Nynaeve erwiderte Laras' Blick ohne Scheu und drehte dabei weiter den Spieß. Der Gesichtsausdruck der massigen Frau änderte sich nie. Nynaeve hatte es mit Lächeln probiert, aber das bewirkte überhaupt nichts. Mit Arbeiten aufzuhören und ganz höflich mit ihr zu sprechen hatte katastrophale Auswirkungen gezeigt. Es war schon schlimm genug, sich von den Aes Sedai herumkommandieren und herumschubsen zu lassen. Damit mußte sie fertigwerden, so sehr es sie auch wurmte, wenn sie lernen wollte, ihre Fähigkeiten auszubauen und anzuwenden. Was sie tun mußte, gefiel ihr an sich auch überhaupt nicht. Einerseits waren die Aes Sedai ja noch lange keine Schattenfreunde, bloß weil sie die Macht benutzen konnten, aber andererseits graute ihr schon vor sich selbst, da sie die gleichen Fähigkeiten besaß. Aber sie mußte dazulernen, wenn sie sich eines Tages an Moiraine rächen wollte. Ihr Haß auf Moiraine, weil sie Egwene und die anderen Emondsfelder aus ihren Leben gerissen und für ihre Zwecke mißbraucht hatte, war für sie die Hauptantriebskraft bei alledem. Aber sich von dieser Laras wie ein faules, nicht gerade intelligentes Kind behandeln zu lassen, vor dieser Frau knicksen zu müssen und Laufburschendienste zu leisten, einer Frau, die sie zu Hause mit wenigen wohlüberlegten Worten zurechtgewiesen hätte, das ließ sie schon beinahe genauso mit den Zähnen knirschen wie der Gedanke an Moiraine. Wenn ich sie vielleicht nicht ansehe... Nein! Seng mich, wenn ich vor dieser... dieser Kuh kusche!
Laras schniefte lauter und stolzierte weg. Es war wie das Rollen eines Schiffs von einer Seite auf die andere, als sie so über die frischgeputzten grauen Kacheln watschelte.
Elayne stand immer noch gebückt mit dem Löffel und dem Fettnapf in der Hand da und blickte ihr finster hinterher. »Wenn diese Frau mich nur noch einmal schlägt, lasse ich sie von Gareth Bryne festnehmen und... «
»Sei ruhig«, flüsterte Egwene. Sie hörte nicht auf, die Braten zu übergießen, und sie sah Elayne dabei auch nicht an. »Sie hat Ohren wie eine...«
Laras drehte sich um, als hätte sie tatsächlich zugehört. Ihr Stirnrunzeln nahm zu, und ihr Mund öffnete sich zur vollen Breite. Bevor jedoch ein Ton herauskam, betrat die Amyrlin die Küche mit der Kraft eines Wirbelsturms. Selbst die gestreifte Stola über ihren Schultern schien aufgeladen. Ausnahmsweise einmal war Leane nirgends zu sehen.
Endlich, dachte Nynaeve grimmig. Sie hat es nicht gerade eilig gehabt. Aber die Amyrlin blickte gar nicht zu ihnen herüber. Die Amyrlin sagte kein Wort, gleich zu wem. Sie wischte mit der Hand über eine knochenweiß geschrubbte Tischfläche, sah ihre Finger an und verzog das Gesicht, als habe sie Schmutz entdeckt. Laras war einen Moment später an ihrer Seite und lächelte über das ganze breite Gesicht, aber der ausdruckslose Blick der Amyrlin ließ das Lächeln sofort wieder verschwinden.
Die Amyrlin wanderte in der Küche herum. Sie sah die Frauen an, die den Maiskuchen schnitten. Sie funkelte die Frauen an, die das Gemüse putzten. Sie blickte spöttisch in die Suppenkessel und dann auf die Frauen, die darin rührten. Diese Frauen waren mit einem Mal ganz versunken in den Anblick der Suppe. Ihr finsterer Blick ließ die Mädchen beinahe rennen, die Teller und Schüsseln hinaus in den Speisesaal trugen. Unter diesem Blick huschten die Novizinnen einher wie die Mäuse vor der Katze. Als sie die Hälfte des Wegs durch die Küche zurückgelegt hatte, arbeiteten alle Frauen doppelt so schnell wie vorher. Als sie die Runde beendet hatte, war Laras die einzige, die überhaupt noch wagte, sie anzuschauen.
Die Amyrlin blieb vor dem riesigen Bratspieß stehen, stützte die Arme auf die Hüften und sah Laras an. Sie sah sie nur einfach mit ihren ausdruckslosen, kalten und harten blauen Augen an.
Die große Frau schluckte, und ihre Kinne wabbelten. Sie glättete nervös ihre Schürze. Die Amyrlin blinzelte nicht einmal. Laras senkte den Blick und trat schwerfällig von einem Fuß auf den anderen. »Falls die Mutter mich entschuldigt«, sagte sie mit schwacher Stimme. Sie machte etwas, das einem Knicks entfernt ähnlich sah, und eilte davon. Sie vergaß sich sogar so weit, daß sie sich den Frauen an den Suppenkesseln anschloß und mit ihrem eigenen Löffel umzurühren begann.
Nynaeve lächelte, hielt aber den Kopf gesenkt, um es zu verbergen. Auch Egwene und Elayne arbeiteten weiter, blickten aber heimlich zur Amyrlin hinüber, die keine zwei Schritt entfernt stand und ihnen den Rücken zuwandte.
Von ihrem Standpunkt aus konnte die Amyrlin die gesamte Küche überblicken und alle mit ihrem Blick einschüchtern. »Wenn sie sich so leicht einschüchtern lassen«, murmelte sie ganz leise, »dann sind sie vielleicht wirklich zu lange so davongekommen.«
Allerdings leicht eingeschüchtert, dachte Nynaeve. Diese erbärmlichen Weibsbilder. Sie hat sie schließlich bloß angesehen! Die Amyrlin blickte sich über eine stolabedeckte Schulter hinweg nach hinten um, und ihre Blicke trafen sich einen Moment lang. Plötzlich wurde Nynaeve klar, daß sie den Spieß schneller drehte. Sie sagte sich, sie müsse eben genauso eingeschüchtert tun wie alle die anderen.
Der Blick der Amyrlin fiel auf Elayne, und plötzlich sprach sie, und zwar beinahe laut genug, daß die Kupferkessel und Pfannen klapperten, die an der Wand hingen: »Es gibt einige Ausdrücke, die ich nicht aus dem Mund einer jungen Frau hören will, Elayne aus dem Hause Trakand. Wenn Ihr sie einlaßt, werde ich sie herauswaschen lassen!« Jede in der Küche fuhr zusammen.
Elayne blickte verwirrt drein, und Egwenes Gesicht nahm langsam einen finsteren Ausdruck an.
Nynaeve schüttelte den Kopf hastig und warnend. Nein, Mädchen! Halt den Mund! Siehst du nicht, was sie will?
Doch Egwene öffnete den Mund und sagte in respektvollem, aber energischem Tonfalclass="underline" »Mutter, sie hat nichts... «
»Ruhe!« Das Brüllen der Amyrlin löste überall weiteres Zusammenzucken aus. »Laras! Könnt Ihr irgendeinen Weg finden, zwei Mädchen beizubringen, nur zu sprechen, wenn sie gefragt sind und nur zu sagen, was man von ihnen erwartet, Herrin der Küche? Schafft Ihr das?«
Laras watschelte viel schneller heran, als Nynaeve die Frau sich jemals zuvor bewegen hatte sehen. Sie packte Egwene und Elayne jeweils an einem Ohr und wiederholte derweil unterwürfig: »Ja, Mutter. Sofort, Mutter. Wie Ihr befehlt, Mutter.« Sie zog die beiden jungen Frauen so schnell aus der Küche heraus, als sei sie heilfroh, dem Blick der Amyrlin zu entrinnen.
Die Amyrlin war Nynaeve jetzt so nahe, daß sie sie berühren konnte, sah sich aber immer noch in der Küche um. Eine junge Köchin wandte sich gerade mit einer Teigschüssel in der Hand um. Der Blick der Amyrlin fiel direkt auf sie, und sie quiekte und rannte weg zu dem Tisch, auf dem der Teig geknetet wurde.
»Ich wollte Egwene nicht darin verwickeln.« Die Amyrlin bewegte kaum die Lippen beim Sprechen. Es wirkte, als knurre sie etwas in sich hinein, und bei ihrem Gesichtsausdruck hatte niemand in der Küche Interesse daran, was sie sagte. Nynaeve konnte sie gerade noch verstehen. »Aber vielleicht lernt sie daraus, erst nachzudenken, bevor sie etwas sagt.«
Nynaeve drehte den Spieß und behielt den Kopf unten. Sie bemühte sich, ebenfalls so zu wirken, als führe sie Selbstgespräche, für den Fall, daß jemand herblickte. »Ich dachte, Ihr wolltet ständig mit uns in Kontakt bleiben, Mutter. Damit wir über unsere Erkenntnisse berichten können.«
»Wenn ich jeden Tag komme und nach euch schaue, Tochter, würden einige mißtrauisch.« Die Amyrlin behielt weiterhin die ganze Küche im Auge. Die meisten Frauen schienen jeden Blick in ihre Richtung zu vermeiden, um nicht ihren Zorn auf sich zu ziehen. »Ich wollte euch an sich nach dem Mittagessen in mein Arbeitszimmer kommen lassen, um euch zu schelten, weil ihr noch keine Studiengebiete ausgewählt habt. Jedenfalls hatte ich das Leane so gesagt. Aber es gibt Neuigkeiten, die nicht warten können. Sheriam hat wieder einen Grauen Mann gefunden. Eine Frau diesmal. Tot wie ein Fisch von der letzten Woche und keine Verletzung zu erkennen. Man hat sie hingelegt, als wolle sie sich nur ausruhen, und zwar ausgerechnet in Sheriams Bett. Nicht sehr angenehm für sie.«