Wieder ließ sie ihren Blick über die Reihen der wie erstarrt dastehenden Tempelritter schweifen; weiße Gespenster, deren Mäntel mit Blut bemalt waren und die sich in der hitzeflimmernden Luft des Nachmittags aufzulösen schienen. Nichts rührte sich. Es war fast unheimlich still. Sie hatte entsetzliche Angst.
Dann, nach einer schieren Ewigkeit, wie es ihr vorkam, erschienen die ersten Reiter hinter der Biegung des schmalen Tales. Es waren nicht viele; eine Hand voll, fünf oder sechs, und es waren genau die Männer, die sie erwartet hatten: Gestalten mit Turban und in langen, dunklen Mänteln, die Speere und Rundschilde trugen und die hier typischen kleinen, zähen Pferde ritten, aber sie benahmen sich nicht so, wie sie sollten. Robin konnte den Unterschied nicht in Worte fassen - jedenfalls nicht sogleich -, und doch wusste sie sofort und mit unerschütterlicher Sicherheit, dass dies nicht die Reiter Faruk Schahs waren, die sich auf der verzweifelten Flucht vor dem nachrückenden Heer des Königs befanden. Die Sarazenen ritten schnell, aber sie flohen nicht.
Robin beobachtete am linken Rand des schmalen Ausschnittes der Welt, den sie durch den Sehschlitz ihres Helmes überblicken konnte, wie Raimund den linken Arm hob; nicht zu einer Geste des Angriffes, sondern dem genauen Gegenteil. Niemand rührte sich. Irgendwo schnaubte unruhig ein Pferd, ein anderes Tier scharrte nervös mit den Hufen über den steinigen Boden, als wäre es genau wie sein Reiter begierig darauf, sich endlich dem Feind entgegenzuwerfen. Die Sarazenen galoppierten noch ein kurzes Stück in scharfem Tempo weiter auf sie zu, als würden sie vom Schwung ihrer eigenen Bewegung mitgerissen, zügelten aber dann ihre Pferde und wurden langsamer, kurz bevor sie den schmalen Teil der Schlucht hinter sich gebracht hatten.
Sie waren viel zu weit entfernt, als dass ihre Gesichter mehr als helle Flecke unter den schwarzen Turbanen gewesen wären, und trotzdem glaubte Robin für einen Moment den Ausdruck maßlosen Entsetzens zu erkennen, der von ihren Zügen Besitz ergriff. Plötzlich wurde ihr klar, wie erbärmlich ihre eigene Angst war. Diese Männer dort vorne waren gerade dem sicheren Tod entkommen, und nun, als sie im buchstäblich allerletzten Moment und wahrscheinlich gegen alles, was sie selbst zu hoffen gewagt hatten, einen Ausweg gefunden zu haben glaubten, sahen sie sich einer zweiten, noch dazu ausgeruhten Armee von Feinden gegenüber. Sie konnte das Entsetzen des halben Dutzend Reiter fast körperlich nachempfinden.
Odo machte eine schnelle, weit ausholende Geste mit dem linken Arm, der den Schild hielt, und eine rasche Bewegung lief durch die Reihen der Tempelritter. Robin war nach wie vor nicht in der Lage, sich zu rühren. Ihre Gedanken drehten sich immer schneller im Kreis. Sie hatte all das hundertfach geübt, kannte jedes Manöver, jeden Befehl wie im Schlaf, und doch wusste sie plötzlich nicht mehr das Geringste. Es war ihr Pferd, das reagierte, nicht sie, als sich die Templer in einer raschen, fast spielerisch anmutenden Bewegung umgruppierten. Aus zwei Reihen gepanzerter Schlachtrösser wurden vier, als die Männer ihre Aufstellung änderten, denn das Tal vor ihnen war viel zu schmal, um hundert Reitern nebeneinander Platz zu bieten. Die Reiter hielten jeweils einen Abstand von gut drei Pferdelängen zueinander, damit die nachrückenden Reiter Zeit hatten, zu reagieren, wenn der Mann vor ihnen stürzte oder ein anderes, unvorhergesehenes Manöver machte. Sie standen jetzt so dicht beieinander, dass sich ihre Knie berührten. Robin roch den scharfen Schweiß der Pferde, lauschte dem Klopfen ihres eigenen, immer schneller schlagenden Herzens und versuchte ruhiger zu atmen. Es ging nicht. Unter dem Helm war es so heiß, dass sie hecheln musste, um überhaupt noch Luft zu bekommen.
Die Sarazenen hatten ihre Tiere mittlerweile vollkommen zum Stehen gebracht, und Robin sah, wie sie sich heftig gestikulierend miteinander unterhielten. Seltsam - sie hatte nicht den Eindruck, dass sie Angst hatten. Jedenfalls nicht so viel, wie sie haben sollten.
Rechts von ihnen hob Odo abermals den linken Arm mit dem Schild, und auf der anderen Seite sagte Raimund rasch und mit scharfer, weithin verständlicher Stimme: »Bleibt, wo Ihr seid, Odo! Ihr kennt den Befehl des Königs!«
Der Großmeister des Templerordens senkte langsam, widerwillig, wie es Robin erschien, den Arm, und erneut lief eine kaum spürbare Welle der Bewegung durch die nun vier Reihen in Eisen und strahlendem Weiß gepanzerten Reiter. Ein winziger Teil der Anspannung, den Robin bisher gefühlt hatte, wich. Aber nicht viel.
»Was tut dieser Feigling?«, murmelte Dariusz neben ihr. Er sprach nicht laut, und sein Helm dämpfte und verzerrte seine Worte zusätzlich, aber Robin war ihm nahe genug, um sie trotzdem zu verstehen. »Wir können sie ... sie nicht einfach entkommen lassen.«
»Niemand rührt sich!«, rief Graf Raimund noch einmal und noch lauter. Seine Stimme bebte vor Anspannung, auch wenn Robin ganz und gar nicht sicher war, wem diese Anspannung tatsächlich galt.
Die Sarazenen saßen noch immer gute hundertfünfzig oder zweihundert Schritte vor ihnen reglos in den Sätteln ihrer Pferde. Sie hatten aufgehört, miteinander zu debattieren, und starrten für endlose Sekunden einfach nur zu ihnen hin. Dann, so präzise, als beobachtete Robin einen tausendfach eingeübten Tanz, rissen sie alle im gleichen Bruchteil eines Lidschlages ihre Pferde herum und sprengten in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren.
Vielleicht war es gerade diese eine, eigentümliche Bewegung, die die Katastrophe auslöste. Robin sollte noch oft und vergebens darüber nachdenken, was es gewesen war, Absicht, ein blinder Reflex, vielleicht der Wille des Schicksals oder einfach nur Dummheit ... alles ging unglaublich schnell, und nachdem es einmal begonnen hatte, wäre vielleicht niemand mehr in der Lage gewesen, es noch aufzuhalten.
»Nein«, sagte Dariusz mit zitternder Stimme. »Das wird nicht geschehen!« Und damit riss er seine Lanze in die Höhe, schwenkte sie so mühelos wie ein anderer Mann sein Schwert hoch über dem Kopf in der Luft und schrie mit vollem Stimmaufwand: »Gott will es!«
Gleichzeitig sprengte er los. Robin bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Graf Raimund beinahe entsetzt mit beiden Armen zu gestikulieren begann, und sie glaubte auch seine Stimme zu hören, wie sie sich schrill und beinahe überschlagend vergebens bemühte, gegen den Lärm von achthundert Pferdehufen anzukommen, die praktisch gleichzeitig losgaloppierten.
Nichts davon zeigte irgendeine Wirkung. Auch Robins Pferd setzte sich vollkommen ohne ihr Zutun in Bewegung und fiel in den schnellen, kräftesparenden Trab, den Dariusz und die anderen einschlugen, und falls Odo und Ridefort vorgehabt hatten, ihren übereifrigen Bruder zurückzuhalten, so gingen ihre Befehle im Dröhnen der Hufschläge und dem Gott will es! unter, das die zweihundert Reiter aufnahmen und wie einen lauter und lauter werdenden Schlachtruf wiederholten, als sie, allmählich schneller werdend, auf den schmalen Ausgang des Tales zuritten. Die senkrecht aufstrebenden Felsen hallten wider vom Dröhnen der Pferdehufe, dem Klirren von Stahl und dem an- und abschwellenden Schlachtruf.
Plötzlich schien für Robin alles unwirklich zu werden. Die Hitze unter dem Helm wurde immer unerträglicher, ihr Herz hämmerte wie verrückt, und sie verspürte eine Furcht wie niemals zuvor im Leben, und dennoch erschien ihr all dies plötzlich sonderbar irreal, als wäre sie unversehens in einen Traum geraten, der sie einfach mit sich riss und aus dem aufzuwachen ihr vollkommen unmöglich war. Die Wände des Tales flogen nur so an ihnen vorüber, obwohl die Pferde noch längst nicht ihr volles Tempo entwickelt hatten, dann hatten sie die Biegung erreicht, preschten herum - und aus dem Albtraum wurde etwas anderes, viel, viel Schlimmeres.