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Schließlich fand er eine fensterlose Kabine, in der sich noch niemand aufhielt, und das paßte ihm sehr. Er wollte allein sein. Der Name muß ein Zufall sein, ganz klar, dachte er beim Anzünden der an der Wand fest angebrachten Laterne. Außerdem heißt sie in Wirklichkeit ja Zarine. Aber das Mädchen mit den hohen Backenknochen und den schrägstehenden Augen war nicht, was ihn am meisten beschäftigte. Er legte seinen Bogen und die anderen Habseligkeiten auf ein enges Bett, warf seinen Umhang darüber und setzte sich auf die andere Koje, um die Stiefel auszuziehen.

Elyas Machera hatte einen Weg gefunden, um mit dem zu leben, was er war: ein Mann, der irgendwie mit den Wölfen verbunden war, und war trotzdem nicht dem Wahnsinn verfallen. Wenn er so im Geist zurückblickte, war er sicher, daß Elyas schon jahrelang so gelebt hatte, bevor sie zusammentrafen. Er will ja so sein. Jedenfalls nimmt er es hin. Doch das war keine Lösung. Perrin wollte eben nicht so leben, wollte es nicht hinnehmen. Aber wenn du das Rohmaterial hast, um ein Messer anzufertigen, dann nimmst du es und machst eben ein Messer, selbst wenn du lieber eine Axt hättest. Nein! Mein Leben ist mehr als Eisen, das man in seine Form hämmert.

Vorsichtig fühlte er mit seinem Geist hinaus, fühlte nach den Wölfen und fand — nichts. Ja, da war ein verschwommener Eindruck von Wölfen irgendwo in großer Entfernung, aber er verschwand, kaum daß er ihn berührt hatte. Zum erstenmal in langer Zeit war er allein. Wundervoll einsam.

Er blies die Laterne aus und legte sich hin. Das war auch das erste Mal seit Tagen. Wie beim Licht wird Loial es schaffen, in einer solchen Koje zu schlafen? All diese schlaflosen Nächte überkamen ihn jetzt, und die Erschöpfung ließ seine Muskeln erschlaffen. Ihm fiel auf, daß er den Aiel ganz aus seinen Gedanken verdrängt hatte. Und auch die Weißmäntel. Lichtverlassene Axt! Seng mich, ich wünschte, ich hätte sie nie gesehen, war sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen.

Dichter, grauer Nebel umgab ihn. Unten war er so dicht, daß er seine eigenen Stiefel nicht sehen konnte, und nach den Seiten hin konnte er auch kaum zehn Schritt weit sehen. In diesem Umkreis gab es sicher nichts zu sehen.

Aber im Nebel konnte sich alles verbergen. Der Nebel löste in ihm unangenehme Gefühle aus — irgendwie war er nicht feucht. Er griff mit der Hand nach seinem Gürtel, um sich das wohltuende Gefühl zu gönnen, daß er sich verteidigen könne, und dann erschrak er. Seine Axt war nicht da.

Etwas bewegte sich im Nebel — ein Wirbeln in der Düsternis. Es kam auf ihn zu.

Er spannte seinen Körper an und fragte sich, ob es besser sei, wegzulaufen, oder zu bleiben und sich notfalls mit bloßen Händen zu verteidigen, und ob da überhaupt etwas sei, gegen das er kämpfen müsse.

Der schwadentreibende Wirbel im Nebel kam näher und nahm die Gestalt eines Wolfs an. Sein zerzauster Umriß verschwamm beinahe noch mit dem Nebel dahinter.

Springer? Der Wolf zögerte und kam dann zu ihm heran. Es war Springer — da war er sicher — aber etwas an der Haltung des Wolfs, etwas in den gelben Augen, deren Blick ihn ganz kurz traf, verlangte nach Schweigen, sowohl im Geist wie auch körperlich. Diese Augen verlangten auch, daß er ihm folge.

Er legte dem Wolf eine Hand auf den Rücken und sofort schritt Springer vorwärts. So ließ er sich führen. Das Fell unter seiner Hand war dicht und struppig. Es fühlte sich real an.

Der Nebel verdichtete sich wieder, bis ihm nur seine Hand mitteilte, daß Springer noch da sei, bis ein Blick nach unten nicht einmal mehr seine eigene Brust sichtbar fand. Nur grauer Nebel. Er hätte genausogut von Kopf bis Fuß in frisch geschorene Wolle gehüllt sein können, so wenig sah er. Es fiel ihm auf, daß er auch nichts hörte. Nicht einmal den Klang seiner eigenen Schritte. Er wackelte mit den Zehen und war erleichtert, die Stiefel noch an seinen Füßen zu spüren.

Das Grau färbte sich dunkler, und schließlich schritten er und der Wolf durch pechschwarze Nacht. Er konnte nicht einmal seine Hand sehen, wenn er seine Nase damit berührte. Davon abgesehen konnte er auch seine Nase nicht sehen. Er versuchte es damit, die Augen einen Moment lang zu schließen, doch einen Unterschied spürte er nicht. Auch hörte er nach wie vor keinen Laut. Seine Hand fühlte das rauhe Fell auf Springers Rücken, aber was unter seinen Stiefeln lag, war ungewiß.

Plötzlich blieb Springer stehen, und er war ebenfalls zum Stehenbleiben gezwungen. Er sah sich um... und schloß sofort die Augen. Nun war ein Unterschied spürbar. Ihm wurde beinahe schlecht. Sein Magen drehte sich um. Trotzdem zwang er sich, die Augen wieder zu öffnen und hinunterzublicken.

Was er da sah, konnte eigentlich nicht sein, es sei denn, er und Springer stünden mitten in der Luft. Sich selbst und den Wolf konnte er nun nicht mehr sehen. Es war, als hätten sie beide keinen Körper mehr — allein dieser Gedanke ließ ihn schwindeln. Doch unter ihm, klar, als beleuchteten tausend Lampen die Szenerie, erstreckte sich eine ungeheure Reihe von Spiegeln, die so gleichmäßig in der Schwärze hingen, als stünden sie fest auf dem Boden eines unendlichen Saales. Die Reihe setzte sich in jeder Richtung fort, so weit sein Auge sehen konnte, nur gerade unter ihm klaffte eine Lücke. Und darin befanden sich Menschen. Mit einemmal verstand er, was sie sagten, als befände er sich mitten unter ihnen.

»Großer Herr«, sagte der eine Mann leise, »wo sind wir hier?« Er blickte sich einmal um und zuckte zusammen, als sein Spiegelbild sich viele tausend Male umblickte. Danach sah er nur noch starr geradeaus. Die anderen hatten offensichtlich noch mehr Angst und drückten sich beinahe an ihn. »Ich habe in Tar Valon im Bett gelegen und geschlafen, Großer Herr. Ich schlafe doch noch immer dort! Wo bin ich hier? Bin ich verrückt geworden?«

Ein paar der um ihn versammelten Männer trugen kostbar bestickte Mäntel, während andere einfach gekleidet waren und einige sogar nackt oder in Unterwäsche dastanden.

»Ich schlafe auch noch!« schrie ein nackter Mann. »In Tear. Ich weiß doch, daß ich mit meiner Frau im Bett liege!«

»Und ich schlafe in Illian«, sagte ein Mann in Rot und Gold. Es klang erschüttert. »Ich weiß, daß ich schlafend im Bett liege, aber das kann doch nicht sein. Ich weiß, daß ich träume, aber das sein unmöglich! Wo sein wir, Großer Herr? Seid Ihr wirklich zu mir gekommen?«

Der dunkelhaarige Mann, dem sie gegenüberstanden, war ganz in Schwarz gekleidet und trug an Kragen und Manschetten silberne Spitzen. Immer wieder faßte er sich an die Brust, als habe er dort Schmerzen. Dort unten war es wohl hell, ohne daß man eine Lichtquelle erkennen konnte, aber dieser Mann schien Perrin in Schatten gehüllt zu sein. Die Dunkelheit ballte sich um ihn zusammen und liebkoste ihn.

»Ruhe!« Der schwarzgekleidete Mann sprach nicht einmal laut, aber das war auch gar nicht nötig. Während dieses einen Wortes hatte er den Kopf gehoben. Seine Augen und sein Mund waren Öffnungen, durch die man in eine wütende Feuerhölle blickte — nur Flammen und feuriges Glühen.

Nun erkannte ihn Perrin. Ba'alzamon. Er starrte hinab.

Die Angst durchbohrte ihn wie mit glühenden Nadeln. Er wollte wegrennen, konnte aber seine Füße nicht mehr spüren.

Springer rührte sich. Er spürte das dichte Fell unter seiner Hand und griff hart zu. Da war etwas Wirkliches. Wirklicher als das, so hoffte er jedenfalls, was er dort sah. Doch er wußte, daß beides Wirklichkeit war.