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»Bleibt hier. Und nehmt auf keinen Fall die Augenbinde ab.«

Die Tür wurde geschlossen.

Über ihm erklangen Stimmen und Schritte, und er vermutete, dass er sich unter einem der weniger zivilisierten Bolhäuser befand. Er lauschte den Geräuschen, dann begann er, seine Atemzüge zu zählen. Als ihn dies schließlich langweilte, hob er die Hände, um seine Augenbinde abzunehmen. Er hörte ein leises Geräusch hinter sich, wie es nackte Füße auf einem mit Teppich belegten Fußboden verursachen. Er drehte sich um und berührte mit den Händen die Augenbinde, dann erstarrte er, als er hörte, wie der Türknauf heruntergedrückt wurde. Hastig ließ er den Stoff los.

Die Tür wurde nicht geöffnet. Dannyl wartete ab und konzentrierte sich auf die Stille im Raum. Irgendetwas erregte seine Aufmerksamkeit. Etwas Feineres, Ungreifbareres als das leise Geräusch, das er zuvor gehört hatte.

Eine Aura.

Sie schwebte hinter ihm. Mit einem tiefen Atemzug streckte er die Arme aus und tat so, als taste er nach den Mauern. Als er sich umdrehte, rückte die Aura beiseite.

Irgendjemand war bei ihm im Raum. Jemand der nicht bemerkt werden wollte. Der Teppich dämpfte seine Schritte, und der Lärm aus dem Bolhaus übertönte alle anderen Geräusche. Das blumige Parfüm, das in der Luft hing, würde die schwächeren Gerüche eines Körpers überdecken. Einzig mithilfe der Sinneswahrnehmungen, die nur ihm als Magier zu Gebote standen, hatte er den Fremden aufgespürt.

Er wurde auf die Probe gestellt. Jemand wollte herausfinden, ob er etwas wahrnehmen würde. Ob er ein Magier war.

Dannyl sandte seine Sinne aus und entdeckte eine weitere schwache Aura. Diese Aura bewegte sich nicht. Vorsichtig streckte er die Arme aus und machte einen Schritt nach vorn. Die erste Aura wich ihm aus, aber er ignorierte sie. Nach zehn Schritten stieß er auf eine Wand. Er legte die Hände auf die raue Oberfläche und tastete sich durch den Raum in die Richtung, in der er die andere Aura wahrgenommen hatte. Die erste Aura entfernte sich, dann näherte sie sich ihm plötzlich mit großer Eile. Er spürte einen schwachen Lufthauch im Nacken. Ohne darauf zu achten, setzte er seinen Weg fort.

Er ertastete den Türrahmen, dann einen Ärmel. Jemand nahm ihm die Augenbinde ab, und er sah sich plötzlich einem alten Mann gegenüber.

»Ich entschuldige mich dafür, dass ich Euch warten ließ«, erklärte der Mann. Dannyl erkannte die Stimme. Es war sein Führer. Hatte der Mann den Raum überhaupt verlassen?

Sein Führer bot ihm keine weiteren Erklärungen an, sondern öffnete die Tür. »Wenn Ihr mir jetzt bitte folgen wollt.«

Dannyl blickte sich in dem mittlerweile leeren Raum um, dann trat er in einen weiteren Gang hinein.

Diesmal gingen sie langsamer, und die Lampe baumelte in der Hand des Alten hin und her. Die Mauern waren solide gebaut. An jeder Wegbiegung war ein kleines Paneel mit seltsamen Symbolen darauf in die Ziegelsteine eingelassen. Es ließ sich unmöglich erraten, wie spät es war, aber Dannyl wusste, dass viele Stunden verstrichen sein mussten, seit er das erste Bolhaus betreten hatte. Er war sehr zufrieden mit sich, weil es ihm gelungen war, den Test des Mannes zu durchschauen. Hätten sie ihn auch zu den Dieben gebracht, wenn er sich als Magier zu erkennen gegeben hätte? Er bezweifelte es.

Es würde möglicherweise weitere Tests geben – er musste in jedem Fall vorsichtig sein. Er wusste nicht, wie nah er einem Gespräch mit Gorin bereits gekommen war. In der Zwischenzeit sollte er so viel wie möglich über die Menschen in Erfahrung bringen, mit denen er verhandeln wollte. Nachdenklich betrachtete er seinen Begleiter.

»Was ist ein ›Messer‹?«

Der alte Mann knurrte. »Ein Auftragsmörder.«

Dannyl blinzelte, dann unterdrückte er ein Lächeln. Das Kühne Messer war also ein wahrhaft passender Name. Wieso konnte der Besitzer damit durchkommen, dass er sein Gewerbe so offen zur Schau trug?

Nun, über diese Frage würde er später nachdenken. Für den Augenblick gab es nützlichere Dinge, die es herauszufinden galt.

»Gibt es noch irgendwelche anderen erfundenen Ausdrücke, die ich kennen sollte?«

Der alte Mann lächelte. »Wenn Euch jemand einen Boten schickt, ist das entweder eine Drohung für Euch – oder aber bereits die Ausführung dieser Drohung.«

»Ich verstehe.«

»Und ein Petz ist jemand, der die Diebe verrät. Zu der Sorte wollt Ihr gewiss nicht gehören. Sie führen ein kurzes Leben.«

»Ich werde es mir merken.«

»Wenn alles gut geht, wird man Euch als Klienten bezeichnen. Kommt ganz darauf an, weshalb Ihr hier seid.« Er blieb stehen und drehte sich zu Dannyl um. »Ich schätze, es wird langsam Zeit, das herauszufinden.«

Er klopfte an die Wand. Stille folgte, dann gaben die Ziegelsteine an zwei Stellen nach. Der alte Mann deutete auf die Öffnung.

Der Raum, den Dannyl nun betrat, war klein. Ein Tisch passte genau zwischen die Wände und versperrte den Weg zu dem hochgewachsenen Mann, der auf dem Stuhl dahinter saß. Außerdem bemerkte Dannyl noch zwei Türen, die einen Spaltbreit offen standen.

»Larkin, der Matten-Händler«, sagte der Mann. Seine Stimme war überraschend tief.

Dannyl neigte den Kopf. »Und Ihr seid?«

Der Mann lächelte. »Gorin.«

Für Besucher gab es keinen Stuhl. Dannyl trat näher an den Tisch heran. Gorin war kein gut aussehender Mann, aber sein massiger Körper bestand eher aus Muskeln denn aus Fett. Sein Haar war dicht und gewellt, und auf seinem Kinn spross wie dicke Wolle ein Bart. Er machte seinen Namensvettern, den gewaltigen Tieren, die die Kähne den Tarali-Fluss hinaufschleppten, alle Ehre.

»Ihr führt die Diebe?«, fragte Dannyl.

Gorins Mundwinkel zuckten. »Niemand führt die Diebe.«

»Woher weiß ich dann, ob ich mit dem richtigen Mann spreche?«

»Ihr wollt ein Abkommen treffen? Ihr trefft es mit mir.« Er breitete die Hände aus. »Wenn Ihr das Abkommen brecht, werde ich Euch bestrafen. Betrachtet mich als etwas zwischen einem Vater und einem König. Ich helfe Euch, aber wenn Ihr mich betrügt, werde ich Euch töten. Klingt das vernünftig?«

Dannyl schürzte die Lippen. »Ich dachte eher an etwas Ausgewogeneres. Ein Handel von Vater zu Vater vielleicht? Den Titel eines Königs möchte ich mir nicht anmaßen, obwohl er verlockend klingt.«

Wieder lächelte Gorin, aber das Lächeln reichte nicht bis zu seinen Augen. »Was wollt Ihr, Mattenhändler Larkin?«

»Ich möchte, dass Ihr mir helft, jemanden zu finden.«

»Ah.« Der Dieb nickte. Er zog einen kleinen Schreibblock, einen Füllfederhalter und ein Tintenfass zu sich heran. »Wen?«

»Ein Mädchen. Zwischen vierzehn und sechzehn. Klein, mager, dunkles Haar.«

»Sie ist davongelaufen, wie?«

»Ja.«

»Warum?«

»Ein Missverständnis.«

Gorin nickte mitfühlend. »Was glaubt Ihr, wo sie sich versteckt haben könnte?«

»In den Hütten.«

»Wenn sie noch lebt, werde ich sie finden. Wenn sie tot ist oder wir sie innerhalb eines bestimmten Zeitraums – den wir noch miteinander vereinbaren werden – nicht finden können, enden damit Eure Verpflichtungen mir gegenüber. Wie heißt sie?«

»Wir kennen ihren Namen noch nicht.«

»Ihr kennt…« Gorin blickte mit schmalen Augen auf. »Wir?«

Dannyl gestattete sich ein Lächeln. »Ihr müsst die Tests, denen Ihr Eure Besucher unterzieht, verfeinern.«

Gorins Augen weiteten sich kaum merklich. Dann schluckte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ach ja?«

»Was hattet Ihr mit mir vor, wenn ich Euren Test nicht bestanden hätte?«

»Euch an einen weit entfernten Ort zu bringen.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, dann hob er die Schultern. »Aber Ihr seid hier. Was wollt Ihr?«

»Wie ich schon sagte: Wir wollen, dass Ihr uns helft, das Mädchen zu finden.«