Ein so jäher Schrecken durchfuhr sie, dass sie hochfuhr und nicht einmal den stechenden Schmerz zur Kenntnis nahm, den die unvorsichtige Bewegung in ihrer Schulter auslöste. Mit einem Ruck fegte sie die Decke zur Seite und atmete erleichtert auf, als sie sah, dass sie darunter wenigstens nicht nackt war, sondern ein einfaches leinenes Gewand trug. Allerdings war es eine Erleichterung, die nicht sehr lange anhielt. Sie war verletzt worden, und jemand hatte sie verbunden, und das bedeutete zwangsläufig, dass man sie ausgezogen hatte! War ihr Geheimnis noch gewahrt?
Sie wusste es nicht. Sie versuchte sich damit zu beruhigen, dass vermutlich schon die bloße Tatsache, dass sie noch am Leben war, diese Frage mit einem ganz klaren Ja beantwortete. Sie war nicht in Ketten. Sie befand sich - vermutlich - nicht in einem Kerker, und der Schnelligkeit nach zu schließen, mit der Nemeth verschwunden war, stand vor ihrer Tür auch keine Wache - aber was besagte das schon?
Der Gedanke wollte Panik in ihr auslösen, doch das ließ sie nicht zu. Stattdessen zog sie die Decke wieder hoch und setzte sich auf, vorsichtig und soweit es ihre verletzte Schulter zuließ. Sie musste vor allem Ruhe bewahren, gleich, ob ihr Geheimnis nun gelüftet war oder nicht. Sie atmete ein paar Mal gezwungen tief ein und aus und lauschte in sich hinein. Das rasende Hämmern ihres Herzens beruhigte sich wieder, und sie fühlte sich auch sonst erstaunlich gut. Selbst der Schmerz in ihrer Schulter war nicht besonders schlimm; wenigstens so lange sie sich nicht bewegte, war es eher ein dumpfer Druck als ein wütendes Pochen.
Als sie die Augen wieder öffnete, flog die Tür auf, und Nemeth kam hereingestürmt, auf dem Fuß gefolgt von einer zwanzig Jahre älteren Ausgabe ihrer selbst, die allerdings im Gegensatz zu ihrer Tochter nicht freudestrahlend hereingehüpft kam, sondern sich im Gegenteil bemühte, eine möglichst strenge Miene aufzusetzen. Auch wenn es ihr nicht wirklich gelang.
»Ja, das habe ich mir gedacht!«, begann sie in scharfem Ton, kaum dass sie sich dem Bett auf drei Schritte genähert hatte.
»Kaum schlägt sie die Augen auf, hat sie auch schon wieder nur Unsinn im Kopf!«
Nemeth verdrehte die Augen und schlenkerte kurz die Hand aus dem Gelenk vor dem Gesicht, als wäre sie versehentlich mit den Fingern an einen heißen Topf geraten. Robin blinzelte ihr verschwörerisch zu, bevor sie sich mit einem Lächeln an Saila wandte.
»Ja, ich freue mich auch, dich zu sehen«, sagte sie. »Wie geht es dir?«
»Ganz bestimmt besser als Euch«, antwortete Saila, während sie sich neben Robins Bett aufbaute und herausfordernd die Fäuste in die Hüften stemmte; eine Haltung, die möglicherweise beeindruckend gewirkt hätte, wäre sie dreißig Jahre älter und zweihundert Pfund schwerer gewesen. Es gelang ihr auch nicht ganz, den Ausdruck von Erleichterung in ihren Augen zu unterdrücken. Dennoch fuhr sie mit einem missbilligenden Kopfschütteln und in noch viel missbilligenderem Ton fort: »Wollt Ihr Euch umbringen, Herrin? Ihr seid schwer verletzt, habt ein schlimmes Fieber hinter Euch - und das alles noch dazu in Eurem Zustand ...«
Robin unterbrach sie mit einer müden, zugleich aber auch sehr entschlossenen Geste. »Mein Zustand ist nichts gegen den der meisten Männer, die mit mir in die Schlacht geritten sind«, sagte sie. Saila sah sie so irritiert an, als hätte sie in einer fremden Sprache geredet, sodass sich Robin genötigt fühlte hinzuzufügen: »Immerhin lebe ich noch, was man wohl nicht von sehr vielen anderen behaupten kann. Mit dem Fieber allerdings hast du Recht, fürchte ich.« Sie fuhr sich demonstrativ mit der Zungenspitze über die Lippen, was es aber eher noch schlimmer zu machen schien. Ihre Zunge war so trocken wie ein Stück Holz. Sie wunderte sich fast, dass sie überhaupt reden konnte. »Ein Schluck Wasser wäre nicht schlecht.«
Saila rührte sich nicht, aber Nemeth fuhr auf dem Absatz herum und wuselte davon, während ihre Mutter sie weiter auf eine Art ansah wie eine Lehrerin, die es mit einem ganz außergewöhnlich uneinsichtigen Kind zu tun hatte. Allmählich begann sich Robin darüber zu ärgern. Natürlich war dies eben Sailas Art, um derentwillen sie sie ja auch schätzte, aber manchmal kannte sie weder Maß noch Ziel, und Robin war auch nicht in der Verfassung, allzu viel Geduld zu zeigen.
»Wie ist die Schlacht ausgegangen?«, fragte sie in merklich kühlerem Ton, wovon sich Saila allerdings wenig beeindruckt zeigte.
»Das weiß ich nicht«, behauptete sie. »Ich bin eine Frau, und Eure Schlachten interessieren mich so wenig, wie sie Euch interessieren sollten. Habt Ihr denn wirklich nichts anderes im Sinn als Eure unwürdigen Ritterspiele?«
Nemeth kam zurück und brachte ihr einen Becher Wasser, und sie gewann ein wenig Zeit damit, ihn entgegenzunehmen und einen großen Schluck zu trinken. Er löschte ihren Durst nicht wirklich, löste aber dafür einen heftigen Hustenanfall aus, sodass sie sich im Bett krümmte und die Hälfte des Wassers verschüttete, bevor Saila ihr den Becher abnahm und sie mit einem langen und beinahe schon zufriedenen Blick maß. Sie verkniff es sich, irgendetwas zu sagen, aber das war auch gar nicht nötig.
»Ist es möglich, dass Salim auch hier ist?«, fragte Robin, nachdem sie wieder halbwegs zu Atem gekommen war. Saila nickte, und Robin fügte in griesgrämigem Ton hinzu: »Das dachte ich mir. Ich nehme an, du hast dich lange und ausgiebig mit ihm unterhalten.«
»Das war gar nicht notwendig«, erwiderte Saila schnippisch.
»Was Eure Rolle als sein Weib und die zukünftige Königin über Masyaf angeht, so sind wir einer Meinung.«
»Dann hätte er vielleicht besser dich heiraten sollen«, erwiderte Robin gereizt. Ihr scharfer Ton tat ihr fast sofort wieder Leid, zumal sie sich allmählich wirklich miserabel zu fühlen begann. Das Eingeständnis, dass Saila durchaus Recht hatte, machte es auch nicht unbedingt besser. »Dann wäre es vielleicht nett, wenn du Salim holst«, fuhr sie fort. »Ich nehme an, wenigstens er wird sich freuen, mich zu sehen.«
Saila gab ihrer Tochter einen entsprechenden Wink, aber das Mädchen zögerte. Offensichtlich wollte es mit Robin sprechen und war nun enttäuscht, fortgeschickt zu werden.
»Hast du die Herrin nicht gehört?«, fuhr Saila sie an. »Geh und sag dem Herrn Bescheid!«
»Das ist nicht mehr notwendig«, sagte eine wohl bekannte Stimme von der Tür her. Robin drehte überrascht den Kopf und hätte beinahe vor Freude laut aufgeschrien, und Bruder Abbé kam näher und fuhr mit einem gutmütig-spöttischen Lächeln in Sailas Richtung fort: »Deine Tochter war laut genug, um im ganzen Haus gehört zu werden. Und ich fürchte, nicht nur da.«
»Abbé!«, entfuhr es Robin. Sie wollte aufspringen, erinnerte sich aber gerade noch rechtzeitig genug daran, was das letzte Mal geschehen war, und beließ es dabei, sich vorsichtig ein wenig höher aufzusetzen. Dennoch machte Abbé eine schon vorauseilend besänftigende Geste und verstrubbelte Nemeth im Vorbeigehen aus derselben Bewegung heraus das Haar, während er weiter auf Robin zukam. »Und ich hatte schon Angst, du würdest mich nicht mehr erkennen, nach all der Zeit, die vergangen ist, und allem, was du erlebt hast, meine Tochter.«
Robin riss erschrocken die Augen auf, doch Abbé kam ihrem Protest zuvor. »Keine Angst«, sagte er rasch. »Du bist hier in Sicherheit. Diese Wände haben zwar Ohren, aber keine Münder, um all die Geheimnisse auszuplaudern, die sie schon gehört haben.« Er lachte leise und sah sich bezeichnend um. »Leider, oder gottlob - das kommt wohl ganz darauf an, wen du fragst, vermute ich.«
»Wo ... sind wir hier?«, fragte Robin zögernd. Tief verborgen hinter Abbés Lächeln war ein Ausdruck, der sie irritierte. Der Templer verheimlichte ihr etwas.
»In Sicherheit«, antwortete Abbé, was im Grunde keine Antwort war, fuhr aber auch fast unmittelbar fort: »In diesem Haus bist du nichts als eine verwundete Frau, die von ihrer Sklavin und ein paar Freunden hergebracht wurde, um gesund gepflegt zu werden. Es wurde kein verletzter Tempelritter hergebracht.«