Als er den Raum durchquerte, machten sich mehrere der Mädchen an ihn heran. Sie wirkten blass und müde. Auf einer Seite des Schankraums verströmte ein kränkliches Feuer nur wenig Wärme. Der Wirt lümmelte sich hinter der Theke und unterhielt sich mit zwei Kunden. Cery lächelte den Mädchen zu und besah sich beide, als zöge er sie in Erwägung. Dann näherte er sich, wie Faren ihm aufgetragen hatte, einer dicken jungen Frau aus Elyne mit einer eintätowierten Feder an der Schulter.
»Möchtest du dich ein bisschen amüsieren?«, fragte sie.
»Vielleicht später«, antwortete er. »Ich habe gehört, ihr habt hier einen Raum, in dem man Leute kennen lernen kann.«
Ihre Augen weiteten sich, und sie nickte hastig. »Ja, das stimmt. Oben. Die letzte Tür rechts. Ich bringe dich hin.«
Sie griff nach seiner Hand und begleitete ihn die Treppe hinauf. Ihre Finger zitterten leicht, wie er feststellte. Während er die Stufen emporstieg, blickte er nach unten. Viele der Mädchen beobachteten ihn mit furchtsamen Augen.
Beunruhigt sah er sich um, bevor er den Korridor auf der oberen Etage hinunterging. Das tätowierte Mädchen ließ seine Hand los und zeigte auf die Räume am Ende des Ganges.
»Es ist die letzte Tür.«
Er drückte ihr eine Münze in die Hand und setzte seinen Weg fort. Nachdem er die Tür vorsichtig geöffnet hatte, spähte er hinein. Der Raum war winzig und nur mit einem kleinen Tisch und zwei Stühlen möbliert. Cery trat ein und sah sich schnell um. In die Wände waren mehrere Gucklöcher gebohrt worden. Er vermutete, dass sich unter den abgetretenen Simba-Matten auf dem Fußboden eine Falltür befand. Ein kleines Fenster gab den Blick auf eine Mauer und wenig sonst frei.
Er öffnete das Fenster und besah sich die Mauer gegenüber. Das Bordell war ungewöhnlich still für eine derartige Einrichtung. In der Nähe wurde eine Tür geöffnet, dann näherten sich Schritte. Cery kehrte an den Tisch zurück und setzte eine wachsame Miene auf. Ein Mann erschien in der Tür.
»Bist du der Hehler?«, fragte der Mann mit kehliger Stimme.
Cery hob die Schultern. »Das ist meine Aufgabe.«
Die Augen des Mannes zuckten in ihren Höhlen hin und her. Sein Gesicht hätte hübsch sein können, wäre es nicht so dünn gewesen und das Licht in den Augen des Mannes nicht so wild und kalt.
»Ich habe etwas zu verkaufen«, sagte der Mann nun. Seine Hände, die er tief in den Taschen verborgen gehalten hatte, kamen zum Vorschein. Eine Hand war leer, in der anderen lag eine glitzernde Halskette. Cery sog scharf die Luft ein; er brauchte seine Überraschung nicht zu heucheln. Ein solches Stück konnte nur einem reichen Mann oder einer reichen Frau gehört haben – falls es echt war.
Cery streckte die Hand nach der Kette aus, aber der Mann riss das Schmuckstück mit einer schnellen Bewegung an sich.
»Ich muss mich davon überzeugen, dass es keine Fälschung ist«, erklärte Cery.
Der Mann runzelte die Stirn, und seine Augen waren hart vor Misstrauen. Er schürzte die Lippen und legte die Kette dann widerstrebend auf den Tisch.
»Ansehen darfst du sie«, sagte er. »Aber nicht berühren.«
Cery seufzte, dann beugte er sich vor, um die Steine zu untersuchen. Er hatte keine Ahnung, wie man den Unterschied zwischen echten und gefälschten Juwelen ermittelte – ein Mangel, den er würde beheben müssen –, aber er hatte bisweilen Pfandleiher bei der Untersuchung von Schmuckstücken beobachtet.
»Dreh sie um«, befahl er.
Der Mann gehorchte. Als Cery genauer hinsah, entdeckte er eine Gravur in dem Verschluss. »Halt sie so, dass das Licht durch die Steine fällt.«
Der Mann hob die Kette mit einer Hand hoch und beobachtete Cery, während dieser sie mit schmalen Augen betrachtete.
»Was sagst du dazu?«
»Für zehn Silbermünzen nehme ich sie.«
Der Mann ließ die Hand sinken. »Sie ist mindestens fünfzig Goldmünzen wert!«
Cery schnaubte. »Wer wird dir in den Hütten fünfzig Goldstücke geben?«
Die Mundwinkel des Mannes zuckten. »Zwanzig Goldstücke«, sagte er.
»Fünf«, konterte Cery.
»Zehn.«
Cery schnitt eine Grimasse. »Sieben.«
»Leg das Geld auf den Tisch.«
Cery griff in seine Manteltasche, zählte die Münzen mit den Fingerspitzen ab und nahm dann die Hälfte davon heraus. Er holte weitere Münzen aus anderen Verstecken in seiner Kleidung hervor, legte sechs Stapel von Münzen übereinander, die jeweils einem Goldstück entsprachen, und stieß dann einen vernehmlichen Seufzer aus, bevor er aus seinem Stiefel eine glänzende Goldmünze zutage förderte.
»Leg den Schmuck hin«, sagte Cery.
Der Mann ließ die Kette neben das Geld auf den Tisch fallen. Als er nach den Münzen griff, streckte Cery die Hand nach der Kette aus und ließ die Juwelen in seinen Mantel gleiten. Der Mann blickte auf das kleine Vermögen in seinen Händen und grinste.
»Ein guter Handel, Junge. Du wirst es weit bringen in diesem Gewerbe.« Er zog sich rückwärts aus dem Raum zurück, dann drehte er sich um und eilte davon.
Cery sah dem Mann nach, wie er durch eine der anderen Türen verschwand. Als er in den Korridor hinaustrat, hörte er ein Mädchen einen spitzen Schrei der Überraschung ausstoßen.
»Jetzt werden wir uns niemals wieder trennen«, erklang die kehlige Stimme.
Als Cery an dem Raum vorbeikam, blickte er hinein. Das tätowierte Mädchen saß an einem Ende des Bettes. Mit angstgeweiteten Augen sah sie Cery an. Der Mann stand hinter ihr und betrachtete noch immer die Münzen in seinen Händen. Cery setzte seinen Weg fort. Als er in das Bolhaus hinunterkam, gab er sich alle Mühe, missmutig dreinzublicken. Die Mädchen, die sein Gesicht sahen, ließen ihn in Ruhe. Die männlichen Kunden beobachteten ihn, aber niemand sprach ihn an.
Draußen war es nur geringfügig kälter, als es in dem Haus gewesen war. Während er die Straße überquerte und in die Dunkelheit der Gasse trat, überlegte er, wie wenig Kunden das Bordell gehabt hatte, und empfand Mitleid mit den Huren, die dort arbeiteten.
»Du wirkst gelangweilt, kleiner Ceryni.«
Cery fuhr herum. Es dauerte beunruhigend lange, bis er den dunkelhäutigen Mann in der Finsternis ausmachen konnte. Und selbst als er Faren bereits entdeckt hatte, verstörte es ihn zutiefst, dass er nur zwei gelbe Augen und Zähne sehen konnte, die gelegentlich aufblitzten.
»Hast du bekommen, was du mir bringen solltest?«
»Ja.« Cery zog die Kette aus der Tasche und hielt sie in Farens Richtung. Behandschuhte Finger strichen über seine, dann war die Kette aus seiner Hand verschwunden.
»Ah, das ist die richtige.« Faren seufzte und drehte sich zu dem Bordell um. »Du bist noch nicht fertig für heute Nacht. Es gibt noch etwas, das du für mich tun sollst.«
»Ja?«
»Ich möchte, dass du in das Bordell zurückkehrst und ihn tötest.«
Ein eisiges Frösteln durchströmte Cerys Körper; genau so, glaubte er, würde es sich anfühlen, wenn man ihm mit einem Messer die Eingeweide aufschlitzte. Einen Moment lang konnte er nicht denken, dann begann sein Verstand hastig zu arbeiten.
Dies war eine weitere Prüfung. Faren wollte lediglich herausfinden, wie weit er seinen neuen Mann drängen konnte.
Was sollte er tun? Cery hatte keine Ahnung, was geschehen würde, wenn er sich weigerte. Und er wollte sich weigern. Unbedingt. Die Erkenntnis war gleichermaßen eine Erleichterung wie eine Beunruhigung für ihn. Dass er nicht töten wollte, bedeutete nicht, dass er nicht dazu imstande wäre… Aber als er sich vorstellte, er müsse die Straße überqueren und sein Messer in die lebenswichtigen Organe eines Menschen bohren, konnte er sich mit einem Mal nicht mehr bewegen.
»Warum?« Noch während er sprach, wusste er, dass er in einer Prüfung bereits gescheitert war.
»Weil ich ihn tot sehen möchte«, antwortete Faren.
»W-warum willst du ihn tot sehen?«