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»Ich doch nicht!«, versicherte Nemeth. Ihre Hand kam so schnell unter ihrem Kleid hervor, als hätte sie den Betrag schon längst abgezählt bereitgehalten, und händigte ihn dem Händler aus. Der Mann begann zwar lautstark zu lamentieren, dass er drei Frauen und ein Dutzend hungriger Kinder zu Hause hätte und solche Preise zweifellos der Grund für ihren bevorstehenden Hungertod seien, was ihn aber nicht daran hinderte, das Geld in Windeseile verschwinden zu lassen und Nemeth im Gegenzug ein rechteckiges Stück steinharten Honigs zu geben. Reingelegt, dachte Robin. Sie nahm sich vor, Salim bei nächster Gelegenheit nahe zu legen, Nemeth unter seine Fittiche zu nehmen. Das Mädchen war offensichtlich die geborene Intrigantin.

Nemeth begann genießerisch an ihrem Honig zu schlecken, während sie weitergingen. Robin warf - fast gegen ihren eigenen Willen - noch einmal einen Blick über die Schulter zurück, aber sie sah auch jetzt nichts Auffälliges.

Aus dem einfachen Grund, dass da nichts war, versuchte sie sich in Gedanken zu beruhigen. Sie war hysterisch. Es war ein Fehler gewesen, das Haus zu verlassen, und nun bezahlte sie den Preis dafür.

Sie würde Salim ganz gewiss nichts von diesem Ausflug erzählen.

Langsam schritten sie weiter über den Basar. Robin verspürte immer wieder den Wunsch, sich umzudrehen, um nach ihrem - eingebildeten - Verfolger Ausschau zu halten, aber sie gestattete sich nicht, diesem Bedürfnis nachzugeben, und die selbst auferlegte Disziplin half. Das Gefühl, beobachtet zu werden, war immer noch da, nun aber nur noch schwach am Rande ihres Bewusstseins. Und nach einer Weile hatte sie es beinahe ganz vergessen. Das bunte Treiben und Lärmen des Basars nahm sie wieder in Beschlag, und statt sich weiter selbst zu quälen, konzentrierte sie sich lieber auf das, was sie sah, hörte und roch.

Der Basar zog sich über ein unerwartet langes Stück dahin, und es war nur einer von mehreren, die es hier in der Stadt gab. Die Anzahl der Männer und Frauen, die sich auf der schmalen Straße drängten, erschreckte Robin im ersten Moment fast, aber Jerusalem war ja auch eine große Stadt, und ihr Unbehagen mochte durchaus andere Gründe haben. Obwohl sie seit nunmehr gut zwei Jahren im Heiligen Land lebte, war sie tatsächlich erst ein einziges Mal auf einem Basar gewesen - und da hatte sie als Sklavin auf einem Podest gestanden und war zum Verkauf feilgeboten worden.

Nicht alle Waren wurden auf der Straße angeboten. Zahlreiche Türen standen offen - soweit es überhaupt welche gab -, und überall forderten aufgeregte Stimmen die Vorübergehenden lautstark auf, einzutreten und einen Blick auf die besten und preiswertesten Waren diesseits des Mittelmeeres zu werfen. Handwerker arbeiteten an Tellern, Teekannen oder prächtigen Harnischen, der verlockende Duft frisch zubereiteter Speisen drang ihr in die Nase, und in manchen Häusern sah sie Männer mit großen Turbanen und noch größeren Schnurrbärten, die im Schneidersitz zusammensaßen und Tee tranken. Der eine oder andere warf ihr ein verwirrtes Stirnrunzeln zu, wenn er ihre unverhohlen neugierigen Blicke bemerkte, aber sie erntete auch mehr als ein Lächeln. Allmählich begann sie sich zu fragen, wie viel von diesem Land und seinen Menschen sie eigentlich kannte. Sie war jetzt seit zwei Jahren hier, doch sehr viel mehr als Omars Sklavenkerker und Raschids Bergfestung hatte sie im Grunde noch nicht gesehen.

Sie stellte sich auch noch eine weitere Frage, die ihr fast gegen ihren Willen in den Sinn kam. Nemeth und sie waren vollkommen allein hierher gekommen, eine Frau und ein Mädchen ohne die Begleitung eines Mannes, und sie versuchte sich einen Marktplatz in ihrem Heimatland vorzustellen, eine finstere Gasse irgendwo am Rande der Stadt, in der sich Händler, Zigeuner, fahrendes Volk und finstere Gestalten herumtrieben, und fragte sich, ob sich eine schutzlose Frau und ein Kind dort auch so sicher fühlen würden wie hier.

Die Antwort auf diese Frage wollte sie gar nicht wissen.

»Was ist das hier eigentlich?«, fragte sie nach einer Weile und deutete auf die gewaltige Wand aus sandbraunem Fels, die die komplette rechte Seite der Gasse bildete.

»Der Tempelberg«, antwortete Nemeth und schleckte an ihrem Honig.

Robin blieb überrascht stehen. »Der Tempelberg?«

»Der Al-Schadenal-Sharif, den ihr Tempelberg nennt, um genau zu sein«, bestätigte Nemeth. Sie klang ein bisschen triumphierend, als wäre ihr gerade ein besonders raffinierter Streich gelungen. »Er ist die drittheiligste Stätte des Islams. Es heißt, dass Muhammad eine Traumreise nach Jerusalem unternahm, um hier auf den Tempelberg zu steigen und von dort den Koran zu empfangen. Und soweit ich mitbekommen habe, ist er auch für euch Christen von großer Bedeutung. Ihr wolltet doch hierher, oder?«

Robin nickte zwar, aber sie hatte Mühe, den Worten des Mädchens zu folgen. Ihr Blick tastete staunend über die gut fünf oder sechs Meter hohe Wand. »Er sieht so ... gerade aus«, murmelte sie. »Fast wie eine Mauer.«

»Manche behaupten auch, genau das wäre er«, sagte Nemeth triumphierend. Robin sah sie zweifelnd an, aber Nemeth nickte nur noch heftiger und fuhr fort: »Es gibt nicht wenige, die glauben, König Salomon hätte diesen ganzen Berg bauen lassen. Ich weiß nicht, ob das stimmt oder nicht, aber es heißt, dass er voller Gänge und Stollen und geheimer Kammern wäre. Und es gibt sogar Türen, die hineinführen. Seht Ihr?« Sie deutete mit einer weit ausholenden Geste auf eine niedrige Tür aus wuchtigen, eisenbeschlagenen Bohlen, die nur wenige Schritte entfernt tatsächlich in die braune Sandsteinmauer hineinführte.

Vielleicht war ihre Bewegung etwas zu schwungvoll, denn als sie den Arm wieder zurückzog, streifte ihre Hand einen Mann, der gerade vorübergehen wollte. Das Stück Honig flog davon, und der Mann - er war nicht viel größer als Robin, aber mindestens doppelt so breit und dreimal so schwer - blieb mitten im Schritt stehen und blickte mit gerunzelter Stirn auf den klebrigen Honigstreifen hinab, der auf seinem Mantel zurückgeblieben war. Nemeth schlug erschrocken die Hand vor den Mund, bückte sich aber dann hastig, um ihren Honig aufzuheben, und der Dicke versetzte dem Honig einen Fußtritt, der ihn endgültig davonschlittern ließ.

»He!«, protestierte Nemeth. »Mein ...«

Sie kam nicht weiter. Der dicke Mann versetzte ihr eine Ohrfeige, die sie zwei Schritte rückwärts stolpern und dann auf das Hinterteil plumpsen ließ.

»Du dummes Kind«, fauchte er. »Kannst du denn nicht aufpassen? Jetzt sieh dir nur an, was du mit meinem Mantel gemacht hast!«

Nemeth presste die Hand gegen die Wange, wo sie der Schlag getroffen hatte, und starrte den Dicken aus aufgerissenen Augen an, die sich rasch mit Tränen füllten. Dem Mann schien das allerdings nicht zu genügen, denn er trat mit einem wütenden Grunzen auf Nemeth zu und hob den Arm, um sie noch einmal zu schlagen.

»Das genügt«, sagte Robin.

Sie hatte nicht einmal sehr laut gesprochen, aber ihre Stimme war von einer so schneidenden Kälte erfüllt, dass der Dicke den Arm tatsächlich wieder sinken ließ und sich zu ihr umdrehte. Im allerersten Moment wirkte er einfach nur verwirrt, dann blitzte Wut in seinen Augen auf. »Was hast du gesagt, Weib?«

Er war nicht der Einzige, der auf Robins Stimme aufmerksam geworden war. Zwei oder drei Männer waren stehen geblieben und blickten stirnrunzelnd in ihre Richtung, und es schien leiser geworden zu sein. Nach und nach erstarben immer mehr Gespräche in ihrer unmittelbaren Umgebung.

Robin gemahnte sich in Gedanken zur Vorsicht. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war Aufsehen.

»Ich sagte, es ist gut«, antwortete sie. »Das Mädchen war ungeschickt, und Ihr habt es dafür gezüchtigt. Ich finde, das reicht.«

»So, findest du?«, fragte der Dicke lauernd. Er hatte jedes Interesse an Nemeth verloren, und Robin beschlich das ungute Gefühl, dass ihre Worte vielleicht doch nicht ganz so mit Bedacht gewählt gewesen waren, wie sie geglaubt hatte.