»Es gibt mehrere Gruppen unter den Dieben, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Dannyl.
»Spricht dieser Mann, den du zu kontaktieren versucht hast, für sie alle?«
»Keine Ahnung«, gab Dannyl zu. »Vielleicht nicht.«
Rothen drehte sich zu seinem Freund um. »Es könnte nicht schaden, das herauszufinden, nicht wahr?«
Yaldin starrte Rothen entgeistert an, dann schlug er sich mit der Hand gegen die Stirn. »Ihr zwei werdet uns alle in Schwierigkeiten bringen«, stöhnte er.
Dannyl legte dem älteren Mann die Hand auf die Schulter. »Macht Euch keine Sorgen, Yaldin. Es muss sich nur einer von uns um die Angelegenheit kümmern.« Er grinste Rothen an. »Überlasst die Sache mir. Und in der Zwischenzeit sollten wir den Dieben einen guten Grund liefern, uns zu helfen. Ich würde mir diese unterirdischen Gänge, die wir gestern entdeckt haben, gern einmal etwas näher ansehen. Ich möchte wetten, dass es den Dieben lieber wäre, wenn wir da unten nicht allzu gründlich herumschnüffeln würden.«
»Mir gefallen diese unterirdischen Räume nicht«, bemerkte Donia. »Sie haben keine Fenster. Ich finde es unheimlich hier unten.«
Sonea kratzte sich die winzigen Stiche, die sie sich während der Nacht eingefangen hatte. Ihre Tante wusch regelmäßig ihre Betten und die Decken mit einem Kräutersud, um die Wanzen zu verscheuchen, und ausnahmsweise einmal sehnte Sonea sich nach der peniblen Ordnungsliebe ihrer Tante. Seufzend sah sie sich in dem staubigen Raum um.
»Ich hoffe, Cery bekommt keinen Ärger, weil er mich hier versteckt.«
Donia zuckte die Achseln. »Er erledigt schon seit Jahren kleinere Aufträge für Opia und die Mädchen aus dem Tanzenden Pantoffel. Sie haben nichts dagegen, wenn du ein paar Tage in ihrem Lagerraum wohnst. Seine Ma hat mal hier gearbeitet, musst du wissen.« Donia stellte eine große Holzschale vor Sonea auf den Tisch. »Beug dich mal darüber.«
Sonea gehorchte und zuckte zusammen, als sie das eiskalte Wasser auf ihrer Kopfhaut spürte. Nachdem Donia ihr Haar mehrmals durchgespült hatte, brachte sie die Schale weg, die jetzt mit trübem, grauem Wasser gefüllt war. Anschließend rubbelte sie Soneas Haar mit einem fadenscheinigen Handtuch trocken. Dann trat sie einen Schritt zurück und unterzog ihr Werk einer kritischen Musterung.
»Das hat nichts genützt«, sagte Donia kopfschüttelnd.
Sonea hob die Hand, um ihr Haar zu berühren. Es klebte noch von der Paste, die Donia aufgetragen hatte. »Gar nichts?«
Donia beugte sich über sie und zupfte an Soneas Haar. »Nun, ein wenig heller ist es geworden, aber auf den ersten Blick fällt es praktisch nicht auf.« Sie seufzte. »Und viel kürzer können wir es auch nicht schneiden. Aber…« Sie zuckte die Achseln. »Wenn die Magier nach einem Mädchen suchen, wie die Leute sagen, werden sie dich vielleicht gar nicht beachten. Mit dem kurzen Haar siehst du wirklich aus wie ein Junge, zumindest auf den ersten Blick.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und neigte den Kopf zur Seite. »Warum trägst du es überhaupt so kurz?«
Sonea lächelte. »Damit ich aussehe wie ein Junge. Auf diese Weise werde ich nicht ständig belästigt.«
»In dem Bleibehaus?«
»Nein. Ich habe die meisten Botengänge für Jonna und Ranel erledigt. Ranel ist wegen seines Beins zu langsam, und Jonna verstand sich besser auf die eigentliche Arbeit. Außerdem fand ich es grässlich, die ganze Zeit in dem Bleibehaus zu sitzen, also habe ich stattdessen die Wäsche abgeholt und wieder ausgeliefert.« Sonea schnitt eine Grimasse. »Als ich das erste Mal Sachen zu einem Händler bringen musste, habe ich gesehen, wie einige Zünftler und Stallburschen einem Bäckermädchen zugesetzt haben. Ich wollte vermeiden, dass es mir genauso ergeht, also habe ich angefangen, mich wie ein Junge zu kleiden und mich auch wie einer zu benehmen.«
Donia zog die Brauen in die Höhe. »Und es hat funktioniert?«
»Meistens.« Sonea lächelte schief. »Aber manchmal kann es auch ziemlich unpraktisch sein, wie ein Junge auszusehen. Einmal hat sich eine Dienstmagd in mich verliebt! Ein anderes Mal war es ein Gärtner, der mich in die Enge trieb, und ich war mir sicher, dass er wusste, dass ich ein Mädchen bin. Bis er mich angefasst hat. Er wäre fast in Ohnmacht gefallen, dann wurde er plötzlich ganz rot im Gesicht und hat mir das Versprechen abgenommen, niemandem davon zu erzählen. Da draußen laufen alle möglichen Leute herum.«
Donia kicherte. »Die Mädchen hier nennen diese Männer Goldminen. Opia verlangt einen höheren Preis für Jungen, denn wenn die Wachen dahinterkämen, würden sie sie hängen. Aber mit Mädchen ist es nicht verboten. Erinnerst du dich noch an Kalia?«
Sonea nickte. Kalia war das dünne Mädchen gewesen, das in einem Bolhaus in der Nähe des Marktes bedient hatte.
»Es hat sich herausgestellt, dass ihr Vater sie jahrelang an Kunden verkauft hat«, erklärte Donia kopfschüttelnd. »Seine eigne Tochter! Letztes Jahr ist sie ihm davongelaufen und hat bei Opia angefangen. Sie meint, auf diese Weise würde sie wenigstens etwas von dem Geld zu sehen bekommen. Das hat mir erst richtig klar gemacht, wie viel Glück ich habe. Vater sorgt dafür, dass mich niemand auf ungebührliche Weise belästigt. Das Schlimmste, was ich –« Sie hielt inne und sah zur Tür, dann lief sie durch den Raum und spähte durchs Schlüsselloch. Ein erleichtertes Lächeln trat auf ihre Züge, und sie öffnete die Tür.
Cery schlüpfte hindurch und reichte Donia ein Bündel.
»Du siehst nicht anders aus«, sagte er, nachdem er Sonea kritisch beäugt hatte.
Donia seufzte. »Das Färbemittel hat nicht funktioniert. Kyralisches Haar lässt sich nicht so einfach verändern.«
Er zuckte die Achseln, dann deutete er mit dem Kopf auf das Bündel. »Ich habe dir etwas zum Anziehen mitgebracht, Sonea.« Er wandte sich wieder der Tür zu. »Wenn du fertig bist, klopf einfach.«
Als die Tür hinter ihm zufiel, griff Donia nach dem Bündel und wickelte es aus.
»Noch mehr Jungenkleider«, sagte sie naserümpfend und warf Sonea eine Hose und ein Hemd mit hohem Kragen zu. Anschließend förderte sie ein langes Gewand aus schwerem, schwarzem Tuch zutage. »Aber der Umhang ist in Ordnung.«
Sonea wechselte die Kleidung. Als sie sich den Umhang über die Schultern legte, klopfte es an der Tür.
»Wir brechen auf«, erklärte Cery, als er in den Raum trat. Harrin folgte ihm mit einer kleinen Lampe. Beide Männer blickten grimmig drein, und Soneas Herz setzte einen Schlag aus.
»Haben sie schon mit der Suche angefangen?«
Cery nickte, dann ging er zu einem alten, hölzernen Schrank im hinteren Teil des Raums. Er öffnete seine Türen und zog an den Regalbrettern. Sie ließen sich mühelos – die Tassen und Teller, die darauf standen, zitterten nur leicht – nach vorn aus dem Schrank schwenken und gaben auf dessen Rückseite eine rechteckige Öffnung frei.
»Sie suchen schon seit einigen Stunden«, sagte Harrin, als Sonea durch die verborgene Tür in die Finsternis der Geheimgänge trat.
»Wirklich?«
»Hier unten verliert man leicht das Zeitgefühl«, erklärte er. »Draußen ist bereits heller Vormittag.«
Cery scheuchte Harrin und Donia durch die Tür. Sonea hörte ein schwaches Quietschen, dann fiel der Schein von Harrins Lampe auf die feuchten Wände des Gangs. Cery zog von hinten die Schrankbretter wieder an ihren Platz und schloss die Schranktüren. Dann wandte er sich zu Harrin um.
»Kein Licht. Ich finde mich im Dunkeln besser zurecht.«
Der Korridor verschwand, als Harrin die Blende über seine Lampe schob.
»Und reden dürft ihr auch nicht«, fuhr Cery fort. »Sonea, halt dich an meinem Mantel fest und leg die andere Hand an die Mauer.«
Sie griff nach dem groben Stoff seines langen Mantels. Eine Hand legte sich sachte auf ihre Schulter. Im nächsten Moment hallten auch schon ihre Schritte durch den Korridor.