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»Scharbon!« Ausnahmsweise einmal erschien sein Leibdiener nicht. Der Mann sollte an sich die Zimmer in Ordnung bringen. »Das Licht versenge dich, Scharbon! Wo bist du?«

Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr, und er wandte sich dorthin, um Scharbon fluchend zur Schnecke zu machen. Doch die Flüche erstarben ihm auf den Lippen, als ein Myrddraal mit der Geschmeidigkeit einer Schlange einen Schritt auf ihn zu tat. Die Gestalt ähnelte der eines Menschen, und er war auch etwa durchschnittlich groß, doch damit endete alle Ähnlichkeit. Stumpfschwarze Kleider und ein Umhang, der sich kaum mitbewegte, ließen seine larvenbleiche Haut noch blasser erscheinen. Und er hatte keine Augen. Dieser augenlose Blick erfüllte Carridin mit Angst, so wie es Tausenden anderer schon ergangen war.

»Wa... « Carridin hielt inne, um Speichel zu sammeln und sich zu bemühen, seine Stimme wieder normal klingen zu lassen. »Was machst du hier?« Seine Stimme klang immer noch schrill.

Die blutleeren Lippen des Halbmenschen verzogen sich zu einem Lächeln. »Wo es Schatten gibt, darf ich hingehen.« Seine Stimme klang, als raschle eine Schlange durch abgestorbene Blätter. »Ich überwache alle, die mir dienen.«

»Ich die... «

Es hatte keinen Zweck. Mit Mühe riß Carridin den Blick von dieser glatten Fläche blasser, mehliger Gesichtshaut und wandte ihm den Rücken zu. Ein Schauder lief seinen Rücken hinunter. Ein Myrddraal hinter ihm... Alles sah in dem Spiegel an der Wand vor ihm klar und deutlich aus. Alles, bis auf den Halbmenschen. Der Myrddraal war nur ein verwaschener Fleck. Auch nicht gerade ein beruhigender Anblick, aber immer noch besser, als diesem Blick gegenüberzustehen. Ein wenig Kraft kehrte in Carridins Stimme zurück.

»Ich diene dem... « Er schwieg, als ihm mit einem Mal klar wurde, wo er sich befand: im Herzen der Festung des Lichts. Nur ein Gerücht dessen, was er auszusprechen im Begriff war, hätte genügt, um ihn der Hand des Lichts zu überantworten. Der niedrigste aller Kinder des Lichts würde ihn auf der Stelle niederstrecken, hörte er diese Worte. Er war allein bis auf den Myrddraal und vielleicht Scharbon... Wo ist dieser verfluchte Kerl? Es wäre gut, noch einen Menschen bei sich zu haben, um mit ihm diesen Blick des Halbmenschen zu teilen, auch wenn er den anderen hinterher beseitigen mußte. Trotzdem senkte er seine Stimme. »Ich diene dem Großen Herrn der Dunkelheit, genau wie du. Wir dienen beide.«

»Wenn Ihr es so sehen wollt?« Der Myrddraal lachte, und der Ton ließ Carridin bis aufs Mark erschauern. »Wie auch immer, ich will wissen, wieso Ihr euch hier befindet und nicht auf der Ebene von Almoth.«

»Ich... auf Befehl des kommandierenden Lordhauptmannes.«

Der Myrddraal schnarrte: »Die Worte Eures kommandierenden Lordhauptmannes sind Dung! Euer Befehl lautete, den Menschen namens Rand al'Thor zu finden und zu töten. Das ist wichtiger als alles andere. Alles andere! Warum gehorcht Ihr nicht?«

Carridin holte tief Luft. Der Blick in seinem Rücken traf ihn wie ein Messer, das an seinem Rückgrat entlangschnitt. »Die Lage... hat sich geändert. Es gibt Dinge, die ich nicht mehr so gut wie zuvor in der Hand habe.« Ein hartes Kratzen ließ ihn abrupt herumfahren.

Der Myrddraal fuhr mit einer Hand über die Tischfläche, und von seinen Fingernägeln stiegen dünne Rauchwölkchen auf. »Nichts hat sich geändert, Mensch. Ihr habt Eure Eide dem Licht gegenüber gebrochen und neue Eide geschworen, und denen werdet Ihr Folge leisten!«

Carridin starrte die Furchen an, die sich durch das glänzende Holz der Tischfläche zogen, und er schluckte krampfhaft. »Ich verstehe nicht. Warum ist es plötzlich so wichtig, ihn zu töten? Ich glaubte, der Große Herr der Dunkelheit wolle ihn benützen?«

»Ihr stellt meine Worte in Frage? Ich sollte Euch die Zunge herausreißen. Es ist nicht an Euch, etwas in Frage zu stellen! Oder etwas zu verstehen. Es ist an Euch, zu gehorchen! Ihr werdet Hunde Gehorsam lehren. Versteht Ihr das? Bei Fuß, Hund, und gehorche deinem Herrn!«

Zorn drang durch seine Angst hindurch, und Carridins Hand schlüpfte an seine Hüfte, doch das Schwert hing nicht dort. Es lag im Nebenzimmer, wo er es gelassen hatte, als er zu Pedron Niall gerufen worden war.

Der Myrddraal bewegte sich schneller als eine angreifende Viper. Carridin öffnete den Mund, um zu schreien, als die vorschnellende Hand sich mit einem eisernen Griff um sein Handgelenk schloß. Seine Knochen wurden zerdrückt, und rasender Schmerz durchfuhr seinen Arm. Doch der Schrei verließ seinen Mund nicht, denn die andere Hand des Halbmenschen ergriff sein Kinn und zwang seine Kiefer, sich zu schließen. Seine Fersen hoben sich, und dann verloren seine Zehen den Kontakt mit dem Boden. Grunzend und gurgelnd hing er im Griff des Myrddraals.

»Hör mich an, Mensch. Du wirst diesen Jüngling finden und so schnell wie möglich töten. Glaube nicht, daß du mich ablenken kannst. Es gibt andere deiner Kinder, die mir sagen werden, wenn du dich von deiner Aufgabe abwendest. Aber ich werde dich anspornen. Falls dieser Rand al'Thor nicht in einem Monat tot ist, töte ich einen von deinem Blut: einen Sohn, eine Tochter, eine Schwester, einen Onkel. Du wirst nicht wissen, wen, bis der Erwählte schreiend gestorben ist. Wenn er noch einen Monat am Leben bleibt, töte ich wieder einen. Und dann wieder und wieder. Und wenn keiner von deinem Blut mehr lebt außer dir und er ist immer noch am Leben, dann bringe ich dich zum Shayol Ghul.« Er lächelte. »Es wird Jahre dauern, bis du gestorben bist, Mensch. Verstehen wir uns jetzt?«

Carridin gab einen erstickten Laut von sich — teils Stöhnen, teils Wimmern. Er glaubte, sein Hals müsse gleich brechen.

Mit einem Knurren schleuderte der Myrddraal ihn quer durch den Raum. Carridin krachte gegen die gegenüberliegende Wand und glitt betäubt auf den Läufer davor. Mit dem Gesicht nach unten versuchte er, Luft zu holen.

»Verstehen wir uns, Mensch?«

»Ich... ich höre und gehorche«, brachte Carridin mit zum Teppich gewandtem Gesicht heraus. Er hörte keine Antwort.

Er drehte sich um und stöhnte auf, weil sein Hals so schmerzte. Außer ihm selbst befand sich niemand im Zimmer. Die Legenden berichteten, daß die Halbmenschen auf Schatten wie andere auf Pferden ritten, und wenn sie sich zur Seite wandten, dann verschwanden sie. Keine Wand konnte sie zurückhalten. Carridin hätte am liebsten geweint. Er schob sich mühsam hoch und fluchte über den stechenden Schmerz in seinem Handgelenk.

Die Tür öffnete sich, und Scharbon eilte herein. Er war ein molliger Mann und trug einen Korb auf den Armen. Er blieb stehen und sah Carridin überrascht an. »Herr, geht es Euch gut? Vergebt mir, daß ich nicht eher gekommen bin, aber ich ging aus, um Obst zu kaufen... «

Mit seiner unverletzten Hand schlug Carridin Scharbon den Korb aus den Händen. Verschrumpelte Äpfel rollten über den Teppich. Dann schlug er dem Mann obendrein noch mit dem Handrücken ins Gesicht.

»Vergebt mir, Herr«, flüsterte Scharbon.

»Bring mir Papier und Tinte«, knurrte Carridin. »Beeil dich, du Narr! Ich muß Befehle verschicken.« Aber welche? Wessen Befehle? Während Scharbon hastig dem Befehl nachkam, starrte Carridin die Furchen auf der Tischplatte an und zitterte.

1

Warten

Das Rad der Zeit dreht sich, und die Zeitalter kommen und gehen, hinterlassen Erinnerungen, die zu Legenden werden, diese wieder verblassen zu bloßen Mythen und sind längst vergessen, wenn das Zeitalter, das sie hervorbrachte, wiederkehrt. In einem Zeitalter, von einigen das Dritte genannt, einem Zeitalter, das noch kommen wird und das schon lange vergangen ist, erhob sich ein Wind in den Bergen des Verderbens. Der Wind stand nicht am Anfang. Es gibt weder Anfang noch Ende, wenn sich das Rad der Zeit dreht. Aber es war ein Beginn.