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»Ich kenne die Namen aller Könige und Königinnen, Junge, und auch die sämtlicher Hochlords von Tear. Ich schätze, sie haben vielleicht einen der kleineren Lords vom Land erhoben, aber andererseits hätte ich davon gehört, wenn ein alter Hochlord gestorben wäre. Wenn du lieber ein paar arme Burschen aus ihrer Kabine geworfen hättest und nicht gerade den Kapitän, hätten wir jeder ein eigenes Bett, wenn auch vielleicht ein wenig eng und hart. Jetzt müssen wir uns Mallias Bett teilen. Ich hoffe, du schnarchst nicht, Junge. Ich kann Schnarchen nicht ausstehen.«

Mat knirschte mit den Zähnen. Wie er sich erinnerte, schnarchte Thom derart, daß es klang wie die Sägearbeit einer Kompanie Schreiner. Das hatte er vergessen.

Es war dann einer der beiden ungeschlachten Männer — entweder Sanor oder Vasa; seinen Namen nannte er nicht —, der kam und die eisenbeschlagene Geldtruhe des Kapitäns unter dem Bett hervorzog. Er sagte kein Wort, verbeugte sich nur knapp, blickte finster zu ihnen herüber, als er glaubte, sie bemerkten es nicht, und ging wieder.

Mat fragte sich langsam, ob das Glück, das ihm die ganze Nacht über hold gewesen war, ihn nun verlassen habe. Er mußte Thoms Schnarchen ertragen, und um die Wahrheit zu sagen, es war vielleicht doch nicht die allerbeste Wahl gewesen, ausgerechnet auf dieses Schiff zu springen und ein Dokument vorzuzeigen, das von der Amyrlin unterschrieben und mit der Flamme von Tar Valon gesiegelt war. Ohne weiteres Nachdenken zog er einen der zylindrischen Würfelbecher heraus, öffnete die Deckelklappe und kippte den Becher über dem Tisch aus.

Es waren Punktwürfel, und fünf einzelne Punkte blickten ihn nun an. Bei einigen Spielen nannte man das die Augen des Dunklen Königs. In denen verlor man mit dieser Konstellation, während man bei anderen Spielen damit gewann. Aber welches Spiel spiele ich eigentlich? Er hob die Würfel auf, schüttelte den Becher wieder und ließ sie erneut rollen. Wieder fünf einzelne Punkte. Ein weiterer Wurf, und zum drittenmal blinzelten ihn die Augen des Dunklen Königs an.

»Wenn du diese Würfel dazu benützt hast, all das Gold zu gewinnen«, sagte Thom ruhig, »dann wundert es mich nicht im geringsten, daß du mit dem ersten möglichen Schiff abhauen mußtest.« Er zog das Hemd gerade aus und hatte es halb über dem Kopf, als er das sagte. Seine Knie waren knochig, und seine Beine schienen nur aus Muskeln und Sehnen zu bestehen. Das rechte war ein wenig geschrumpft. »Junge, ein zwölfjähriges Mädchen würde mit dem Messer auf dich losgehen, wenn sie ahnte, daß du solche gezinkten Würfel im Spiel mit ihr verwendest.«

»Es liegt nicht an den Würfeln«, knurrte Mat. »Es ist mein Glück.« Das Glück der Aes Sedai? Oder das Glück des Dunklen Königs? Er schob die Würfel in den Becher zurück und schloß ihn.

»Ich glaube«, sagte Thom, der nun ins Bett kletterte, »du wirst mir wohl nicht erzählen, wo du das ganze Gold her hast, oder?«

»Ich habe es gewonnen. Heute nacht. Mit ihren eigenen Würfeln.«

»Oho! Und ich schätze, du wirst mir auch nichts über dieses Papier erzählen, das du überall herumzeigst? Ich habe das Siegel gesehen, Junge! Oder was das ganze Geschwätz von einem Auftrag der Weißen Burg bedeutet und wieso der Hafenmeister eine Beschreibung der Aes Sedai von dir hatte?«

»Ich bringe einen Brief von Elayne zu Morgase, Thom.« Mat sagte das viel geduldiger, als es seiner Laune entsprach. »Nynaeve hat mir das Dokument gegeben. Ich weiß nicht, woher sie es hatte.«

»Also, wenn du mir sonst nichts erzählst, werde ich jetzt schlafen. Blas die Lampen aus, ja?« Thom rollte sich zur Seite und zog sich ein Kissen über den Kopf.

Auch nachdem Mat sich bis auf die Unterwäsche ausgezogen hatte und unter die Decken gekrochen war — die Lampen hatte er zuvor ausgeblasen —, fand er keinen Schlaf. Dabei hatte Mallia immerhin eine gute Federmatratze zurückgelassen. In bezug auf Thoms Schnarchen hatte er recht gehabt, und das Kissen dämpfte die Geräusche nicht. Es klang, als säge Thom Holz gegen die Faser und noch dazu mit einer rostigen Säge. Außerdem konnte er nicht mit dem Grübeln aufhören. Wie hatten Nynaeve und Egwene nur dieses Dokument von der Amyrlin bekommen können? Sie mußten direkt mit ihr zu tun haben, vielleicht in irgendeine dieser Intrigen der Weißen Burg verwickelt sein, aber wenn er es recht bedachte, mußten sie wohl auch selbst vor der Amyrlin Geheimnisse haben.

»›Bitte, Mat, bring meiner Mutter einen Brief‹«, sagte er leise mit hoher, spöttischer Stimme. »Narr! Die Amyrlin hätte doch einen Behüter geschickt, um einen Brief der Tochter-Erbin an die Königin zu überbringen. Blinder Narr! Ich war so darauf versessen, aus der Burg rauszukommen, daß ich das übersehen habe.« Thoms Schnarchen schien Zustimmung auszudrücken.

Aber am meisten grübelte er über das Glück nach und über Straßenräuber.

Als etwas dumpf gegen das Heck prallte, registrierte er das zunächst gar nicht. Er achtete auch nicht auf ein Plumpsen und Herumtapsen auf dem Deck über ihnen und auf die folgenden Stiefelschritte. Es gab auf einem Schiff immer genug Geräusche, und es mußte sich ja wohl jemand an Deck befinden, um das Schiff flußabwärts zu steuern. Aber dann vermischten sich leise Schritte im Gang nahe ihrer Kabinentür mit dem Gedanken an Straßenräuber, und er begann zu lauschen.

Er stieß Thom mit dem Ellbogen in die Rippen. »Wach auf«, sagte er leise. »Es ist jemand draußen im Gang.« Er glitt bereits vom Bett und hoffte, daß der Fußboden — Deck, Boden oder was auch zum Teufel sonst! — nicht unter seinem Gewicht knarren werde. Thom grunzte, schmatzte mit den Lippen und fing wieder zu schnarchen an.

Er hatte keine Zeit mehr, sich um Thom zu kümmern. Die Schritte ertönten bereits direkt vor ihrer Tür. Mat nahm seinen Bauernspieß in die Hand, stellte sich vor die Tür und wartete.

Die Tür schwang langsam auf, und er konnte im schwachen Mondschein, der durch die offene Luke von oben hereindrang, zwei vermummte Männer erkennen, einer hinter dem anderen stehend. Der Mondschein schimmerte auf nackten Messerklingen. Beide Männer schnappten überrascht nach Luft, denn sie hatten offensichtlich nicht erwartet, daß jemand auf sie wartete.

Mat stieß mit dem Bauernspieß zu und erwischte den vorderen Mann hart unterhalb des Rippenbogens. Beim Zustoßen hörte er im Innern die Stimme seines Vaters. Das ist ein Todesstoß, Mat. Benütze ihn nur, wenn dein Leben in Gefahr ist! Aber diese Messer sprachen eine deutliche Sprache, und in der Kabine war nicht genug Platz, um mit dem Stock auszuholen und ihn zu schwingen.

Im gleichen Moment, als der Mann erstickt gurgelte und zu Boden sank, wo er vergeblich nach Luft rang, trat Mat vor und trieb das Ende des Bauernspießes mit voller Wucht dem zweiten Mann in die Kehle. Es knirschte vernehmlich. Der Bursche ließ das Messer fallen, griff nach seinem Hals und stürzte neben seinem Begleiter zu Boden, wo beide mit den Beinen zuckten. Todesröcheln erklang aus zwei Kehlen.

Mat stand da und blickte auf sie herab. Zwei Männer. Nein, seng mich, jetzt sind es schon drei! Ich glaube nicht, daß ich vorher schon jemandem ernstlich weh getan habe, und nun habe ich in einer Nacht drei Männer getötet. Licht! Der dunkle Gang lag wieder still da, aber vom Deck her hörte er das Tapsen von Stiefeln. Die Besatzungsmitglieder liefen alle barfuß herum.

Er bemühte sich, gar nicht erst nachzudenken, sondern zog dem einen toten Mann den Umhang aus und legte ihn sich um die Schultern. Das helle Leinen seiner Unterwäsche war so verborgen. Barfuß schlich er durch den Gang und kletterte die Leiter hoch. Vorsichtig spähte er über den Rand der Luke.

Fahles Mondlicht wurde von den straffen Segeln reflektiert, doch die Schatten der Nacht lagen noch dicht auf dem Deck. Er hörte keinen Laut, abgesehen vom Rauschen des Wassers an den Seiten des Schiffs. Nur ein Mann schien sich an Deck zu befinden. Er stand am Ruder und hatte seine Kapuze der Kühle wegen über den Kopf gezogen. Der Mann wechselte die Stellung, und die Ledersohlen von Stiefeln knirschten leise auf den Planken.