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In dem Raum auf der anderen Seite brannte eine Lampe. Nig lag leise schnarchend in einem Bett. Tullin ging im Raum auf und ab und rieb sich das Gesicht. Als er in den Schein der Lampe trat, konnte Cery seine schief im Gesicht sitzenden Augen und die dunklen Schatten darunter erkennen.

Der hochgewachsene Mann hatte wohl nicht gut geschlafen – wahrscheinlich befürchtete er, die Diebe könnten auf einen Besuch vorbeikommen. Als hätte er Cerys Gedanken gelesen, eilte er plötzlich auf die Hintertür zu. Cery wollte sich schon lautlos zurückziehen, aber Tullin streckte nicht, wie erwartet, die Hand nach dem Türgriff aus. Stattdessen schlossen sich seine Finger um irgendetwas in der Luft und verfolgten seinen Weg zur Decke hinauf, wo Cery sie nicht beobachten konnte. Eine Schnur, vermutete Cery. Er brauchte nicht zu sehen, was über der Tür hing, um zu erraten, dass Tullin eine Falle für unerwünschte Besucher aufgebaut hatte.

Nachdem Tullin sich davon überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, ging er zu einem zweiten Bett hinüber. Er zog ein Messer aus dem Gürtel, legte es auf einen Tisch neben sich und füllte dann das Öl in der Lampe nach. Nachdem er sich ein letztes Mal im Raum umgesehen hatte, streckte er sich auf dem Bett aus.

Cery unterzog die Tür einer eingehenden Musterung. Raka wurde in großen Büscheln nach Imardin gebracht: Pflanzenstiele mit Blättern und Bohnen. Die Ladenbesitzer streiften die Bohnen von den Stängeln ab und rösteten sie. Die Blätter und die Stängel wurden im Allgemeinen in einen Schacht geworfen, der zu einer Wanne vor dem Haus führte. Diese Wannen wurden später von Jungen abgeholt, die ihren Inhalt an die Bauern in der Nähe der Stadt verkauften.

Cery schob sich vorsichtig an der Mauer entlang, bis er die äußere Klappe des Schachts gefunden hatte. Sie war von innen mit einem schlichten Riegel versperrt – leicht zu öffnen. Er zog eine winzige Flasche und einen schlanken, hohlen Grashalm aus dem Mantel. Dann saugte er ein wenig Öl in den Halm und schmierte sorgfältig den Riegel und die Scharniere der Klappe damit ein. Schließlich verstaute er die Flasche und den Halm wieder in seinen Taschen, zog einige Dorne und Hebel heraus und machte sich daran, den Riegel zu öffnen.

Die Arbeit ging langsam voran, gab Tullin jedoch reichlich Zeit, in einen tiefen Schlaf zu sinken. Als er den Riegel beiseite geschoben hatte, öffnete Cery vorsichtig die Klappe und besah sich den winzigen Hohlraum dahinter. Dann steckte er das Werkzeug, das er bisher benutzt hatte, wieder ein und nahm ein kleines, in fein gewobenes Tuch gewickeltes Bündel heraus, das ein flaches, poliertes Metallstück enthielt. Schließlich schob er einen Arm durch den Schacht und benutzte diesen hilfreichen Gegenstand, um Tullins Falle näher in Augenschein zu nehmen.

Er hätte beinahe laut aufgelacht: Ein Rechen hing quer über der Tür. Das Ende des Stiels war mit einer Schnur an einem Haken über dem Türrahmen befestigt. Die metallene Harke lag auf einem Dachsparren auf, vermutlich von einem Nagel gehalten. Ein Tau war daran und am Türriegel festgebunden.

Zu einfach, überlegte Cery. Er sah sich nach anderen Fallen um, konnte aber keine entdecken. Nach einer Weile zog er den Arm wieder aus dem Schacht, kehrte zur Hintertür zurück und packte abermals sein Werkzeug zum Ölen von Scharnieren aus. Eine schnelle Begutachtung des Schlosses zeigte ihm, dass es schon einmal aufgebrochen worden war, wahrscheinlich von den Dieben, als sie das erste Mal in den Laden eingedrungen waren.

Cery zog eine kleine Schachtel aus seinem Mantel, öffnete sie und wählte eine dünne Klinge aus. Aus einer anderen Tasche nahm er ein Werkzeug, einen Teil des Erbes, das sein Vater ihm hinterlassen hatte. Er befestigte dieses Werkzeug an der Klinge, schob es durch das Schlüsselloch und tastete nach dem Türdrücker. Als er ihn gefunden hatte, arbeitete er sich langsam die Klinke entlang vor, bis er den leichten Widerstand des Taus spürte. Er drückte die Schneide der Klinge fest dagegen.

Dann kehrte er zu dem Schacht zurück und vergewisserte sich mit dem Spiegel, dass die Schnur jetzt ungefährlich von den Dachsparren herabbaumelte. Zufrieden packte er sein Arbeitsgerät weg, wickelte sich zwei Lappen um die Stiefel und holte tief Luft, um sich zu beruhigen.

Vollkommen lautlos öffnete Cery die Tür, schlüpfte in den Raum und betrachtete die schlafenden Männer.

Sein Vater hatte auch für diese Situation einen Rat gehabt: Die beste Art, sich an jemanden heranzuschleichen, so hatte er gesagt, sei die, nicht zu versuchen, sich anzuschleichen. Er betrachtete die beiden Räuber. Beide schliefen, und der betrunkene Mann schnarchte leise.

Cery durchquerte den Raum und untersuchte die Vordertür. Ein Schlüssel ragte aus dem Schloss. Er drehte sich wieder um und besah sich noch einmal die beiden Männer.

Tullins Messer glitzerte in der Dunkelheit. Cery nahm Farens Botschaft aus der Brusttasche und trat neben den Räuber. Dann griff er nach dessen Messer und benutzte es, um das Blatt Papier damit auf der Tischplatte zu befestigen.

Das müsste eigentlich reichen. Mit einem grimmigen Lächeln kehrte er zur Tür zurück und griff nach dem Schlüssel. Als er ihn umdrehte, erklang ein leises Klicken. Tullins Lider flatterten, aber seine Augen blieben geschlossen. Cery verließ das Haus und schlug die Tür krachend hinter sich zu.

Drinnen ertönte ein Schrei. Cery huschte zu dem dunklen Hauseingang des Ladens nebenan und drehte sich um, um die Ereignisse aus sicherer Entfernung zu verfolgen. Im nächsten Moment wurde die Tür des Nachbarhauses aufgerissen, und Tullin starrte in die Nacht hinaus; sein Gesicht wirkte bleich in dem gedämpften Mondlicht. Dann erklang eine wütende Stimme im Haus, gefolgt von einem Entsetzensschrei. Tullin runzelte die Stirn und kehrte in den Raum zurück.

Cery stahl sich lächelnd in die Nacht davon.

Sonea verfluchte Faren.

Auf der Herdstelle vor ihr lag ein kurzer Stock. Nachdem sie mit verschiedenen Gegenständen experimentiert hatte, hatte sie sich für Holz entschieden, da dieses Material, wenn man Magie benutzte, am wenigsten Gefahren bot. Es war nicht billig – Brennholz wurde in den nördlichen Bergen geschlagen und über den Tarali nach Imardin verschifft –, aber trotzdem war es entbehrlich, und in dem Raum, in dem sie sich befand, gab es einen reichlichen Vorrat davon.

Zweifelnd beäugte sie den Stock, dann sah sie sich in ihrem Quartier um und rief sich ins Gedächtnis, dass ihre Bemühungen durchaus sinnvoll waren. Polierte Tische und gepolsterte Sessel standen um sie herum. In den angrenzenden Räumen gab es weiche Betten, reichlich Nahrungsmittel und einen großzügigen Vorrat an berauschenden Getränken. Faren behandelte sie wie einen Ehrengast in einem der großen Häuser.

Aber sie fühlte sich wie eine Gefangene. Das Versteck hatte keine Fenster, da es zur Gänze unter der Erde lag. Man erreichte es nur über die »Straße«, und es wurde Tag und Nacht bewacht. Lediglich Farens engste Vertraute, seine »Vettern«, kannten diesen Ort.

Seufzend ließ Sonea die Schultern sinken. Jetzt, da sie sowohl vor Magiern als auch vor geldgierigen Hüttenleuten sicher war, hatte sie Mühe, der Langeweile Herr zu werden. Nachdem sie sechs Tage lang dieselben Wände gesehen hatte, konnte sie nicht einmal mehr die behagliche Einrichtung des Raums ablenken, und obwohl Faren von Zeit zu Zeit vorbeikam, hatte sie kaum mehr zu tun, als mit Magie zu experimentieren.

Vielleicht war es genau das, was Faren beabsichtigte. Als sie auf den Stock hinabblickte, durchzuckte sie einmal mehr ein Stich der Enttäuschung. Obwohl sie, seit sie in das Versteck gekommen war, mehrmals am Tag ihre Kräfte heraufbeschwor, funktionierten sie nie so, wie Sonea es wollte. Wenn sie etwas verbrennen wollte, bewegte es sich. Wenn sie einem Gegenstand befahl, sich zu bewegen, explodierte er.

Wenn sie etwas zerbrechen wollte, fing es Feuer. Wenn sie Faren von ihren Misserfolgen erzählte, lächelte dieser nur und erwiderte, sie solle weiter üben.