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Ein Mann in purpurfarbenen Roben schrieb mit einem Stück Kohle auf eine Tafel. Der Klang seiner Stimme wehte zu ihr herüber, aber sie konnte nicht verstehen, was er sagte. Die Zeichnungen an der Tafel waren ebenso unbegreiflich wie die Worte des Heilers. Ein Stich der Enttäuschung durchzuckte Sonea, dann bedeutete sie Cery, sie hinunterzulassen.

Sie schlichen an dem Gebäude entlang bis zum nächsten Fenster. Die Szene, die sich dort entfaltete, war ebenso rätselhaft wie die erste. Die Novizen saßen stocksteif auf ihren Stühlen und hielten die Augen geschlossen. Hinter jedem Novizen stand ein anderer, der die Hände auf die Schläfen seines Kameraden drückte. Der Lehrer, ein streng aussehender Mann in roten Roben, beobachtete sie schweigend.

Sonea wollte sich gerade abwenden, als der Mann plötzlich zu sprechen begann.

»Löst euch jetzt.« Sein Tonfall war unerwartet sanft für einen Mann mit so harten Gesichtszügen. Die Novizen schlugen die Augen auf. Diejenigen, die gestanden hatten, rieben sich die Schläfen und schnitten eine Grimasse.

»Wie ihr festgestellt habt, ist es unmöglich, in den Geist eines anderen zu sehen, wenn dieser euch nicht dazu auffordert«, erklärte der Lehrer ihnen. »Nun, es ist nicht wirklich unmöglich, wie unser Hoher Lord bewiesen hat, aber gewöhnliche Magier wie ihr oder ich sind dazu nicht einmal ansatzweise in der Lage.«

Sein Blick wanderte kurz zum Fenster hinüber, und Sonea zog sich hastig zurück. Cery ließ sie hinunter, und sie ging unter dem Fenstersims in die Hocke, presste sich mit dem Rücken an die Mauer und bedeutete Cery, es ihr gleichzutun.

»Hat man dich gesehen?«, flüsterte Cery.

Sonea legte sich eine Hand aufs Herz, das heftig hämmerte. »Ich bin mir nicht sicher.« Lief der Magier vielleicht gerade eben durch die Universität, um in den Gärten nach ihnen zu suchen? Oder stand er am Fenster und wartete darauf, dass sie unter dem Sims hervorkamen?

Sie schluckte mit trockenem Mund. Dann drehte sie sich zu Cery um, um ihm nahezulegen, durch den Wald zurückzulaufen, hielt jedoch plötzlich inne. In dem Raum hinter ihr war wieder die gedämpfte Stimme des Lehrers zu hören. Sie schloss die Augen und seufzte vor Erleichterung.

Cery beugte sich vor und spähte vorsichtig zu dem Fenster hinauf. Er sah sie an und zuckte die Achseln. »Wollen wir weiter?«

Sonea holte tief Luft und nickte. Sie erhoben sich, gingen an dem Gebäude entlang und blieben unter dem nächsten Fenster stehen. Cery legte erneut die Hände zusammen und hob Sonea hoch.

Als sie durch das Fenster spähte, konnte sie schnelle Bewegungen ausmachen. Voller Staunen betrachtete sie das Bild, das sich ihr bot. Mehrere Novizen rannten kreuz und quer durch den Raum und taten ihr Bestes, um einem winzigen Lichtpunkt auszuweichen, der um sie herumflog. Auf einem Stuhl in einer Ecke stand ein rotgewandeter Magier und verfolgte mit ausgestreckter Hand die Bewegungen des Lichts. Plötzlich schrie er die Novizen an: »Bleibt stehen! Lasst euch nicht in die Enge treiben!«

Vier der Novizen standen bereits reglos da. Wenn der leuchtende Funke sie fast erreicht hatte, wurde er wie von unsichtbarer Hand beiseite geschleudert. Nach und nach folgten auch andere Novizen dem Beispiel ihrer Mitschüler, aber der Funke war schnell. Einige der weniger begabten jungen Leute hatten winzige rote Flecken auf dem Gesicht und auf den Armen.

Plötzlich erlosch der Funke. Der Lehrer sprang leichtfüßig vom Stuhl. Die Novizen entspannten sich und grinsten einander an. Sonea, die Angst hatte, sie könnten in ihre Richtung sehen, ließ sich zu Boden fallen.

Am nächsten Fenster beobachtete sie einen rotgewandeten Magier, der seiner Klasse ein seltsames Experiment mit farbigen Flüssigkeiten vorführte. In einem anderen Raum arbeitete eine Gruppe von Novizen mit schwebenden Kugeln aus geschmolzenem Glas, die sie zu raffinierten, leuchtenden Skulpturen formten. In der nächsten Klasse hielt ein freundlich aussehender Mann in roten Roben einen Vortrag darüber, wie man Feuer machte.

Plötzlich hallte ein dunkler Glockenton durch die Gilde. Der Magier blickte überrascht auf, und die Novizen erhoben sich von ihren Stühlen. Sonea zog sich hastig von dem Fenster zurück.

Cery ließ sie auf den Boden nieder. »Diese Glocke beendet die Unterrichtsstunden«, erklärte er ihr. »Wir werden uns jetzt ganz still verhalten. Die Magier verlassen gleich die Universität und gehen in ihre Quartiere.«

Sie kauerten sich hinter einen Baumstamm.

Minutenlang blieb alles still, dann hörte Sonea den Klang von Schritten auf der anderen Seite der Hecke.

»… ein langer Tag«, bemerkte eine Frau. »Seit dieser Winterhusten grassiert, können wir uns vor Arbeit kaum retten. Ich hoffe, die Suche nimmt bald ein Ende.«

»Ja«, stimmte eine zweite Frau ihr zu. »Aber der Administrator ist vernünftig. Er hat den größten Teil der Arbeit den Kriegern und Alchimisten übertragen.«

»Das stimmt«, antwortete die erste Frau. »Aber jetzt erzähl mal. Wie geht es Makins Frau? Sie muss inzwischen doch über den achten Monat hinaus sein…«

Die Stimmen der Frauen entfernten sich, und an ihre Stelle trat jungenhaftes Gelächter.

»… hat dich ganz schön überlistet. Er hat dich ja praktisch verprügelt, Kamo!«

»Es war nur ein Trick, mehr nicht«, erwiderte ein Junge mit starkem vinischen Akzent. »Ein zweites Mal wird er damit nicht durchkommen.«

»Ha!« rief ein dritter Junge. »Das war das zweite Mal!«

Die Jungen brachen in Gelächter aus, aber im nächsten Moment konnte Sonea Schritte hören, die sich von links näherten. Sofort verfielen die Jungen in Schweigen.

»Lord Sarrin«, murmelten sie respektvoll, als die Schritte sie erreicht hatten. Als der Magier weitergegangen war, fuhren die Jungen fort, einander zu necken. Dann waren sie schließlich außer Hörweite.

Mehrere weitere Gruppen von Magiern gingen an ihrem Versteck vorbei. Die meisten schwiegen. Allmählich verebbte das Hin und Her. Als Cery den Kopf durch die Hecke schob, um auf den Fußweg zu blicken, hatten sie sich fast eine Stunde lang dort verborgen gehalten.

»Wir machen uns jetzt wieder auf den Weg in Richtung Wald«, erklärte er. »Der Unterricht ist für heute beendet, und es gibt hier nichts mehr für dich zu sehen.«

Sie folgte ihm über den Fußweg und in die nächste Hecke. Langsam bewegten sie sich durch den Garten und liefen dann quer über die Straße in den Wald hinein.

Dort hockte Cery sich unter einen Baum und grinste Sonea mit vor Erregung glänzenden Augen an. »Das war einfach, wie?«

Sonea drehte sich noch einmal nach der Gilde um, und ein Lächeln breitete sich auf ihren Zügen aus. »Ja!«

»Siehst du. Überleg doch nur: Während die Magier rings um die Stadt Jagd auf dich machen, haben wir auf ihrem Territorium herumgeschnüffelt.«

Sie kicherten leise, dann atmete Sonea tief durch und seufzte. »Ich bin froh, dass wir hier fertig sind«, gestand sie. »Können wir jetzt zurückgehen?«

Cery schürzte die Lippen. »Wo wir schon mal hier sind, möchte ich noch etwas anderes ausprobieren.«

Sonea beäugte ihn argwöhnisch. »Was?«

Ohne auf ihre Frage zu antworten, erhob er sich und bahnte sich abermals einen Weg zwischen den Bäumen hindurch. Sonea zögerte, dann lief sie hinter ihm her. Als sie tiefer in den Wald vordrangen, wurde es dunkler um sie herum, und mehrmals stolperte Sonea über verborgene Wurzeln und Zweige. Cery wandte sich nach rechts, und als sie plötzlich festeren Grund unter den Füßen spürte, wurde ihr klar, dass sie sich wieder auf der Straße befanden.

Von dort aus stieg der Boden langsam an. Nach mehreren hundert Schritten überquerten sie einen schmalen Fußweg, und der Hang wurde steiler. Cery blieb stehen.

»Sieh nur.«

Durch die Baumstämme konnte man jetzt ein langgestrecktes, zweigeschossiges Gebäude erkennen.