Выбрать главу

Statt endlich das Gesicht ihres alten Mentors zu gewahren, begegnete sie dem Blick Bruder Rothers, der sein Pferd nur eine halbe Manneslänge hinter ihr angehalten hatte. Auch er war bleich vor Anstrengung und Müdigkeit, sein Gesicht glänzte vor Schweiß, aber ihn schien weder der näher kommende Bote noch seine Siegesnachricht zu interessieren. Robin verspürte ein kurzes, eisiges Frösteln, als sie den Ausdruck in seinen Augen bemerkte. Mit einem leichten Schenkeldruck brachte sie ihr Pferd dazu, einen Schritt zurückzugehen, sodass sie nun unmittelbar neben ihm stand. Selbst wenn die Männer in ihrer Nähe nicht voll und ganz damit beschäftigt gewesen wären, dem Johanniter zuzujubeln und ihre Freude herauszuschreien, hätte jetzt niemand mehr ihre Worte hören können. »Ich habe dir noch gar nicht gedankt«, sagte sie.

Sie hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass Rother ihr antworten würde, und er tat es auch nicht. In seinem Gesicht rührte sich kein Muskel. Er starrte sie nur kalt und mit einem Ausdruck von Verachtung in den Augen an, der vielleicht mehr schmerzte, als jedes Wort es gekonnt hätte. Trotzdem fuhr sie nach einem Moment und mit einem angedeuteten Lächeln fort:

»Beantwortest du mir eine Frage?«

Rother reagierte immer noch nicht, aber sie deutete sein Schweigen als Zustimmung. »Warum hast du nichts gesagt?«

»Worüber?«, fragte er. Sein Blick wurde womöglich noch kälter.

»Über das, was du heute Morgen gesehen hast«, antwortete sie.

»Woher willst du das wissen?«, gab Rother kalt zurück. »Vielleicht habe ich es ja gesagt.«

Robin schüttelte entschieden den Kopf. »Ich wäre jetzt nicht mehr am Leben, hättest du es getan, Rother. Und auch wenn ich weiß, dass du mir wahrscheinlich nicht glaubst: Ich schwöre dir, dass du nicht das gesehen hast, das gesehen zu haben du glaubst.«

Rothers Antwort bestand nur aus einem verächtlichen Verziehen der Lippen, das sich wie ein dünner, heißer Schmerz in ihre Brust bohrte. Aber was hatte sie erwartet?

»Ich weiß nicht, warum ich Bruder Dariusz nichts gesagt habe«, antwortete er schließlich. »Vielleicht, weil ...« Er brach ab, biss sich auf die Unterlippe und schien einen Moment krampfhaft nach Worten zu suchen. Sein Blick ging dabei geradewegs durch sie hindurch, und in seinen Augen erschien ein Ausdruck von Qual, der Robin fast noch unerträglicher war als die Verachtung, die sie gerade darin gelesen hatte. Schließlich hob er die Schultern und fuhr in verändertem, noch kälterem Tonfall fort. »Was immer du angeblich getan hast, Bruder, während ich etwas anderes gesehen habe - mach es mit deinem Gewissen und mit Gott aus. Ich bin sicher, sie werden die gerechte Strafe dafür finden.«

»Rother, ich ...« Robin sprach nicht weiter, nicht nur weil Rother mit einem demonstrativen Ruck den Kopf zur Seite drehte und sie auf diese Weise spüren ließ, dass er nichts mehr hören wollte. Sie hätte es gar nicht mehr gekonnt. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Rother war viel mehr als irgendein beliebiger Ordensbruder für sie, und unendlich schlimmer als das, was er gesagt hatte, schmerzte sie die Verachtung, die sie in seinen Augen las. Für einen Moment musste sie mit aller Macht gegen die Tränen ankämpfen, die plötzlich ihre Augen füllten.

Sie verlor diesen Kampf und hob rasch den Arm, um sich mit dem Handrücken über das Gesicht zu fahren. Niemand bemerkte es, denn es war eine Geste, die jeder einzelne Mann hier an diesem Tag schon zahllose Male gemacht hatte; die Mittagsstunde war längst vorbei, doch die Hitze schien mit jeder Minute, die sich die Sonne auf ihrem Weg zum Horizont dem Abend näherte, noch zuzunehmen. Einzig Dariusz sah sie einen Moment lang nachdenklich an, drehte sich dann aber wieder im Sattel nach vorne, ohne sich irgendeine Reaktion anmerken zu lassen, und Robin blinzelte noch einmal, presste die Augenlider für einen Moment so fest zusammen, dass bunte Lichtblitze über ihre Netzhäute huschten, und wandte sich dann ebenfalls demonstrativ wieder im Sattel nach vorne.

Graf Raimund hatte den Boten mittlerweile erreicht. Robin sah, wie er sich gestenreich mit ihm unterhielt und er und der Johanniter dabei abwechselnd mit dem Arm zum vorderen Teil des Tales deuteten; dorthin, wo sich die sanften Hänge plötzlich in eine steilwandige Schlucht verwandelten, hinter der sich der Ausgang zum Flusstal des Jordan auftat. Es vergingen nur wenige Augenblicke, bis der Johanniter das Gespräch mit einem abschließenden Nicken beendete, von dem Robin selbst über die große Entfernung hinweg sehen konnte, wie wenig echter Respekt in dieser Bewegung lag, sein Pferd auf der Stelle herumzwang und dann, schneller werdend, wieder in die gleiche Richtung zurückritt, aus der er gekommen war. Auch Raimund machte kehrt und kam zurück.

»Was ist geschehen?«, begrüßte ihn Odo. »Wir haben gesiegt? Ist Faruk gefallen?«

»Seine Truppen wurden geschlagen«, antwortete Raimund.

»Was von ihnen noch übrig ist, befindet sich in wilder Flucht. Balduin und das Heer verfolgen sie. Der König ist sicher, sie am Flussufer stellen und endgültig aufreiben zu können.«

»Dann müssen wir ihnen zu Hilfe eilen«, sagte Dariusz.

»Unsere Befehle lauten ...«

»... genau hier zu warten und dafür Sorge zu tragen, dass keiner von Faruk Schahs Männern entkommt«, unterbrach ihn Raimund.

Für einen Moment wirkte nicht nur Dariusz völlig verstört. Auch Odo und der Marschall sahen nicht nur überrascht, sondern nach einem Herzschlag der Verblüffung regelrecht wütend aus.

»Aber der Schlachtplan des Königs sah vor ...«, begann Ridefort, wurde jedoch sofort wieder von Raimund und in diesmal schärferem Ton unterbrochen.

»Offensichtlich wurde der Plan geändert«, sagte Raimund.

»Der Johanniter hat einen direkten Befehl des Königs überbracht, und es steht weder mir noch Euch zu, ihn zu kritisieren. Einen sehr klugen Befehl, wie ich hinzufügen möchte.«

»Was ist klug daran, wie Feiglinge dazustehen und auf ein paar Versprengte zu warten, die uns in die Speere laufen?«, fragte Dariusz.

In Raimunds Augen blitzte es kurz und wütend auf, aber seine Stimme klang erstaunlich beherrscht, als er antwortete.

»Faruk Schah mag der Neffe Saladins sein, aber das gleiche Blut zu teilen bedeutet nicht, auch automatisch ein ebenso begnadeter Feldherr zu sein. Faruk Schah hat den entscheidenden Fehler gemacht, Balduins Truppen viel zu lange trotzen zu wollen. Sein Heer existiert praktisch nicht mehr. Was noch davon übrig ist, ist verwundet oder befindet sich in wilder Flucht. Balduins Reiter treiben sie vor sich her und werden sie am Ufer des Jordan in die Zange nehmen. Dieses Tal stellt den einzigen Fluchtweg dar, den es noch für sie gibt. Ihr werdet Euren Kampf bekommen, Tempelherr, keine Sorge. Balduins ausdrücklicher Befehl lautet, keinen der Sarazenen entkommen zu lassen. Wir machen keine Gefangenen. Faruk Schahs Heer soll nicht geschlagen, sondern bis auf den letzten Mann aufgerieben werden.« Er schüttelte den Kopf und schwieg einen winzigen Moment, doch was in diesem Augenblick auf seinem Gesicht vorging, machte wohl nicht nur Robin klar, was er von diesen Befehlen hielt.

Dennoch klang seine Stimme vollkommen ungerührt, als er fortfuhr: »Man mag davon halten, was man will, doch auf die Sarazenen - und vor allem die Männer, die Saladin anführt - wird diese Nachricht eine vernichtende Wirkung haben.« Er hob müde die Hand. »Und nun sollten wir alle auf unsere Posten zurückkehren. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die ersten Sarazenen hier auftauchen, und Ihr wollt doch nicht den Anfang der Schlacht versäumen, mein Freund, oder?«