Выбрать главу

Hier bot sich ihr ein anderer, grausam ehrlicher Anblick. Überall zwischen dem niedergebrochenen, geknickten Schilf lagen die Leichen leicht gerüsteter Fußsoldaten, die keine Kettenhemden oder Rüstungen getragen hatten, die sie vor den Pfeilen oder Schwertern der Sarazenen hätten schützen können. Es mussten Hunderte sein, wenn nicht Tausende, niedergestreckt wie Stroh unter der Klinge eines grausamen Schnitters, viele von ihnen noch am Leben, aber dennoch todgeweiht. Robin begriff plötzlich, wie schrecklich falsch der Eindruck gewesen war, den sie trotz allem bisher von der Schlacht gewonnen hatte. Inmitten der schwer gepanzerten Reiterei der Tempelritter war sie sich auch im Angesicht heranstürmender Feinde nahezu unverwundbar vorgekommen, doch das Privileg, das für die Soldaten Christi galt, hatte wenig Gültigkeit für die einfachen Fußtruppen und Waffenknechte gehabt. Was hier stattgefunden hatte, das war keine Schlacht gewesen, dachte sie bitter, sondern ein Massaker. Wohin sie auch blickte, sah sie verwundete und tote Männer beider Seiten und erschlagene Pferde.

Mit einer unendlich müden Bewegung lenkte sie ihr Pferd herum und dichter an den sumpfigen Uferstreifen heran. Blut und hochgespritztes Wasser hatten den Morast zu einem hässlichen Rosa verfärbt, in dem ihr Pferd immer wieder wegzurutschen drohte, und ein süßlicher, ekelerregender Geruch nach Verwesung stieg ihr in die Nase und ließ sie würgen. Sie wusste nicht, in welche Richtung sie sich wenden sollte, wo Safet war oder das Feldlager, sondern schlug die Richtung ein, in der die Kämpfe am wenigsten schlimm schienen. Eine verwundete Gestalt stemmte sich neben ihr aus dem Morast und streckte ihr eine blutbesudelte Hand entgegen. Gesicht und Kleidung waren so voller Schlamm und Blut, dass Robin nicht erkennen konnte, zu welcher Seite er gehörte. Spielte es eine Rolle?

Robin starrte mit leerem Blick auf ihn hinab. Ihr Pferd trabte langsam weiter, und dennoch war da eine leise Stimme in ihr, die ihr zuflüsterte, dass sie diesem Mann helfen müsse. Er war verwundet und brauchte sie, und es spielte keine Rolle, unter welcher Fahne er gekämpft hatte, ob es ein von einem christlichen oder einem heidnischen Hammer geschmiedetes Schwert gewesen war, das ihn verwundet hatte. Er würde sterben, noch bevor der Tag zu Ende war, und in derselben Erde begraben werden wie seine Mörder.

Sie ritt noch ein kurzes Stück weiter, hielt dann doch an und drehte sich müde im Sattel herum. Irgendetwas an dem Verletzten hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, aber sie konnte selbst nicht sagen, was. Er war nur einer von hunderten, die im zertrampelten Schilf des Ufers lagen, und doch ...

Vielleicht war es nur ihr Gewissen, das ihr zu schaffen machte. Sie hatte ein Leben genommen, und so absurd der Gedanke war, vielleicht war es einfach ihre Pflicht, ein anderes dafür zu retten.

Es kostete sie erhebliche Mühe, das widerstrebende Pferd auf der Stelle umzudrehen und wieder zu dem Verletzten zurückzureiten. Die Hufe des Tieres kamen nur schwer aus dem sumpfigen Boden frei und verursachten dabei schmatzende Geräusche, als versuche der Morast mit aller Kraft, sein Opfer festzuhalten, und Robin überlegte einen Moment ganz ernsthaft, ob sie diesen Umstand als Omen deuten und vielleicht doch weiterreiten sollte.

Natürlich tat sie es nicht. Sie glaubte nicht an Omen, so wenig wie an göttliche Fügung oder die lenkende Macht des Schicksals. Was sie in der zurückliegenden Stunde gesehen hatte, das hatte sie eines mit unerschütterlicher Gewissheit begreifen lassen: Was zählte, das war nicht Gottes Wille oder ein übermächtiges Schicksal, sondern einzig das, was Menschen einander im Namen des einen oder anderen antaten.

Was sie gerade gedacht hatte, war die Wahrheit gewesen: Sie war es diesem Mann schuldig, sein Leben zu retten. Oder es wenigstens zu versuchen.

Gerade als sie ihr Pferd mit deutlich mehr Gewalt als gutem Zureden aus dem Uferschlamm herausgebracht hatte und die fünfzehn oder zwanzig Schritte zu dem Verwundeten zurückreiten wollte, sprengte eine ganze Abteilung christlicher Ritter heran. Sie hielten so direkt auf den Mann zu, dass es unmöglich ein Zufall sein konnte - doch dann geschah etwas Sonderbares: Kaum war der erste nahe genug heran, um den Mann wirklich zu sehen, da riss er sein Pferd mit einer so abrupten Bewegung zurück, dass das Tier erschrocken scheute und ihn um ein Haar abgeworfen hätte, und auch die anderen Reiter hielten abrupt inne. Für einen Moment breitete sich etwas wie ein kleiner Aufruhr unter dem halben Dutzend Männern aus, ein heftiges Gestikulieren und Kopfschütteln und Deuten. Einer der Reiter löste eine Armbrust von seinem Sattel und steckte sie wieder weg, als einer der anderen mit einem wütenden Kopfschütteln darauf reagierte. Dann riss das halbe Dutzend Reiter wie ein Mann seine Pferde herum und sprengte davon.

Robin sah ihnen verstört nach. Sie versuchte das Wappen zu erkennen, das auf den Schilden und Mänteln der Männer prangte, aber ihre Kleider waren zu schmutzig und die Männer zu schnell im Staub verschwunden. Was hatte das zu bedeuten?

Trotz allem neugierig geworden, stieg sie aus dem Sattel und bereute diese Idee sofort, denn dem Tier schien endgültig aufgegangen zu sein, dass es nicht sein legitimer Besitzer gewesen war, der es in diese ungastliche Umgebung gelenkt hatte; es riss sich los und sprengte mit einem protestierenden Wiehern davon. Robin sah ihm ärgerlich - auf sich selbst, nicht auf das Pferd - nach, dann wandte sie sich endgültig um und ging mit schnellen Schritten los.

Irgendetwas Seltsames ging hier vor, und sie würde herausfinden, was. Die sonderbare Stimmung, die von ihr Besitz ergriffen hatte, verflog mit jedem Schritt, mit dem sie sich dem Verwundeten näherte, mehr. Vielleicht war das, was sie gedacht hatte, auch einfach nur melancholischer Unsinn, und die Belastung der Schlacht war einfach zu viel für sie gewesen. Robin beschleunigte ihre Schritte noch einmal - und blieb dann ebenso überrascht stehen wie die Ritter gerade vor ihr.

Der Verwundete war nicht der einzige Ritter, der im blutig-rot gefärbten Schilf des Uferstreifens lag. Robin schätzte die Anzahl der Erschlagenen auf mindestens ein Dutzend, und die Männer trugen ausnahmslos nachtschwarze Mäntel, geschwärzte Kettenhemden und Helme und dreieckige schwarze Schilde ohne Wappen oder irgendwelche Insignien.

Dennoch wusste Robin sofort, wen sie vor sich hatte.

Einem der erschlagenen Lazarusritter war der Helm vom Kopf gerutscht. Er lag mit dem Gesicht nach unten in einer Pfütze aus brackigem Wasser, aber Robin war fast froh, ihn nicht genau erkennen zu können. Das Wenige, was sie von seiner Haut sah, war schon beinahe mehr, als sie sehen wollte. Dennoch blieb sie stehen, und für einen kurzen Moment fochten Neugier und Furcht einen stummen Kampf hinter ihrer Stirn aus.

Die Neugier gewann. Zögernd ließ sich Robin in die Hocke sinken und streckte den Arm aus, um den Toten auf den Rücken zu drehen, aber dann verließ sie im letzten Moment doch der Mut. Was sie von der Haut des Mannes sehen konnte, bot einen verheerenden Anblick. Nässende Geschwüre und Pusteln bedeckten seine vernarbte Wange, und ein Teil seiner Unterlippe fehlte, was ihm ein schreckliches, für alle Zeiten erstarrtes Totenkopfgrinsen verlieh. Robin stand fast erschrocken wieder auf und legte die letzten Schritte zu dem Verwundeten beinahe rennend zurück.

Sie war nicht einmal wirklich überrascht. Ob der König verletzt war oder nicht, konnte sie nicht sagen, denn sein Pferd war gestürzt und lag quer über seinen Beinen. Das Tier lebte noch und schnaubte leise vor Schmerz, war aber nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen. Die zersplitterten Schäfte von gleich drei Pfeilen ragten aus seiner Flanke.

»Und ich hätte geschworen, dass Ihr weiterreitet und mich meinem Schicksal überlasst. Immerhin habt ihr Tempelherren allen Grund, mir zu grollen.«

Robin wappnete sich innerlich gegen den Anblick, der sich ihr bieten musste, wenn sie in Balduins zerstörtes Gesicht blickte, doch es war wie gerade, als sie an ihm vorbeigeritten war: Sie sah auch jetzt nichts außer einer fast konturlosen schlamm-braunen Masse, in der das einzige Lebendige ein Paar fast schon unnatürlich klarer, stechend grüner Augen war, das sie ebenso aufmerksam wie besorgt, aber auch mit einem deutlichen Anteil von Spott musterte. Im allerersten Moment schnürte ihr der Anblick die Kehle zu, denn sie glaubte, ein einziges Grauen erregendes Geschwür zu sehen, zu dem die Krankheit sein Gesicht gemacht hatte, doch sie erkannte auch fast sofort ihren Irrtum. Balduin hatte das schwarze Kettenhemd, das er unter seinem Wappenrock trug, so weit nach oben gezogen, dass er seinen Rand am Nasenschutz des wuchtigen Helmes einhaken konnte, sodass sein Gesicht fast vollkommen bedeckt war, und in dem engmaschigen Kettengeflecht hatten sich Klumpen blutigen Morastes festgesetzt.