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Dariusz’ Lippen wurden zu einem dünnen, blutleeren Strich, doch er fing im allerletzten Moment einen warnenden Blick aus Odos Augen auf und schluckte alles hinunter, was ihm so sichtbar auf der Zunge gelegen hatte. Statt zu antworten, zwang er sein Pferd mit einem schon fast brutalen Ruck herum und ritt los. Robin, aber auch Rother und die beiden anderen Tempelritter hatten fast Mühe, mit ihm Schritt zu halten, als sie ihre Positionen an der Spitze des kleinen Templerheeres wieder einnahmen.

Robin war entsetzt von dem, was sie gerade gehört hatte. Ihre vorsichtige Erleichterung, der Hölle der bevorstehenden Schlacht vielleicht doch noch entrinnen zu können, begann dem dumpfen Begreifen zu weichen, dass nun nicht nur das genaue Gegenteil der Fall sein würde, sondern ihnen auch noch der allerschlimmste Teil in diesem grässlichen Geschehen zugedacht worden war. Sie konnte kaum glauben, was Raimund berichtet hatte. Sie wollte es nicht glauben.

Robin wusste wenig über König Balduin und noch weniger über die Johanniter, und doch konnte sie sich einfach nicht vorstellen, dass er tatsächlich den Befehl erteilt haben sollte, das Heer der Sarazenen bis auf den letzten Mann auszulöschen. Keine Gefangenen? Das widersprach nicht nur allem, was selbst Dariusz über Gnade und die ritterlichen Tugenden immer wieder sagte, das war auch schlichtweg dumm. Selbst Robin, die herzlich wenig von Taktik und militärischen Dingen verstand, war klar, wie Saladin darauf reagieren musste - nämlich keineswegs voller Schrecken, sondern schlichtweg indem er dasselbe tat. Krieger, die sich auf der Flucht befanden oder sich gar ergeben wollten, wie Vieh zu schlachten, würde den Krieg nur auf eine neue, noch blutigere Stufe heben.

Sie hatten ihre Positionen an der Spitze des Heeres wieder erreicht. Raimund und sein Begleiter sprengten in scharfem Tempo an ihnen vorbei und schwenkten dann nach links, um sich ihren eigenen Truppen anzuschließen, während Dariusz streng darauf achtete, dass sie ihre Positionen in der vorderen der beiden aus je gut hundert Reitern bestehenden Reihen aus weiß und rot gepanzerten Tempelrittern exakt wieder einnahmen. Der Schlachtenlärm, der bisher wie ferner Donner über die Hügel herangerollt war, schien Robin nun deutlich näher gekommen zu sein. Nervös blickte sie nach vorne. Vorhin, als sich das Heer langsam auf den Ausgang des Tales zubewegt hatte, hatte ein Trupp von gut fünf- oder sechshundert Lanzenträgern die Spitze der Armee gebildet, der traditionelle, lebende Schutzschild, den jede Reiterarmee in einer offenen Feldschlacht vor sich herschob, um den verwundbarsten Teil eines Ritterheeres - die Schlachtrösser, wie Robin vor einigen Tagen schmerzhaft selbst in Erfahrung hatte bringen müssen - zu schützen. Nun wichen die Männer rasch nach rechts und links auseinander, sodass die beiden Reihen aus Tempelrittern tatsächlich die Spitze des Heeres bildeten.

»Euer Helm, Bruder Robin«, sagte Dariusz scharf.

Robin fuhr leicht zusammen, als ihr klar wurde, dass sie tatsächlich mittlerweile die Einzige war, die ihren Helm noch nicht aufgesetzt hatte. Hastig holte sie das Versäumte nach und hatte eine Sekunde lang das Gefühl, unter dem schweren eisernen Topfhelm ersticken zu müssen. Das trockene Stroh, mit dem er ausgestopft war, stach wie ein Kissen aus dünnen, heißen Nadeln in ihre Kopfhaut, und das Eisen selbst schien zu glühen. Die Welt vor ihren Augen schrumpfte zu einem kaum fingerbreiten Strich aus gleißender Helligkeit zusammen, und die Luft, die sie atmete, verwandelte sich in ihrer Kehle zu geschmolzenem Blei, an dem sie zu ersticken glaubte. Robin musste drei- oder viermal tief und langsam ein- und wieder ausatmen, bis sie wieder zu sich kam, und ihr Herz begann wie verrückt zu schlagen. Trotzdem senkte sie die Hand auf das Schwert, zog sie dann - um ein Haar hätte sie schon wieder einen Fehler gemacht - hastig wieder zurück und löste die leichte Angriffslanze mit der doppelseitig geschliffenen Eisenspitze vom Sattelgurt. Am Morgen, als sie die Waffe befestigt hatte, hatte sie ihr Gewicht kaum gespürt. Nun schien sie eine Tonne zu wiegen.

Dariusz beugte sich leicht im Sattel zur Seite, und Robin war sicher, dass er ihr einen neuen, scharfen Verweis erteilen würde. Den sie verdient hätte. Was war nur mit ihr los? Einen guten Teil ihres Lebens hatte sie mit nichts anderem zugebracht als damit, genau das, was sie nun tat, immer und immer wieder zu üben. Odo hatte ihr keineswegs schmeicheln wollen, als er noch am Morgen gesagt hatte, wie gut sie trotz ihrer Jugend bereits mit ihren Waffen umzugehen verstand. Nun schien es, als würde sie alles falsch machen, was sie nur falsch machen konnte, als hätte sie alles vergessen.

Sie erlebte eine Überraschung. Dariusz wollte sie keineswegs maßregeln. »Du weichst keinen Schritt von meiner Seite, Robin«, drang seine Stimme dumpf und verzerrt unter dem schweren Helm hervor. »Was immer auch geschieht, du bleibst bei mir. Hab keine Furcht. Ich werde darauf achten, dass dir nichts geschieht.«

Robin starrte ihn fassungslos an. Wollte sich Dariusz über sie lustig machen, sie verhöhnen?

»Sollte ich verwundet oder wir getrennt werden«, fuhr Dariusz fort, »dann fliehst du. Versuche nicht, mich zu retten oder den Helden zu spielen. Bring dich in Sicherheit und warte später im Lager auf mich.«

»Aber ...«, begann Robin verwirrt, doch Dariusz fiel ihr sofort in noch schärferem Ton ins Wort: »Das ist ein Befehl. Du wirst gehorchen.«

Er beendete das Gespräch, indem er sich wieder aufrichtete und seine eigene Lanze vom Sattelgurt löste, um sie mit einer tausendfach geübten Bewegung unter den rechten Arm zu klemmen und anzulegen. Neben ihm kam für einen kurzen Moment Unruhe in die ansonsten wie erstarrt dastehenden Reihen aus weiß gekleideten Rittern, als sich ein weiterer Reiter zu ihnen gesellte, der eine deutlich längere Lanze mit einem großen, in schlichtem Schwarz und Weiß gehaltenem Wimpel trotzig in die Luft reckte, dem Baussant, dem heiligen Banner des Templerordens, unter dem sie in jede Schlacht zogen.

Robin überkam ein sonderbares Gefühl von Ehrfurcht, als sie das schlichte Banner betrachtete, ein Gefühl, das sie im ersten Moment zutiefst verwirrte, weil sie es niemals bei sich selbst erwartet hätte. Ihren Ordensbrüdern war dieses Banner heilig. Dem Ritter, der es in die Schlacht tragen durfte, wurde eine besondere Ehre zuteil, und es war ihm bei schwerer Strafe verboten, die Fahne zu senken, um sie etwa im Angriff wie eine Lanze zu verwenden, obgleich auch sie von einer messerscharf geschliffenen Klinge gekrönt wurde. Tat er es doch, verlor er für ein Jahr und einen Tag den weißen Mantel des Ritters und damit alle seine Privilegien, musste im Speisesaal auf dem nackten Boden sitzen, um zu essen, und war nicht nur gezwungen, die niedersten Arbeiten zu verrichten, sondern auch die Verachtung und den Hohn und Spott seiner Brüder zu ertragen. Robin hatte Geschichten von unglaublichen Heldentaten gehört, die vollbracht worden waren, nur um diese Fahne zu retten, und sie hatte sie nie wirklich verstanden. Für sie war das Baussant bis jetzt nichts weiter als ein Fetzen Stoff gewesen, ein Zeichen, unter dem sich die Ritter versammelten oder an dem sie sich orientierten, aber nicht mehr. Doch plötzlich glaubte sie zu verstehen, was hinter diesen Geschichten steckte. Es war nichts Heiliges an diesem Stoff. Was sie für einen Moment fast vor Ehrfurcht erschauern ließ, das war der Gedanke daran, was im Namen dieses Banners getan worden war und wozu sein bloßer Anblick und das Wissen darum, wofür es stand, Männer befähigt hatte.

Mühsam riss sie ihren Blick von der schwarzweißen Fahne los und sah wieder nach vorne. In dem schmalen Ausschnitt des Tages, zu dem der Sehschlitz ihres Helmes die Welt verwandelte, kam ihr der Ausgang aus dem Tal plötzlich dunkler vor, gefährlicher und vor allem schmaler. Ihr Herz klopfte noch immer so hart, dass sie jeden einzelnen Schlag in der Kehle spürte, und sie versuchte vergeblich, sich selbst einzureden, dass es nur an der Hitze lag, unter der sie immer noch litt.