenso spurlos wieder verschwinden, wie er aufgetaucht ist. Für immer.«
Robin wollte auffahren, doch Salim brachte sie abermals und mit einer diesmal eindeutig ärgerlichen Geste zum Verstummen.
»Es ist vorbei, Robin. Bruder Robin ist tot. Er ist gestorben, gerade jetzt, in diesem Moment.«
Natürlich hatte er Recht, dachte Robin. Seit sich Dariusz’ und ihre Wege wieder gekreuzt hatten, hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als dass dieser Albtraum endlich ein Ende haben würde, als dass sie wieder an Salims Seite, in den Schutz seiner starken Arme und die Sicherheit und das angenehme Leben in seiner Bergfestung Masyaf zurückkehren könnte. Und doch ... warum erfüllte sie der Gedanke, einfach davonzulaufen, mit einer so sonderbaren Bitterkeit?
»Morgen zu dieser Stunde«, fuhr Salim fort und machte eine ausholende Bewegung mit der Hand, die die Hälfte des Lagers jenseits der Zeltplanen einschloss, »wird die Hälfte dieser Männer dort draußen tot sein und die andere Hälfte verwundet. Zu welcher Hälfte möchtest du gehören?«
»Ich habe einen Eid geschworen«, sagte Robin, ohne seine Frage damit direkt zu beantworten. Was hätte sie auch sagen sollen?
»Nein, das hast du nicht«, antwortete Salim heftig. »Bruder Robin hat diesen Eid geschworen. Aber damit ist es jetzt aus. Ich habe diesen Unsinn lange genug geduldet, doch jetzt ist es genug.«