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Kein Lichtstrahl erhellte ihren Weg, als sie sich an den Mauern entlangtasteten und mehrmals die Richtung wechselten. Das schwache Echo von tropfendem Wasser kam und ging und kehrte wieder zurück. Opias Bordell lag in der Nähe des Flusses, wie Sonea sich erinnerte. Daher befanden sich die Gänge wahrscheinlich unterhalb des Wasserspiegels. Was nicht gerade ein tröstlicher Gedanke war.

Cery blieb stehen, und sein Mantel entglitt Soneas Fingern, als er sich plötzlich nach oben bewegte. Sie streckte die Hand aus und traf nur auf grobe Holzbretter. Sie hatte Angst, Cery zu verlieren, wenn sie zu lange zögerte, daher eilte sie die Leiter hinauf, was ihr einen Tritt von Cerys Stiefel eintrug. Sie unterdrückte einen Fluch und setzte ihren Weg deutlich behutsamer fort. Hinter ihr war das leise Scharren von Schuhen auf Holz zu hören; Harrin und Donia folgten ihnen nach oben.

Über ihnen wurde jetzt ein Quadrat aus bleicherem Schwarz sichtbar. Sonea trat hinter Cery durch eine Falltür in einen langen, schnurgeraden Gang. Schwaches Licht fiel hier und da durch Risse im Mauerwerk. Nach mehr als hundert Schritten erreichten sie eine Biegung des Gangs, und Cery blieb abrupt stehen.

Der Weg vor ihnen wurde jetzt von einer Lichtquelle erhellt, die sich irgendwo jenseits der Biegung befinden musste. Sonea konnte Cerys Silhouette ausmachen. Dann drang eine ferne Stimme an ihre Ohren, männlich und sehr kultiviert. »Ah! Noch ein Geheimgang. Komm, lass uns nachsehen, wie weit der Gang reicht.«

»Sie sind in den Korridoren!«, hauchte Donia.

Cery fuhr herum und winkte Sonea verzweifelt zu. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass Harrin und Donia bereits auf Zehenspitzen in dieselbe Richtung zurückkehrten, aus der sie gekommen waren.

Obwohl sie sich so leise und so schnell bewegten wie nur möglich, schienen ihre Schritte in dem engen Raum laut widerzuhallen. Sonea spitzte die Ohren, weil sie jeden Augenblick damit rechnete, einen Ausruf hinter sich zu hören. Als sie hinabblickte, sah sie, dass ihr eigener Schatten immer deutlicher wurde. Das Licht hinter ihnen näherte sich der Biegung.

Der Gang vor ihnen verlor sich in unendlicher Dunkelheit. Sonea drehte sich noch einmal um. Das Licht hinter ihnen war jetzt so hell, dass es keinen Zweifel mehr für sie gab: Der Magier musste die Biegung im nächsten Moment erreichen. Und dann würde er sie sehen …

Hände hielten sie plötzlich an den Schultern fest, und Sonea sog scharf die Luft ein. Cery drückte sie an die Wand. Das Mauerwerk schien hinter ihr nachzugeben, und sie taumelte einen Schritt rückwärts.

Dann stieß sie gegen eine weitere Mauer. Cery schob sie zur Seite und trat dann neben sie in die winzige Nische im Mauerwerk. Er traf Sonea mit seinem knochigen Ellbogen in die Rippen, dann hörte sie ein trockenes Scharren: Die Ziegelsteine rückten wieder an ihren ursprünglichen Platz.

In dem engen Raum klang ihr Atem wie Donnern. Mit hämmerndem Herzen lauschte Sonea in die Dunkelheit, bis gedämpfte Stimmen das Mauerwerk durchdrangen. Licht fiel durch die Ritzen zwischen den Steinen. Sonea beugte sich vor und spähte durch eine der Öffnungen.

In der Luft direkt vor ihr hing ein leuchtender Ball aus Licht. Fasziniert beobachtete sie, wie das Licht durch den Korridor wehte, bis es nicht mehr zu sehen war. Allerdings standen ihr jetzt rote Flecken vor den Augen. Dann erschien eine bleiche Hand, gefolgt von einem weiten, purpurfarbenen Ärmel und der Brust eines Mannes – eines Mannes, der Roben trug. Ein Magier!

Ihr Puls raste. Er war so nah – nur eine Armlänge von ihr entfernt. Und zwischen ihnen stand nichts als eine dünne Mauer alter Ziegelsteine.

Und er war stehen geblieben.

»Einen Moment mal.« Der Magier klang verwirrt. Er hielt mitten in der Bewegung inne, dann drehte er sich langsam zu Sonea um.

Sie erstarrte vor Entsetzen. Es war der Magier vom Nordplatz, der, der sie gesehen hatte. Der Mann, der mit der Hand auf sie gedeutet hatte, um seine Gefährten auf sie aufmerksam zu machen. Jetzt wirkte er seltsam geistesabwesend, als horche er auf etwas, und er schien durch die Mauer hindurch direkt in Soneas Augen zu blicken.

Ihr Mund wurde trocken, und sie schmeckte Staub auf der Zunge. Sie schluckte und kämpfte gegen die aufsteigende Panik an. Das Hämmern ihres Herzens musste laut genug sein, um sie zu verraten. Konnte der Mann das hören? Oder konnte er sie atmen hören?

Vielleicht kann er die Gedanken in meinem Kopf hören.

Sonea spürte, wie die Beine unter ihr nachzugeben drohten. Es hieß, Magier könnten dergleichen. Sie presste die Augen fest zusammen. Er kann mich nicht sehen, dachte sie. Es gibt mich nicht, ich bin nicht hier. Ich bin nichts. Niemand kann mich sehen. Niemand kann mich hören…

Ein eigentümliches Gefühl befiel sie, als hätte man ihr eine Decke um den Kopf geschlungen und ihre Sinne betäubt. Sie begann zu zittern, denn sie wusste plötzlich, dass sie irgendetwas getan hatte – aber diesmal hatte sie es mit sich selbst getan.

Oder vielleicht hat ja auch der Magier irgendeine Art von Magie in meine Richtung gesandt, ging es ihr plötzlich durch den Kopf. Erschrocken öffnete sie die Augen – und starrte in ungebrochene Dunkelheit.

Der Magier und sein Licht waren verschwunden.

Dannyl betrachtete das Gebäude vor sich voller Abscheu. Es war das jüngste Bauwerk der Gilde, und ihm fehlten die Pracht und die Schönheit, die er bei den anderen Gebäuden so sehr bewunderte. Während einige Magier ein Loblied auf die moderne Architektur sangen, fand Dannyl dieses Machwerk genauso lächerlich protzig wie dessen Namen.

Bei den Sieben Bögen handelte es sich um ein flaches, rechteckiges Gebilde mit sieben schmucklosen Bögen an der Frontseite. Der Bau beherbergte den Tagessaal, in dem wichtige Gäste empfangen wurden, den Bankettsaal und den Abendsaal, in dem die Magier an jedem Vierttag des Abends zwanglos zusammenfanden, um sich an teurem Wein und Tratsch gütlich zu tun. Dorthin waren er und Rothen jetzt unterwegs. Es war ein kühler Abend, aber ein wenig kalte Luft hatte die regelmäßigen Gäste des Abendsaals noch nie von einem Besuch abgehalten. Dannyl lächelte, als er eintrat. Sobald er die Tür durchschritten hatte, konnte er die architektonischen Schnitzer der Fassade vergessen und sich an der geschmackvollen Inneneinrichtung ergötzen.

Nachdem er den zweiten Tag in den feuchten, kalten Geheimgängen des Hüttenviertels verbracht hatte, wusste er den Luxus dieses Saals umso mehr zu schätzen. Bequem gepolsterte Sessel standen bereit, und an den Wänden hingen die Gemälde und Schnitzereien der besten Künstler der Verbündeten Länder.

An diesem Abend hatten sich mehr Magier hier eingefunden als sonst, stellte er fest. Sogar einige der Magier, die normalerweise wenig gesellig waren, hatten heute den Weg hierher gefunden. Dann erblickte Dannyl in einer Ecke eine schwarze Robe, und er hielt jäh inne.

»Der Hohe Lord beehrt uns heute Abend mit seiner Anwesenheit«, murmelte er.

»Akkarin? Wo?« Rothen sah sich im Raum um und zog die Augenbrauen in die Höhe, als er die schwarzgewandete Gestalt entdeckte. »Interessant. Wie lange ist er nicht mehr hier gewesen? Seit zwei Monaten?«

Dannyl ließ sich von einem Dienstboten ein Glas Wein geben und nickte. »Mindestens.«

»Ist das Administrator Lorlen, der da neben ihm steht?«

»Natürlich«, antwortete Dannyl und nahm einen Schluck von seinem Wein. »Lorlen unterhält sich mit irgendjemandem, aber ich kann nicht sehen, wer es ist.«

Jetzt hob Lorlen den Kopf, und sein Blick fiel auf Dannyl und Rothen. Er hob die Hand.

— Dannyl. Rothen. Ich würde gern mit Euch sprechen.

Überrascht und ein wenig nervös folgte Dannyl Rothen durch den Raum. Hinter dem Sessel, der Dannyl den Blick auf Lorlens zweiten Begleiter versperrt hatte, blieben sie stehen. Eine kultivierte Stimme erklang.

»Die Hüttensiedlungen sind ein hässlicher Schandfleck für diese Stadt. Sie sind eine Brutstätte für Verbrechen und Seuchen. Der König hätte niemals zulassen dürfen, dass sie so groß werden. Dies ist die perfekte Gelegenheit, um Imardin davon zu befreien.«