»Vielleicht solltest du jeden Abend einen Bericht über deine Fortschritte schreiben und ihn an deine Tür nageln.«
»Ich glaube nicht, dass das helfen würde. Wahrscheinlich würden sie denken, sie hätten irgendeine winzige Information nicht mitbekommen, wenn sie mich nicht persönlich befragen.« Rothen schüttelte den Kopf und betrachtete seine Kollegen, die im Raum verteilt standen und ihre Gedanken miteinander teilten. »Und aus irgendeinem Grund wollen sie diese Dinge immer von mir wissen. Warum gehen sie dir nie auf die Nerven?«
»Aus Respekt vor deinem offenkundig höheren Alter«, erwiderte Dannyl.
Rothen sah seinen Freund mit schmalen Augen an. »Offenkundig?«
»Ah, da kommt eine Karaffe Wein, um deine armen, müden Stimmbänder zu befeuchten.« Dannyl winkte einen Diener herbei, der ein Tablett trug.
Rothen nahm ein Glas von seinem Freund entgegen und nippte anerkennend. Irgendwie war er zum inoffiziellen Organisator der Suche nach dem Mädchen geworden. Mit Ausnahme von Fergun und seinen Freunden wurde allenthalben erwartet, dass er die Dinge in die Hand nahm. Diese Entwicklung hatte ihn dazu gezwungen, weniger Zeit mit der aktiven Suche nach dem Mädchen zu verbringen, und er wurde viele Male am Tag gestört, wenn seine Kollegen ihn mit Hilfe der Gedankenrede baten, ein Mädchen zu identifizieren, das sie gefunden hatten.
Plötzlich legte ihm jemand eine Hand auf die Schulter, und Rothen zuckte zusammen. Als er sich umwandte, stand Administrator Lorlen neben ihm.
»Guten Abend, Lord Rothen, Lord Dannyl«, sagte Lorlen. »Der Hohe Lord wünscht, Euch zu sprechen.«
Rothen sah sich im Raum um. Der Hohe Lord hatte soeben in seinem bevorzugten Sessel Platz genommen. Als die anderen Magier Akkarins Anwesenheit bemerkten, veränderte sich die Atmosphäre im Saal, und ein neugieriges Raunen erklang. Dann werde ich mich also ein weiteres Mal wiederholen müssen, überlegte Rothen, während er und Dannyl auf den Führer der Gilde zugingen.
Bei ihrem Näherkommen blickte der Hohe Lord auf und begrüßte sie mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken. Die langen Finger hatte er um ein Weinglas geschlungen.
»Bitte, setzt Euch.« Lorlen deutete auf zwei leere Sessel. »Erzählt uns, welche Fortschritte Eure Suche macht.«
Rothen ließ sich in einem der Sessel nieder. »Wir haben über zweihundert Informanten befragt, aber von den meisten haben wir nichts Nützliches erfahren. Einige hatten ganz gewöhnliche Bettlermädchen eingesperrt. Manche Informanten legten allerdings überzeugende Enttäuschung an den Tag, als sich herausstellte, dass der Ort, an dem sich das Mädchen angeblich versteckt hatte, mit einem Mal leer war. Und das ist leider das Einzige, was ich bisher berichten kann.«
Lorlen nickte. »Lord Fergun vermutet, dass irgendjemand sie beschützt.«
Dannyls Lippen wurden zu einer schmalen Linie, aber er sagte nichts.
»Die Diebe?«, fragte Rothen.
Lorlen zuckte die Achseln. »Oder ein wilder Magier. Sie hat sehr schnell gelernt, ihre Aura zu verbergen.«
»Ein wilder Magier?« Rothen sah zu Akkarin hinüber und dachte daran, dass der Hohe Lord beteuert hatte, dass es keinen wilden Magier in den Hütten gebe. »Habt Ihr Grund zu der Vermutung, dass wir es nun doch mit einem wilden Magier zu tun haben?«
»Ich habe gespürt, dass jemand Magie benutzt«, erwiderte Akkarin leise. »Nicht viel Magie und noch nicht lange. Ich glaube, sie experimentiert allein, da ein Lehrer ihr mittlerweile gewiss beigebracht hätte, ihre Aktivitäten zu verbergen.«
Rothen sah den Hohen Lord forschend an. Dass Akkarin eine derart schwache Magie in der Stadt spüren konnte, war erstaunlich, ja sogar beunruhigend. Als der andere Mann seinem Blick begegnete, sah Rothen hastig auf seine Hände hinab.
»Das sind… interessante Neuigkeiten«, bemerkte er.
»Konntet Ihr… konntet Ihr erkennen, wo sie sich aufhält?«, fragte Dannyl.
Akkarin schürzte die Lippen. »Sie benutzt Magie immer nur stoßweise; manchmal ist es ein einzelnes Vorkommnis, manchmal mehrere im Laufe einer Stunde. Ihr würdet die Magie des Mädchens spüren, wenn Ihr wüsstet, worauf Ihr achten müsst, aber solange sie ihre Kräfte nicht über einen längeren Zeitraum hinweg benutzt, besteht kaum eine Chance, sie zu finden und gefangen zu nehmen.«
»Aber wir könnten ihr jedes Mal, wenn sie Magie benutzt, ein klein wenig näher kommen«, sagte Dannyl langsam. »Wir könnten uns in der Stadt verteilen und warten. Sobald sie zu experimentieren beginnt, könnten wir den Kreis ein wenig enger ziehen, bis wir ihren Aufenthaltsort kennen.«
Der Hohe Lord nickte. »Sie befindet sich im nördlichen Bereich des Äußeren Rings.«
»Dann werden wir morgen dort mit der Suche beginnen.« Dannyl legte die Fingerspitzen aneinander. »Aber wir müssen darauf achten, dass wir unsere Strategie nicht verraten und sie auf diese Weise vorwarnen. Wer sie beschützt, hat vielleicht Helfer, die nach Magiern Ausschau halten.« Er zog eine Augenbraue in die Höhe. »Unsere Erfolgsaussichten wären größer, wenn wir unsere Identität geheim halten könnten.«
Akkarins Mundwinkel zuckten leicht. »Weite Umhänge dürften genügen, um Eure Roben zu verbergen.«
Dannyl nickte hastig. »Natürlich.«
»Ihr werdet nur eine einzige Chance haben«, warnte Lorlen. »Wenn das Mädchen erfährt, dass Ihr ihre Magie spüren könnt, wird sie Euch ausweichen, indem sie nach jedem Experiment den Aufenthaltsort wechselt.«
»Dann müssen wir schnell sein – und je mehr Magier uns zur Verfügung stehen, desto eher können wir das Mädchen finden.«
»Ich werde um weitere Freiwillige bitten.«
»Vielen Dank, Administrator.« Dannyl neigte den Kopf.
Lorlen lächelte und lehnte sich in seinem Sessel zurück.
»Ich muss sagen, ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so glücklich darüber sein würde, zu hören, dass unser kleiner Flüchtling anfängt, seine Kräfte zu benutzen.«
Rothen runzelte die Stirn. Ja, dachte er, aber wann immer sie das tut, kommt sie dem Punkt, an dem sie endgültig die Kontrolle über ihre Magie verliert, ein klein wenig näher.
Das Päckchen war schwer, wenn auch klein. Cery ließ es mit einem befriedigenden Krachen auf den Tisch fallen. Faren griff danach und riss das Einwickelpapier herunter. Eine kleine, hölzerne Schatulle kam zum Vorschein. Als er den Deckel öffnete, warfen winzige Scheiben ihr Licht über den Dieb und die Wand hinter ihm.
Beim Anblick der polierten Münzen krampfte sich Cerys Brust zusammen. Faren zog einen kleinen Holzblock mit drei darin eingelassenen Stiften hervor. Dann machte sich der Dieb daran, die Münzen auf die Stifte zu schieben. Die Löcher in den Münzen schmiegten sich mühelos um die entsprechenden Stifte: Gold kam auf den runden Stift, Silber auf den eckigen, und große Kupfermünzen wurden auf den dreieckigen geschoben. Der Stift, der für das Kupfer gedacht war, blieb leer. Als der Stapel mit Gold zehn Münzen hoch war, schob Faren ihn von dem Stift auf eine »Kappe«, einen kleinen Holzpflock mit Verschlussklammern an beiden Seiten.
»Ich habe noch eine Aufgabe für dich, Ceryni.«
Cery riss sich widerstrebend von dem Anblick des Reichtums vor ihm los, straffte die Schultern und runzelte dann die Stirn, als ihm die Bedeutung von Farens Worten dämmerte. Wie viele »Aufgaben« musste er noch erledigen, bevor er Sonea sehen durfte? Es war über eine Woche vergangen, seit Faren sie unter seine Fittiche genommen hatte. Cery schluckte seinen Ärger herunter und nickte dem Dieb zu.
»Was soll ich tun?«
Faren lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, und in seinen gelben Augen leuchtete Erheiterung auf. »Die nächste Aufgabe dürfte deinen Talenten wohl ein wenig mehr entgegenkommen. Seit einiger Zeit haben es sich zwei Gauner zur Gewohnheit gemacht, Läden im Norden des Inneren Rings auszurauben – Läden, mit deren Besitzern ich ein Abkommen habe. Ich möchte, dass du herausfindest, wo diese beiden Narren leben. Dann wirst du ihnen eine Botschaft von mir überbringen – auf eine Art und Weise, die ihnen sehr deutlich macht, dass ich sie genau beobachte. Kannst du das für mich erledigen?«