Aber wohin? Je weiter sie sich dem Rand des Schlachtfeldes näherte, desto auswegloser erschien ihr ihre Lage. Die Schlacht hatte längst um sich gegriffen wie ein Feldbrand, der außer Kontrolle geraten war.
Die flüchtenden Truppen waren auf das siegreiche Heer Balduins gestoßen und rissen es einfach mit sich, und die Sarazenen setzten nach und lösten das ganze Heer der Christen im Chaos auf. Robin hatte längst die Orientierung verloren. Über dem Schlachtfeld brodelte der Staub so heftig, als ritte sie durch dichten Nebel, und die kämpfenden Gestalten ringsum schienen sich mehr und mehr in unheimliche Schatten zu verwandeln, die wie Gespenster aus den wirbelnden Schwaden auftauchten und wieder darin verschwanden. Robins Nase blutete noch immer und machte ihr das Atmen schwer, und Staub und Schweiß brannten in ihren Augen und machten sie fast blind. Zum Feldlager, hatte Salim gesagt. Aber in welcher Richtung lag es? Plötzlich wurde ihr klar, dass sie sich inmitten der beiden ineinander verkeilten Heere hoffnungslos verirrt hatte. Sie wusste nicht mehr, wo sie war, und noch viel weniger, wohin sie sich wenden sollte. Ringsum herrschte unbeschreiblicher Lärm. Fliehende jammerten in Panik, Ritter versuchten Befehle zu brüllen, die niemand mehr hörte, Verwundete und Sterbende schrien ihr Leid heraus, verängstigte Pferde wieherten. Überall ertönte Schwertergeklirr, und die Luft war brütend heiß und dazu so voller Staub, dass sie kaum noch atmen konnte.
»Bruder Robin! Hier!«
Im gleichen Moment, in dem die Stimme verzerrt und schrill durch das Schreien und den Schlachtenlärm an ihr Ohr drang, prallte irgendetwas mit einem dumpfen Schlag gegen ihre Seite. Robin wischte den Pfeil weg, der sich im Geflecht ihres Kettenhemdes verfangen hatte, ohne es durchdringen zu können, und hielt, von einer wilden Hoffnung erfüllt, nach dem Besitzer der Stimme Ausschau, die ihren Namen gerufen hatte. Etwas Weißes und Silbernes blitzte irgendwo links von ihr auf und verschwand wieder, und noch einmal glaubte sie zu hören, wie ihr Name gerufen wurde.
Ein zweiter, diesmal besser gezielter Pfeil flog so dicht an ihrem Helm vorbei, dass sie tatsächlich das Geräusch hören konnte, mit dem sein gefiedertes Ende an dem Eisen vorbeistrich. Robin duckte sich, zwang ihre scheuende Stute herum und sprengte auf die Insel aus aufblitzendem Weiß und schimmerndem Metall zu, die inmitten des Chaos vor ihr brodelte.
Es war nicht Salim. Für einen winzigen, von wilder Hoffnung erfüllten Moment glaubte sie eine gedrungene Gestalt zu erkennen, die ein mächtiges Bastardschwert schwang, dann riss der Vorhang aus Staub und tanzenden Schatten auf, und eine eisige Hand schien nach Robins Herz zu greifen und es zusammenzudrücken, als sie erkannte, dass es auch nicht Bruder Abbé war, der ihren Namen gerufen hatte. Vor ihr erhob sich eine Festung aus lebenden Körpern und Eisen, über der trotzig ein schwarzweißes Banner flatterte. Im allerersten Moment dachte sie, es wäre Ridefort gewesen, der sie erkannt und ihren Namen gerufen hatte, dann jedoch erblickte sie die riesige, breitschultrige Gestalt, die unmittelbar neben dem Ordensmarschall im Sattel eines gewaltigen Streitrosses saß und ihr zuwinkte. Dariusz?, dachte sie verwirrt. Ganz egal, was auch immer er ihr zu Beginn der Schlacht gesagt hatte: Warum sollte sich Dariusz in einem solchen Moment wie diesem um sie sorgen?
Die Reihen der Templer teilten sich, als sie näher kam, um sie hindurchzulassen, und Robins Pferd griff fast ohne ihr Zutun schneller aus. Keuchend vor Erschöpfung und nicht mehr in der Lage, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen, langte sie neben Dariusz’ und dem Marschall an und starrte verständnislos in die dunklen Augen des grauhaarigen Tempelritters, die sie durch den schmalen Sehschlitz seines Helmes mit einem Ausdruck wirklicher Sorge musterten. Robin versuchte erst gar nicht, dieser Erkenntnis irgendeinen Sinn abzugewinnen - aber Dariusz’ Blick machte ihr klar, dass er tatsächlich Angst um sie gehabt hatte und nun sehr erleichtert war, sie lebend und unversehrt wiederzusehen. Sie wollte etwas sagen, doch Dariusz schnitt ihr mit einer groben Bewegung das Wort ab und bedeutete ihr mit einer zweiten, eindeutig befehlenden Geste, hinter ihm und Ridefort Aufstellung zu nehmen. Als sie gehorchte und ihr Pferd an ihm vorbeilenkte, griff er wortlos zu und pflückte zwei abgebrochene Pfeile aus ihrem Kettenhemd; Robin hatte nicht einmal bemerkt, dass sie getroffen worden war.
»Bleib hinter mir!«, schrie Dariusz. »Ganz egal, was passiert!«
Robin hätte gar nicht anders gekonnt, als seinem Befehl Folge zu leisten. Es mochten gute zwei Dutzend Ritter sein, die sich um Ridefort und das Baussant geschart hatten, und der Druck der von allen Seiten auf sie einstürmenden Angreifer wurde so groß, dass sich ihre Pferde kaum noch bewegen konnten, selbst wenn sie es gewollt hätten.
Dennoch wurden sie Schritt für Schritt zurückgedrängt. Robin duckte sich, als sie einen Schatten aus den Augenwinkeln heraus auf sich zufliegen sah. Der Speer verfehlte sie, traf den Ritter hinter ihr und prallte wirkungslos an seiner Rüstung ab; dennoch war seine Wucht so gewaltig, dass der Mann taumelte und aus dem Sattel gestürzt wäre, wäre er nicht gegen den Reiter neben sich geprallt und von diesem aufgefangen worden. Und immer mehr und mehr Sarazenen stürmten heran. Die Templer in ihren schweren Rüstungen und auf ihren gepanzerten Pferden bildeten ein nahezu unüberwindliches Hindernis, an denen sich die Flut der säbelschwingenden Angreifer brach wie Meeresbrandung an einem unüberwindlichen Riff, und kaum einer der Angreifer überlebte auch nur den ersten Zusammenprall. Doch ihre Zahl schien unerschöpflich, und statt sie einzuschüchtern oder gar in die Flucht zu schlagen, schien ihnen der Anblick der flatternden schwarzweißen Fahne nur immer mehr Kraft und Kampfeswillen zu verleihen. Langsam, aber unbarmherzig, Schritt für Schritt und eine schreckliche Spur aus toten und sterbenden Männern und verwundeten Tieren und zerbrochenen Waffen und blutgetränkten Kleidern zurücklassend, wurden Ridefort und sein kleines Häufchen unerschrockener Verteidiger zurückgedrängt. Auch ihre Zahl schmolz zusammen. Ganz langsam nur, aber sie wurden weniger.
Und schließlich zerbrach auch die lebende Festung, inmitten derer sich Ridefort, Dariusz und sie selbst befanden. Es war ein einzelner Reiter, der die Katastrophe auslöste. Robin sah, wie er zwei, drei wuchtige Schwerthiebe mit einem besonders hartnäckigen Angreifer austauschte, der mit zwei Schwertern gleichzeitig und ohne Schild kämpfte; eine Technik, die sie ein paar Mal auch bei Salim beobachtet hatte, und ihr Herz machte einen erschrockenen Sprung in ihrer Brust, als sie sah, dass der Reiter ganz in Schwarz gehüllt war und sich auch sein Gesicht hinter einem schwarzen Tuch verbarg, dann aber wurde ihr klar, dass er viel größer und deutlich älter war als Salim. Der Tempelritter trieb den schwarz gekleideten Sarazenen, rücksichtslos darauf vertrauend, dass seine schweren Rüstungen die Schwerthiebe abwehren würde, vor sich her und verließ dabei die geschlossene Reihe, die die gepanzerten Pferde bisher gebildet hatten.
Es war nicht nur sein Todesurteil.
Der brutalen Kraft seiner Hiebe hatte der Sarazene nichts entgegenzusetzen. Mit seinen beiden Schwertern gelang es ihm, die ersten zwei oder drei Schläge noch abzuwehren, dann zerschmetterte ein Hieb des gewaltigen Breitschwerts nicht nur seine Klinge, sondern grub sich auch tief in seine nur von dünnem Stoff geschützte Schulter. Der Mann stürzte tödlich getroffen vom Pferd, doch auch um den Ritter war es geschehen. Nicht mehr inmitten seiner Kameraden, war er dem Angriff von nahezu einem Dutzend Kriegern zugleich schutzlos ausgeliefert. Der Reiter verschwand einfach unter einer Flut heranstürmender Gegner, und noch bevor er zusammenbrach, drängten weitere Sarazenen heran und versuchten die Lücke zu verbreitern, die der Reiter in der Verteidigungslinie der Templer hinterlassen hatte. Mit dem Mut der Verzweiflung warfen sich die Ritter den Angreifern entgegen, doch diesmal nutzte ihnen alle Tapferkeit nichts mehr. Die Lücke verbreiterte sich, und die gesamte Formation begann zusammenzubrechen.