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»Weißt du, welche Strafe demjenigen blüht, der Feinde der Gilde versteckt, alter Mann?«, zischte der Magier. »Wenn du mir nicht zeigst, wo du dieses Mädchen verborgen hältst, werde ich dein Haus abreißen lassen, Stein für Stein, und dann…«

»Sonea«, flüsterte Cery.

Sie drehte sich zu ihm um. Er bedeutete ihr, ihm zu folgen, bevor er sich langsam über das Dach schob. Sonea zwang sich dazu, Arme und Beine zu bewegen.

Sie wagte es nicht, sich allzu schnell heruntergleiten zu lassen, weil sie befürchtete, der Magier könnte sie hören. Langsam näherte sie sich der Dachtraufe. Als sie sie erreicht hatte, wandte Sonea den Kopf. Cery war verschwunden. Aus den Augenwinkeln nahm sie eine flüchtige Bewegung wahr, und dann sah sie seine Hände, die die Regenrinne unter ihr umfassten.

»Sonea«, zischte Cery. »Komm mir nach!«

Langsam beugte sie die Knie und ließ sich weiter nach unten rutschen, bis sie der Länge nach neben der Regenrinne lag. Cery hing zwei Stockwerke über dem Boden. Jetzt deutete er mit dem Kopf auf ein eingeschossiges Gebäude gleich neben dem Haus des Kaufmanns.

»Dort wollen wir hin«, sagte er zu ihr. »Beobachte mich und tu dann genau das, was ich tue.«

Cery beugte sich vor und legte die Arme um ein Rohr, das an der Wand entlang von der Dachrinne bis zum Boden hinabführte. Das Rohr knarrte erschreckend, aber Cery kletterte flink hinunter und benutzte die Klammern, mit denen das Rohr an der Hauswand befestigt war. Mit einem einzigen großen Schritt ließ er sich im richtigen Augenblick auf das andere Dach fallen und winkte Sonea von dort aus zu.

Sonea holte tief Luft, klammerte sich an die Regenrinne und ließ sich vom Dach hinunterrollen. Einen Moment lang hing sie in der Luft. Ihre Hände protestierten gegen die ungewohnte Anstrengung, aber dann bekam sie das Rohr zu fassen. So schnell sie konnte, kletterte sie daran bis auf das Dach des anderen Hauses hinunter.

Cery grinste. »Das war doch ganz einfach, nicht wahr?«

Sie rieb sich die Finger, in die sich die scharfen Kanten der Regenrinne eingegraben hatten, und zuckte die Achseln. »Ja und nein.«

»Komm weiter. Lass uns von hier verschwinden.«

Vorsichtig bahnten sie sich einen Weg über das Dach, über das bitterkalter Wind strich. Auf dem Nachbarhaus angekommen, ließen sie sich an einem weiteren Abflussrohr in eine schmale Gasse zwischen den Häusern hinab.

Cery legte einen Finger an die Lippen und setzte sich wieder in Bewegung. Auf halber Höhe der Gasse blieb er stehen, versicherte sich kurz, dass niemand ihnen gefolgt war, und zog ein kleines Gitter aus einer Mauer. Er ließ sich auf den Bauch fallen und zwängte sich geschickt durch die Öffnung. Sonea tat es ihm gleich.

Dunkelheit umfing sie. Soneas Augen gewöhnten sich langsam an das Fehlen von Licht, bis sie die Wände eines engen, aus Ziegelsteinen gemauerten Ganges erkennen konnte. Cery starrte durch die Dunkelheit zu Norins Haus hinüber.

»Armer Norin«, flüsterte Sonea. »Was wird jetzt mit ihm geschehen?«

»Ich weiß es nicht, aber es schaut nicht gut aus.«

Sonea schluckte. »Und das alles ist meine Schuld.«

Er drehte sich zu ihr um. »Nein«, knurrte er. »Es ist die Schuld der Magier – und desjenigen, der uns verraten hat, wer immer es sein mag.« Stirnrunzelnd blickte er den Gang entlang. »Ich würde ja umkehren und herausfinden, wer es war, aber zuerst einmal muss ich dich in Sicherheit bringen.«

Sonea sah ihn an und bemerkte mit einem Mal eine Härte in seinen Zügen, die sie dort noch nie gesehen hatte. Ohne ihn hätten die Magier sie schon vor Tagen gefunden. Ohne ihn wäre sie jetzt wahrscheinlich tot.

Sie brauchte ihn, aber welchen Preis würde er dafür zahlen müssen, dass er ihr half? Er hatte um ihretwillen schon Gefälligkeiten für die Zukunft versprochen und Gefälligkeiten eingefordert, die andere ihm schuldeten. Außerdem riskierte er die Missbilligung der Diebe, indem er ihre Tunnel benutzte.

Und was würde geschehen, wenn die Magier sie fanden?

Wenn Norin schon sein Haus verlor, weil die Magier ihn in Verdacht hatten, sie zu verstecken, was würden sie dann erst Cery antun? »Weißt du, welche Strafe demjenigen blüht, der Feinde der Gilde versteckt, alter Mann?« Sie schauderte und griff nach Cerys Arm.

»Du musst mir ein Versprechen geben, Cery.«

Mit großen Augen starrte er sie an. »Ein Versprechen?«

Sie nickte. »Falls sie uns jemals fangen sollten, musst du so tun, als würdest du mich nicht kennen. Versprich mir das.« Er öffnete den Mund, um zu protestieren, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Falls sie dich dabei sehen sollten, dass du mir hilfst, dann lauf weg. Lass dich nicht auch noch von ihnen fangen.«

Er schüttelte den Kopf. »Sonea, ich würde niemals –«

»Sag einfach, dass du es tun wirst. Ich… ich könnte es nicht ertragen, wenn die Magier dich meinetwegen töten würden.«

Cerys Augen weiteten sich, dann legte er ihr lächelnd eine Hand auf die Schulter. »Sie werden dich nicht fangen«, erklärte er. »Und selbst wenn sie es tun, hole ich dich zurück. Das verspreche ich dir.«

6

Begegnungen unter der Erde

Auf dem Schild des Bolhauses stand: Das Kühne Messer. Kein ermutigender Name, aber ein kurzer Blick ins Innere der Schankstube hatte einen ruhigen Raum gezeigt. Im Gegensatz zu den Gästen aller anderen Bolhäuser, die Dannyl betreten hatte, wirkten die Leute hier gesittet und unterhielten sich in gedämpftem Tonfall.

Also drückte er die Tür auf und trat ein. Einige der Zecher blickten in seine Richtung, aber die meisten beachteten ihn gar nicht. Auch dies war eine willkommene Abwechslung. Ein leichtes Unbehagen stieg in ihm auf. Warum unterschied sich dieses Lokal so sehr von den anderen, die er besucht hatte?

Er war zuvor nie in Bolhäusern gewesen und hatte auch nie den Wunsch danach verspürt, aber der Soldat, den er mit der Suche nach den Dieben betraut hatte, hatte ihm genaue Anweisungen gegeben: Geh in ein Bolhaus, sag dem Besitzer, mit wem du reden willst, und wenn dann ein Führer auftaucht, bezahle die entsprechende Gebühr. So wurden diese Dinge offensichtlich gehandhabt.

Natürlich konnte er nicht in seiner Robe ein Bolhaus betreten und die Art von Zusammenarbeit erwarten, die er sich erhoffte. Daher hatte er sich dem Gebot der anderen Magier widersetzt und war in die schlichte Gewandung eines Kaufmanns geschlüpft.

Er hatte seine Verkleidung mit großer Sorgfalt ausgewählt. Kein noch so schäbiges Gewand hätte seine ungewöhnliche Körpergröße, seinen hervorragenden Gesundheitszustand und seine kultivierte Stimme verbergen können. Die Geschichte, die er sich ausgedacht hatte, erzählte von unglücklichen Investitionen und üblen Schulden. Niemand wollte ihm Geld leihen. Die Diebe waren seine letzte Hoffnung. Ein Kaufmann in dieser Situation wäre genauso ratlos, wie Dannyl es war, auch wenn er erheblich größere Angst gehabt hätte.

Dannyl holte noch einmal tief Luft und ging dann zur Theke hinüber. Der Wirt war ein dünner Mann mit hohen Wangenknochen und grimmiger Miene. Graue Strähnen zogen sich durch sein schwarzes Haar. Er musterte Dannyl mit harten Augen.

»Was soll es sein?«

»Etwas zu trinken.«

Der Mann griff nach einem hölzernen Becher und füllte ihn aus einem der Fässer hinter der Theke. Dannyl nahm eine Kupfer- und eine Silbermünze aus seiner Börse. Das Silber versteckte er, während er dem Mann die Kupfermünze in die ausgestreckte Hand legte.

»Ihr sucht wohl nach einem Messer?«, fragte der Wirt leise.

Dannyl sah den Mann überrascht an.

Der Wirt lächelte grimmig. »Warum sonst solltet Ihr Das Kühne Messer aufsuchen? Habt Ihr so etwas schon mal gemacht?«

Dannyl schüttelte den Kopf und überlegte hastig. Dem Tonfall des Mannes nach war die Suche nach diesem »Messer« offensichtlich etwas, das man in aller Heimlichkeit tat. Es gab kein Gesetz gegen den Besitz von Klingen, daher musste »Messer« ein Wort für einen verbotenen Gegenstand sein – oder einen verbotenen Dienst. Er hatte keine Ahnung, was das sein mochte, aber dieser Mann hatte ihm bereits zu verstehen gegeben, dass er zwielichtige Geschäfte erwartete, also konnte es nichts schaden, das Spiel mitzuspielen.