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»Was guckst du so, Junge?« fragte Thom. »Es sind keine Trollocs hier in diesem Schatten verborgen.«

»Straßenräuber«, murmelte Mat. »Ich dachte an Straßenräuber.«

»In Tar Valon gibt es auch keine Straßenräuber oder Schläger, Junge. Wenn die Wache einen Räuber festnimmt — und es gibt nicht viele, die das hier überhaupt versuchen, denn Gerüchte verbreiten sich schnell —, dann schleift sie ihn zur Burg, und was die Aes Sedai auch mit ihm machen, jedenfalls verläßt er am nächsten Tag Tar Valon wieder mit den unschuldigen Augen einer Jungfrau. Wie ich hörte, behandeln sie eine Frau noch härter, wenn sie beim Klauen erwischt wird. Nein, die einzige Art, hier sein Geld loszuwerden, ist, wenn man poliertes Messing als Gold kauft oder wenn einer gezinkte Würfel verwendet. Straßenräuber gibt es hier nicht.«

Mat drehte sich auf der Stelle um und ging an Thom vorbei in Richtung Hafen los. Sein Bauernspieß knallte auf die Pflastersteine, als könne er sich damit noch abstoßen und schneller laufen. »Wir werden das erste Schiff nehmen, das den Hafen verläßt. Das erste, Thom!«

Thoms Stock klapperte ihm hastig hinterher. »Langsam, Junge. Was hast du es denn so eilig? Es gibt eine Menge Schiffe. Tag und Nacht fahren welche ab. Mach langsam. Es gibt keine Straßenräuber hier.«

»Das erste verfluchte Schiff, Thom! Und wenn es am Sinken ist, wir werden trotzdem drauf sein!« Wenn das keine Straßenräuber waren, was waren sie dann? Das müssen einfach Diebe gewesen sein. Was denn sonst?

32

Das erste Schiff

Das Becken des Südhafens selbst, von den Ogiern angelegt, war riesengroß, rund und von einer hohen Mauer aus dem gleichen mit Silber durchsetzten Stein erbaut wie der Rest Tar Valons. Bis auf eine Lücke zog sich der lange, überdachte Kai ganz um das Hafenbecken herum. Die Lücke ergab sich durch das breite Wassertor, das jetzt offenstand, um den Schiffen die Durchfahrt zum Fluß zu gestatten. Schiffe aller Größen lagen am Kai vertäut, meist mit dem Achterschiff voraus. Trotz der frühen Stunde eilten Schauerleute in groben, ärmellosen Hemden geschäftig umher und luden oder entluden Ballen und Kisten, Truhen und Fässer, entweder mit Hilfe von Tauen und Ladebäumen oder auf dem Rücken. Lampen hingen von den Dachbalken, beleuchteten den Kai und bildeten ein Lichtband, das sich um das schwarze Wasser im Becken herumzog. Kleine offene Boote huschten durch die Dunkelheit. Die viereckigen Laternen an den Heckmasten ließen sie wie Glühwürmchen erscheinen, die über den Hafen flogen. Sie waren allerdings nur dann klein, wenn man sie mit den Schiffen verglich; manche verfügten über bis zu sechs Ruderpaare.

Als Mat den immer noch knurrigen Thom durch ein Sandsteintor zur Treppe hinunter an den Kai führte, machten Besatzungsmitglieder gerade die Taue eines Dreimasters los, der keine zwanzig Schritt entfernt lag. Das Schiff war größer als die meisten anderen in Sichtweite. Es maß vielleicht fünfzehn oder zwanzig Spannen vom scharfen Bug bis zum eckigen Heck. Das ebene Deck mit seinem Geländer darum lag beinahe auf gleicher Höhe wie der Kai. Das Wichtige daran war allerdings, daß es ablegte. Das erste Schiff, das lossegelt. Ein grauhaariger Mann kam über den Kai herangeschritten. Auf die Ärmel seines dunklen Mantels waren drei senkrechte Stücke Hanftau aufgenäht. Das wies ihn als Hafenmeister aus. Seine breiten Schultern deuteten an, daß er möglicherweise einst als Schauermann angefangen hatte und die Taue schleppte, die er jetzt am Ärmel trug. Er blickte kurz in Mats Richtung und blieb mit einem Mal stehen. Auf seinem ledrigen Gesicht zeigte sich Überraschung. »An Euren Bündeln sehe ich, was Ihr plant, Junge, doch das vergeßt Ihr besser wieder. Die Schwester zeigte mir eine Zeichnung von Euch. Ihr werdet kein Schiff im Südhafen betreten, Junge. Geht zurück, damit ich keinen Mann von der Wache abziehen muß, um Euch zu überwachen.«

»Was unter dem Licht...?« knurrte Thom.

»Das hat sich geändert«, sagte Mat mit fester Stimme. Die Seeleute lösten gerade das letzte Tau. Die eingerollten dreieckigen Segel hingen wie dicke, blasse Bündel an den langen, geneigten Segelstangen, aber jetzt machten die Männer die Ruder bereit. Er zog das Dokument der Amyrlin aus der Tasche und hielt es dem Hafenmeister vor die Nase. »Wie Ihr seht, bin ich im Auftrag der Amyrlin selbst unterwegs aus der Burg. Und ich muß mit diesem Schiff hier weg.«

Der Hafenmeister las den Text, und dann las er ihn noch mal. »So was habe ich noch nie im Leben gesehen. Warum sagt einem die Burg, Ihr dürftet nicht gehen, und dann gibt man Euch... das?«

»Fragt doch die Amyrlin, wenn Ihr wollt«, riet ihm Mat mit sanfter Stimme, als glaube er nicht, daß irgend jemand so dumm sei, das zu tun, »aber sie zieht mir und Euch das Fell über die Ohren, wenn ich nicht mit diesem Schiff segle.«

»Das schafft Ihr nicht«, sagte der Hafenmeister, aber er bildete doch mit den Händen einen Schalltrichter am Mund: »Ihr an Bord der Grauen Möwe dort! Haltet ein! Licht, seng euch, haltet ein!«

Der Bursche mit nacktem Oberkörper am Ruder blickte zurück und sprach dann mit einem hochgewachsenen Mann in einem dunklen Mantel mit Puffärmeln. Der große Mann blickte unverwandt die Besatzungsmitglieder an, die gerade die Ruder ins Wasser senkten. »Und alle zugleich!« rief er. Die Ruderblätter ließen das Wasser aufschäumen.

»Ich schaffe es«, fauchte Mat. Ich sagte, das erste Schiff, und ich meinte das erste Schiff! »Komm, los, Thom!«

Er wartete nicht darauf, daß der Gaukler ihm folgte, sondern rannte den Kai hinunter, wobei er um Männer und Karren herumkurven mußte, die mit ihrer Fracht dastanden. Die Lücke zwischen dem Heck der Grauen Möwe und dem Kai wurde breiter, als die Ruder fester ins Wasser eintauchten. Mat packte seinen Bauernspieß, schleuderte ihn wie einen Speer auf das Schiff, machte noch einen Schritt, und dann sprang er, so weit er nur konnte.

Das dunkle Wasser unter ihm wirkte eiskalt, aber einen Herzschlag später war er über die Reling des Schiffs und rollte sich auf dem Deck ab. Als er auf die Beine kam, hörte er hinter sich ein Grunzen und einen Fluch.

Thom Merrilin zog sich mit einem weiteren Fluch an der Reling hoch und kletterte an Deck. »Ich habe meinen Stock verloren«, knurrte er. »Ich werde einen neuen brauchen.« Er rieb sich das rechte Bein und blickte hinunter auf den immer breiter werdenden Wasserstreifen hinter dem Schiff. Er schauderte. »Ich habe doch heute schon gebadet.« Der Rudergänger mit nacktem Oberkörper starrte erst Mat und dann ihn entgeistert an und dann wieder zurück. Er packte das Ruder, als glaube er, sich gegen Verrückte zur Wehr setzen zu müssen.

Der hochgewachsene Mann schien beinahe genauso entgeistert. Seine blaßblauen Augen quollen heraus, und sein Mund bewegte sich, ohne einen Ton hervorzubringen. Sein dunkler Spitzbart zitterte vor Wut und sein schmales Gesicht lief purpurrot an. »Beim Stein!« brüllte er schließlich. »Was soll das denn heißen? Ich habe auf diesem Schiff nicht einmal Platz für eine Katze, und selbst wenn, würde ich noch lange keine Vagabunden mitnehmen, die einfach auf mein Deck springen! Sanor! Vasa! Werft dieses Pack über die Reling!« Zwei erschreckend große Männer, barfuß und mit nacktem Oberkörper, richteten sich von den Taurollen auf und kamen zum Achterdeck herüber. Die Männer an den Rudern taten ihre Arbeit wie vorher, bückten sich, um die Ruderblätter anzuheben, machten drei Schritte auf dem Deck nach vorn, richteten sich auf und gingen wieder zurück. So brachten sie das Schiff langsam in Fahrt.

Mat wedelte dem bärtigen Mann mit dem Dokument der Amyrlin vor der Nase herum. Er nahm an, es müsse der Kapitän sein. Mit der anderen Hand fischte er eine Goldkrone aus seiner Manteltasche. Dabei achtete er trotz seiner Hast darauf, daß der Bursche auch das andere Geld sehen konnte. Er warf dem Mann die schwere Münze zu und sprach schnell, wobei er immer noch mit dem Dokument herumfuchtelte: »Wiedergutmachung für unser seltsames Eindringen, Kapitän. Unsere Passage bezahlen wir außerdem. Wir sind im Auftrag der Weißen Burg unterwegs. Auf persönlichen Befehl des Amyrlin-Sitzes. Es ist wichtig, daß wir sofort lossegeln. Nach Aringill in Andor. Größte Eile ist geboten. Der Segen der Weißen Burg gilt allen, die uns behilflich sind, und der Zorn der Burg allen, die uns hindern.«