Odo, der Ordensmarschall, und Dariusz bildeten die Spitze der Templer, die sich zu so etwas wie einer kleinen Armee innerhalb einer Armee zusammengeschlossen hatten, und nicht nur zu Robins Verwunderung hatte Dariusz darauf bestanden, dass auch sie selbst und Bruder Rother direkt neben ihm Aufstellung nahmen; eine Position, die weder ihr noch dem jungen Ritter aufgrund ihrer Stellung innerhalb des Ordens zukam. Dariusz hatte jedoch darauf bestanden, und da weder der Großmeister noch Ridefort - obwohl sie einen überraschten Blick getauscht hatten - Einwände erhoben hatten, hatte es Robin nicht gewagt, diese Entscheidung zu hinterfragen. Vermutlich musste sie sich aber keine Sorgen machen. Wenn die Schlacht tatsächlich so lief, wie die Meldereiter berichteten, würde Raimunds Ersatzheer erst gar nicht zum Einsatz kommen.
Der grauhaarige Tempelritter neben ihr drehte plötzlich den Kopf und beschattete die Augen mit der linken Hand, um in Richtung eines einzelnen Reiters zu blinzeln, der in scharfem Tempo über die flachen Hügel zur Rechten herangesprengt kam. Der zweifarbige Wimpel an seiner Lanze identifizierte ihn als Meldereiter, und obwohl er direkt aus der Sonne herauskam und somit kaum deutlicher denn als schwarze Silhouette zu sehen war, glaubte Robin Wappenrock und Mantel eines Johanniters zu erkennen.
Ein so hochrangiger Ritter, der die einfache Aufgabe eines Boten übernahm?, dachte Robin überrascht. Das bedeutete entweder etwas ganz besonders Gutes oder etwas außergewöhnlich Schlechtes.
Sowohl Dariusz als auch Ridefort und der Großmeister schienen wohl zu demselben Schluss gelangt zu sein, denn die drei Ritter setzten sich wie ein Mann in Bewegung, um dem Boten entgegenzureiten, und auch Robin und Rother schlossen sich ihnen an, obwohl es unter normalen Umständen ein schweres Vergehen war, seinen Platz in der Schlachtordnung ohne ausdrücklichen Befehl zu verlassen. Aber Dariusz hatte sie schließlich strengstens angewiesen, immer und unter allen Umständen in seiner Nähe zu bleiben, selbst - und sogar ganz besonders! - wenn es wider Erwarten doch zum Kampf kommen sollte.
Nicht zum ersten Mal fragte sich Robin, warum eigentlich. Sie fand auch nicht zum ersten Mal keine Antwort darauf, aber die Frage beunruhigte sie jedes Mal, wenn sie sie sich stellte, ein wenig mehr. Dariusz tat nichts ohne Grund, und es fiel Robin ziemlich schwer, etwa daran zu glauben, dass er sein ungerechtes Verhalten ihr gegenüber bedauerte und die plötzliche Besorgnis vielleicht seine Art war, ihr Abbitte zu tun. Vielleicht hoffte er insgeheim ja immer noch, dass sie in die Schlacht eingreifen würden. Wenn es dazu kam, würde sich Robin zweifellos im Zentrum der schwersten Kämpfe wiederfinden, und sie war ganz und gar nicht sicher, ob sie dem Geschehen in ihrem Rücken dann nicht ebenso viel Aufmerksamkeit schenken musste wie dem, was vor ihr geschah ...
Sie dachte einen Moment lang ernsthaft darüber nach, ob sie Dariusz einen heimtückischen Mord zutraute, und kam fast zu ihrem eigenen Erstaunen zu dem Ergebnis: nein. Trotz allem war Dariusz ein Mann, dem seine Ehre wichtiger war als sein Leben, möglicherweise sogar wichtiger als sein Glaube. Aber dieser Gedanke war nicht wirklich beruhigend. Dariusz würde sie niemals hinterrücks ermorden, aber er würde ohne Mühe einen Weg finden, sie zu beseitigen, der zu seinen verqueren Begriffen von Ehre und Gottesfurcht passte. Besser, sie blieb auf der Hut.
Robin schrak aus ihren Gedanken hoch, als die drei Reiter vor ihr plötzlich langsamer wurden und sie einen Deut zu spät reagierte. Um ein Haar wäre sie mit Dariusz zusammengeprallt, dem ihr Missgeschick natürlich nicht entging, der es aber erneut bei einem bloßen, ärgerlichen Blick bewenden ließ. Entweder, dachte Robin, er sammelte Punkte für eine lange Liste von Verfehlungen, die er ihr nach der Schlacht präsentieren würde, oder mit dem grauhaarigen Tempelritter war etwas geschehen, was ihn tatsächlich vollkommen verändert hatte. Robin konnte sich allerdings nichts Geringeres als das Erscheinen der Heiligen Jungfrau Maria persönlich vorstellen, was in der Lage gewesen wäre, das zu bewerkstelligen.
Die drei Tempelritter vor ihr waren langsamer geworden, um Platz für zwei weitere Berittene zu machen, die sich ihnen dabei anschlossen, dem Boten entgegenzureiten. In einem von ihnen erkannte Robin überrascht niemand anderen als Graf Raimund selbst, den anderen kannte sie nicht, doch er trug eine prachtvolle Rüstung und einen mit goldenen und silbernen Motiven bestickten Mantel in königlichem Rot, woraus sie schloss, dass es sich ebenfalls um einen hochrangigen Adeligen handeln musste. Odo tauschte nur ein kühles Kopfnicken mit dem Grafen aus, während es Ridefort und Bruder Dariusz vorzogen, so zu tun, als hätten sie die beiden Neuankömmlinge gar nicht bemerkt; ein Verhalten, das mehr über die wahren Gefühle der Tempelritter aussagte, als ihnen vielleicht selbst bewusst war.
»Sieg! Sieg!«, schrie der näher kommende Reiter. Er hatte die Zügel seines Pferdes losgelassen, schwenkte die Lanze mit dem flatternden Wimpel an der Spitze und riss nun auch die andere Hand in einer triumphierenden Geste über den Kopf. »Sieg!«
Graf Raimund zügelte sein Pferd, und Robin konnte sehen, wie er überrascht den Kopf auf die Seite legte, als müsse er sich lauschend davon überzeugen, tatsächlich richtig gehört zu haben. Der Bote kam noch immer näher, wurde aber nun deutlich langsamer. Obwohl die Männer vor ihm hastig auseinander zu weichen versuchten, um ihm Platz zu machen, standen sie doch einfach zu dicht gedrängt, um schnell genug zurückzuweichen. Er schrie noch immer seine Botschaft, die aus einem einzigen Wort bestand, und nach und nach nahmen immer mehr Stimmen dieses Wort auf, bis das ganze Tal von Triumphgebrüll aus Tausenden Kehlen widerzuhallen schien.
Graf Raimund drehte sich halb im Sattel um und machte eine Geste mit der linken Hand. »Wartet hier«, sagte er, sowohl an seine Begleiter als auch an die drei Tempelritter gewandt. Praktisch gleichzeitig ließ er die Zügel knallen und sprengte los, sodass sich etliche Männer vor ihm gerade noch mit hastigen Sprüngen in Sicherheit bringen oder ihre Pferde mit einer fast entsetzten Bewegung herumreißen mussten, um nicht einfach niedergeritten zu werden. Ridefort und der Großmeister tauschten einen zornigen Blick aus, und Robin konnte Dariusz ansehen, dass er den Befehl des Grafen einfach ignoriert hätte, wäre es nach ihm gegangen. Auch Odo und Ridefort fiel es sichtbar schwer, zu tun, was Raimund ihnen befohlen hatte, doch sie beherrschten sich.
Während sich Graf Raimund und der Botenreiter - von dem Robin nun sah, dass es sich tatsächlich um einen Johanniter handelte - mit immer mehr Mühe durch das Gewühl von Männern und Pferden aufeinander zubewegten, sah sich Robin mit einer Mischung aus vorsichtiger Erleichterung und einem absurderweise gleichzeitig immer intensiver werdenden, unguten Gefühl um. Die Aufregung, die von dem näher kommenden Johanniter ausging, erfasste das Heer wie die Wellen eines ins Wasser geworfenen Steines. Jubelrufe wurden laut, hier und da hatten Männer sogar ihre Posten verlassen oder ihre Speere gesenkt, um sich jubelnd zu umarmen oder gegenseitig auf die Schultern zu klopfen. Robin hatte es längst aufgegeben, die Zahl der Männer zu schätzen, inmitten derer sie sich befand. Es mussten Tausende sein, die Fußtruppen, Waffenknechte und freiwilligen Kämpfer mitgerechnet, die sich ihnen auf dem Weg ins Tal von Mardsch Ayun, dem Tal der Quellen zwischen dem Litanifluss und dem oberen Jordan, angeschlossen hatten. Obwohl sie sich von ihrer Position an der Spitze des Heeres entfernt hatten, waren es noch immer größtenteils Tempelritter, die sie umgaben, so weit ihr Blick reichte, und wieder ertappte sie sich dabei, nach einem ganz bestimmten Gesicht in der Menge zu suchen. Da der Kampf bisher nicht unmittelbar bevorgestanden hatte und der Tag unerträglich heiß war, hatten nur die wenigsten ihrer Ordensbrüder ihre Helme aufgesetzt, und Robin hatte auf dem Weg hierher jede Gelegenheit genutzt, einen Blick in ihre Gesichter zu werfen. Das, nach dem sie suchte, war nicht dabei. Vielleicht, dachte sie, hatte sie sich ja wirklich getäuscht. Vielleicht war Bruder Abbé tatsächlich nicht hier.