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Robin hatte keine Lanze mehr, und hätte sie eine gehabt, es hätte ihr nichts genutzt. Dariusz schlug plötzlich mit dem Schild zu und versetzte ihrem Pferd einen Hieb gegen den Hals, der es zwar nicht taumeln ließ, aber nachhaltig aus dem Tritt brachte, sodass sie ein kurzes Stück zurückfiel und alle Hände voll damit zu tun hatte, nicht abgeworfen zu werden, und diese winzige Zeitspanne reichte. Als Robin die Gewalt über ihr Tier zurückerlangt hatte, prallten die beiden Reitertrupps aufeinander.

Die Erde erzitterte. Es war, als führe ein gigantischer Hammer auf einen noch gigantischeren Amboss herab. Für einen Moment schien die Welt aus nichts anderem als dem Krachen der aufeinander prallenden Körper zu bestehen, und vor Robins ungläubig aufgerissenen Augen wiederholte sich das Wunder, dessen Zeuge sie schon einmal geworden war: Ungeachtet der gewaltigen Überzahl der Sarazenen schienen die Templer das feindliche Heer einfach zu zermalmen. Die schiere Wucht ihres Angriffes ließ die Reihen der Sarazenen einfach zusammenbrechen. Es waren Saladins Truppen, nicht die Tempelritter, die zurückwichen, und für einen ganz kurzen Moment sah es beinahe so aus, als sollte sich das Schlachtenglück noch einmal wenden. Und vielleicht wäre es Ridefort und seinen Männern tatsächlich gelungen, das Schicksal noch einmal herumzureißen, allein durch den beispiellosen Mut seiner Männer und ihren unbedingten Willen zu siegen, denn die Truppen, die sich ihnen entgegengeworfen hatten, wankten nicht nur, sie begannen zurückzuweichen, und Panik machte sich unter Mensch und Tier breit.

Plötzlich war es, als lege sich der Schatten einer riesigen Hand über das Schlachtfeld. Robin hob erschrocken den Blick. Auf den Felsen oberhalb des Talausgangs standen Männer. Hunderte von Männern, die kurze, geschwungene Hornbögen in den Händen hielten. Und der Himmel war schwarz von Pfeilen. Ihr blieb gerade noch Zeit, den Arm mit dem zerbrochenen Schild in die Höhe zu reißen, aber nicht mehr, um wirklich zu begreifen, was geschah, bevor die Geschosse wie tödlicher schwarzer Regen auf sie herunterzuprasseln begannen.

Keiner der aus großer Entfernung abgeschossenen Pfeile vermochte ihre Rüstung oder ihren Helm zu durchschlagen, doch die pure Wucht der Geschosse riss ihren Arm zurück und warf sie im Sattel nach hinten, und so gut geschützt sie auch sein mochte, ihr Pferd war es nicht. Das Tier schrie gequält auf, als sich gleich vier oder fünf Pfeile gleichzeitig durch seine Schabracke bohrten und tief und quälend in sein Fleisch bissen, stieg auf die Hinterläufe hoch und warf sie ab, und Robin konnte sich gerade noch mit einer verzweifelten Bewegung zur Seite rollen, um nicht unter dem sterbenden Pferd begraben zu werden. Seine im Todeskampf zuckenden Hufe streiften ihren Helm, und der Schlag war so gewaltig, dass ihr schwarz vor Augen wurde und sie einen Moment lang mit aller Kraft gegen die Bewusstlosigkeit kämpfen musste.

Als sich die schwarzen und blutroten Schleier vor ihren Augen wieder verzogen, bot sich ihr ein Anblick, den sie nie wieder wirklich vergessen sollte. Sie hatte trotz allem Glück gehabt. Dariusz’ Stoß mit dem Schild hatte sie weit genug zurückgeworfen, sodass der Regen aus tödlichen schwarzen Pfeilen sie nur gestreift hatte. Dariusz selbst und der Rest ihrer Ordensbrüder hatten weniger Glück.

Hunderte, wenn nicht Tausende von Pfeilen regneten von der Höhe der Felsen aus auf sie herab, trafen Ritter und Sarazenen, christliche und muslimische Pferde ohne Unterschied und verwandelte den bisher so unaufhaltsam erscheinenden Ansturm der Tempelritter in ein einziges Chaos aus zusammenbrechenden Pferden und stürzenden Menschen. Robin beobachtete entsetzt, dass die allermeisten Pfeile Saladins eigene Männer trafen, deren wollene Mäntel und Burnusse ihnen keinen Schutz vor dem Tod boten, der erbarmungslos aus dem Himmel auf sie herabregnete. Vielleicht blieb der Angriff der Templer einfach stecken, weil sie plötzlich über einen Berg aus zusammenbrechenden Pferden und Männern stolperten. Die verzweifelte Hoffnung, die sie für einen Moment noch gehabt hatte, wurde von einem Atemzug auf den anderen von Entsetzen und schierem Grauen abgelöst, als sich die Schlacht vor ihr in reines Chaos verwandelte.

Als der Pfeilregen nach der dritten oder vierten Salve aufhörte, war kaum noch einer der Tempelritter im Sattel. Neun von zehn Pferden lagen tot oder sterbend am Boden, viele hatten ihre Reiter unter sich begraben, und nur einige wenige Tiere galoppierten reiterlos davon. Die Anzahl der Opfer unter Saladins Reitern musste ungleich größer sein, doch aus dem schmalen Tal strömten immer noch mehr und mehr Sarazenen heran, für die die Templer nun, ohne ihre gewaltigen Schlachtrösser, leichte Opfer sein mussten. Wie durch ein Wunder sah sie, wie sich Ridefort inmitten des Getümmels aufrichtete und die schwarzweiße Fahne der Templer schwenkte, und in der breitschultrigen Gestalt neben ihm erkannte sie niemand anderen als Dariusz, der mit einer fast trotzigen Bewegung seinen Schild hob und sich schützend neben dem Ordensmarschall aufbaute.

Auch Robin taumelte mühsam auf die Füße. Der zerbrochene Schild war beim Sturz vollends von ihrem Arm geglitten, und sie hatte auch ihr Schwert fallen gelassen. Mühsam bückte sie sich danach und hob es auf, und ohne wirklich zu denken, wollte sie herumfahren und zu Dariusz, Ridefort und den anderen laufen. Doch als hätte er die Bewegung gespürt, drehte sich der breitschultrige Ritter neben Ridefort plötzlich um und machte eine winkende Bewegung mit dem Schwert in ihre Richtung.

»Robin!«, schrie er. »Flieh! Wir sehen uns in Safet!«

18. KAPITEL

Selbst über die große Entfernung hinweg sah Robin, wie Ridefort überrascht den Kopf wandte und erst Dariusz, dann sie und dann wieder Bruder Dariusz anstarrte, und für einen winzigen Moment wusste sie nicht, was sie tun sollte. Ein Teil von ihr, der immer noch Tempelritter war und sich an den Eid gebunden fühlte, den sie vor so langer Zeit abgelegt hatte, drängte danach, weiterzulaufen und ihren Platz an der Seite ihrer Ordensbrüder einzunehmen, auch wenn das vermutlich ihren sicheren Tod bedeutet hätte, aber da war plötzlich noch eine andere, mächtigere Stimme, und diese Stimme wollte nichts anderes als leben. Nicht einmal für sich. Sie konnte das Gefühl nicht begründen - und doch wusste sie plötzlich einfach, dass ihr Leben nicht mehr ihr allein gehörte, sie nicht das Recht hatte - nicht mehr! -, damit zu verfahren, wie es ihr beliebte, sondern dass da noch etwas anderes, Wichtigeres war, für das sie weiterleben musste. Sie machte nur noch einen einzigen, stolpernden Schritt, dann blieb sie stehen und verschwendete noch eine weitere, kostbare Sekunde damit, hilflos zu Dariusz und den anderen hinzusehen. Dann aber fuhr sie auf dem Absatz herum und stürmte los, so schnell sie konnte.

Was nicht besonders schnell war. Dass die Pfeile ihr Kettenhemd und ihren Helm nicht durchschlagen hatten, bedeutete nicht, dass sie nicht verletzt war. Robin spürte, dass sie aus zahllosen Schrammen und Abschürfungen blutete, und jeder einzelne Muskel in ihrem Körper schien verkrampft zu sein; es bereitete ihr immer größere Mühe, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und das Schwert in ihrer Hand schien plötzlich Zentner zu wiegen. Hinter ihr erscholl ein gewaltiges Krachen und Bersten, gefolgt von einem Chor aus Schmerz- und Wutschreien, doch Robin wagte es nicht, sich auch nur umzusehen, sondern raffte im Gegenteil all ihre verbliebene Kraft zusammen und stolperte schneller weiter.

Trotzdem hätte sie es nicht geschafft, wäre in diesem Moment nicht ein dritter Schutzengel aufgetaucht, den ihr das Schicksal sandte. Er erschien in Gestalt eines reiterlosen Pferdes im Weiß und Rot der Tempelritter, das plötzlich wie aus dem Nichts neben ihr stand und sie aus großen, verängstigten Augen anblickte.

Robin verschwendete keine Zeit damit, darüber nachzudenken, ob dieses neuerliche Wunder nun purer Zufall war oder Gott vielleicht tatsächlich etwas Besonderes mit ihr vorhatte. Mit dem letzten bisschen Kraft, das sie aufbringen konnte, griff sie nach dem Zaumzeug des Pferdes, langte mit der anderen Hand zum Sattelhorn und zog sich mit allerletzter Anstrengung hinauf. Das Pferd wieherte nervös und begann unruhig auf der Stelle zu tänzeln, sodass sie um ein Haar sofort wieder abgeworfen worden wäre, beruhigte sich aber dann, als es das vertraute Gewicht eines Reiters auf dem Rücken spürte. Robin schob mit zitternden Fingern das Schwert in die Scheide, griff mit beiden Händen nach den Zügeln und drehte sich nun doch im Sattel um.