Выбрать главу

»Tue ich das?«, erwiderte Rothen. »Wenn es mir an Begeisterung für diese Dinge fehlte, hätte ich dann im Laufe der Jahre so viele Erfolge bei meinen Novizen erzielt? Wenn man sie aufgibt, haben sie keinen Grund, sich anzustrengen.«

Dannyl nickte. Er selbst war nicht gerade der willigste Novize gewesen, und als Rothen sich bemüht hatte, seinen Geist auf etwas anderes zu richten als auf die Streitereien mit Fergun und seinen Mitstudenten, hatte er sich zu Anfang mit großer Entschlossenheit dagegen gewehrt. Und obwohl Dannyl alles darangesetzt hatte, Rothen zu beweisen, dass er sich in ihm irrte, hatte sein Lehrer ihn niemals aufgegeben.

»Hast du ihr erzählt, dass wir nicht die Absicht haben, ihr zu schaden?«, fragte Ezrille.

»Ich habe mit ihr über den Tod des Jungen gesprochen und ihr erklärt, dass wir ihr beibringen wollen, wie sie ihre Kräfte kontrollieren kann. Ob sie mir glaubt oder nicht…« Er hob die Schultern.

»Hast du ihr gesagt, dass sie der Gilde beitreten kann?«

Rothen zog eine Grimasse. »Ich habe das Gespräch mit Absicht nicht in diese Bahnen gelenkt. Sie hat nicht allzu viel für uns übrig. Sie macht uns zwar nicht direkt für die Armut des Hüttenvolks verantwortlich, aber sie findet, dass wir etwas dagegen unternehmen sollten.« Er runzelte die Stirn. »Sie sagt, sie habe uns niemals etwas Gutes tun sehen, was vermutlich der Wahrheit entspricht. Der größte Teil der Arbeit, die wir für die Stadt tun, ist weder für sie noch für den Rest der Hüttenleute von Nutzen. Und dann ist da noch die Säuberung.«

»In dem Fall ist es keine große Überraschung, dass sie die Gilde nicht mag«, bemerkte Ezrille. Sie beugte sich vor. »Aber wie ist sie denn so?«

Rothen überlegte. »Still, aber trotzig. Sie hat offensichtlich Angst, aber ich glaube nicht, dass wir Tränen bei ihr sehen werden. Sie begreift, dass sie die Beherrschung ihrer Kräfte erlernen muss, dessen bin ich mir sicher. Und darum glaube ich auch nicht, dass wir zu diesem Zeitpunkt schon mit Fluchtversuchen ihrerseits rechnen müssen.«

»Und wenn sie die Kontrolle ihrer Kräfte gelernt haben wird?«, fragte Yaldin.

»Ich hoffe, dass wir sie bis dahin davon überzeugt haben, wie sinnvoll es für sie wäre, der Gilde beizutreten.«

»Was ist, wenn sie sich weigert?«

Rothen holte tief Luft und seufzte. »Ich bin mir nicht sicher, was dann geschehen wird. Wir können niemanden zwingen, sich uns anzuschließen, aber das Gesetz verbietet uns, Magier außerhalb der Gilde zuzulassen. Wenn sie sich weigert, wird uns nichts anderes übrig bleiben, als ihre Kräfte zu blockieren.«

Ezrilles Augen weiteten sich. »Ihre Kräfte blockieren? Ist das schlecht?«

»Nein. Es ist… nun, für die meisten Magier wäre es etwas sehr Unangenehmes, weil sie daran gewöhnt sind, magische Kräfte zur Verfügung zu haben. In Soneas Fall haben wir es mit jemandem zu tun, der bisher nie Magie benutzt hat – jedenfalls nicht in einer nützlichen Form.« Er zuckte die Achseln. »Sie wird sie nicht so sehr vermissen.«

»Was glaubst du, wie lange es dauern wird, sie Kontrolle zu lehren?«, fragte Yaldin. »Mir ist ein wenig unbehaglich zumute bei dem Gedanken, dass nur wenige Türen weiter eine Magierin lebt, die ihre Kraft nicht kontrollieren kann.«

»Es wird einige Zeit dauern, bis ich ihr Vertrauen gewonnen habe«, erwiderte Rothen. »Vielleicht mehrere Wochen.«

»Unmöglich!«, entfuhr es Yaldin. »Es dauert niemals länger als zwei Wochen, selbst bei den schwierigsten Novizen.«

»Sie ist kein verwöhntes oder nervöses Kind aus den Häusern.«

»Da hast du wahrscheinlich Recht.« Yaldin schüttelte den Kopf. »Am Ende der Woche werde ich vermutlich nur noch ein Nervenbündel sein.«

Rothen lächelte und führte seinen Becher an die Lippen. »Ja, aber je länger sie braucht, umso mehr Zeit habe ich, sie zum Bleiben zu bewegen.«

Sonea saß auf dem Bett, spähte durch eine schmale Lücke in der Fensterblende in die Gärten hinaus und spielte mit einer zierlichen Haarnadel. Draußen war es dunkel, und der Mond war bereits aufgegangen. Der Schnee, der die Wege säumte, verströmte einen sanften Schimmer im Licht der Nacht.

Eine Stunde zuvor hatte abermals der Gong geläutet. Während Magier und Novizen zu ihren Quartieren zurückgeeilt waren, hatte Sonea nur dagesessen und abgewartet. Jetzt war alles still, abgesehen von dem einen oder anderen Dienstboten, der draußen vorbeilief.

Schließlich erhob sie sich, schlich sich zur Tür hinüber und legte ein Ohr an das Holz. Obwohl sie lauschte, bis ihr der Hals wehtat, konnte sie keinerlei Geräusche aus dem Raum auf der anderen Seite hören.

Sie betrachtete den Türknauf. Er war glatt und aus poliertem Holz. In den Griff selbst waren Stücke aus dunklerem Holz eingelassen, die das Symbol der Gilde formten. Sonea zeichnete das Muster nach und staunte über die Mühe und Geschicklichkeit, die irgendjemand auf einen bloßen Türknauf verwandt hatte.

Langsam begann sie, den Knauf zu drehen. Er ließ sich nur wenig bewegen, bevor er sich verkeilte. Vorsichtig zog sie die Tür zu sich heran, aber der Riegel saß immer noch fest.

Was sie nicht daran hindern konnte, ihre Bemühungen fortzusetzen. Sie drehte den Knauf in die andere Richtung. Und wieder ließ er sich nur ein klein wenig bewegen, bevor er festklemmte. Sie zog an der Tür, aber ohne Erfolg.

Schließlich bückte sie sich und hob die Hand, um die Haarnadel ins Schloss zu schieben, stutzte dann jedoch. Es gab kein Schlüsselloch.

Seufzend ließ Sonea sich in die Hocke nieder. Wenn Rothen den Raum verließ, hatte sie kein einziges Mal das Geräusch eines Schlüssels vernommen, der im Schloss gedreht wurde, und schon früher war ihr aufgefallen, dass auf der anderen Seite der Tür keine Riegel angebracht waren. Die Tür wurde durch Magie versperrt.

Nicht dass sie irgendwo hätte hingehen können. Sie musste hier bleiben, bis sie gelernt hatte, ihre Magie zu kontrollieren.

Aber sie musste ihre Grenzen erkunden. Wenn sie nicht nach möglichen Fluchtwegen Ausschau hielt, würde sie vielleicht niemals welche finden.

Sie erhob sich und trat an den Tisch neben dem Bett. Das Buch der Lieder lag noch immer dort. Sie nahm es zur Hand und schlug es auf der ersten Seite auf. Darauf stand in schöner, gleichmäßiger Handschrift etwas geschrieben. Sonea ging zu dem Tisch hinüber und entzündete die Kerzen, die Rothen ihr dagelassen hatte.

»Für meinen geliebten Rothen zur Geburt unseres Sohnes. Yilara.«

Sonea schürzte die Lippen. Also war er verheiratet und hatte mindestens ein Kind. Sie fragte sich, wo seine Familie sein mochte. In Anbetracht von Rothens Alter war sein Sohn wahrscheinlich inzwischen ein erwachsener Mann.

Er schien ein anständiger Kerl zu sein. Sie hatte sich immer für eine gute Menschenkennerin gehalten – etwas, das sie von ihrer Tante gelernt hatte. Ihr Instinkt sagte ihr, dass Rothen gütig und wohlmeinend war. Aber das bedeutete nicht, dass sie ihm vertrauen konnte, rief sie sich ins Gedächtnis. Er war trotzdem ein Magier und musste den Geboten der Gilde folgen, worin sie auch bestehen mochten.

Plötzlich erklang von draußen ein schwaches, schrilles Lachen, das Soneas Aufmerksamkeit wieder auf das Fenster lenkte. Sie schob die Papierblende beiseite und beobachtete zwei Magier, die durch den Garten schritten. Die grünen Roben unter ihren Umhängen leuchteten im Schein des unsteten Lichts. Zwei Kinder liefen vor ihnen her und bewarfen einander mit Schnee.

Vor allem die Frau war es, die Sonea interessierte. Bei den Säuberungen hatte sie niemals weibliche Magier gesehen. War es ihr eigener Entschluss, nicht an dieser Maßnahme teilzunehmen, oder gab es eine Regel, die es ihnen untersagte?

Sie schürzte die Lippen. Jonna hatte ihr erzählt, dass die Töchter reicher Familien genauestens beobachtet wurden, bis sie den Mann heirateten, den ihre Väter für sie ausgewählt hatten. In den Häusern durften die Frauen keine wichtigen Entscheidungen treffen.

In den Hütten dagegen gab es keine arrangierten Ehen. Obwohl die Frauen natürlich versuchten, einen Mann zu finden, der eine Familie ernähren konnte, heirateten sie im Allgemeinen aus Liebe. Während Jonna dieses Vorgehen für das bessere hielt, hatte Sonea sich eine eher zynische Sicht der Dinge zu Eigen gemacht. Ihr war aufgefallen, dass Frauen, wenn sie verliebt waren, vieles in Kauf nahmen. Aber die Liebe pflegte irgendwann zu verblassen. Besser, man heiratete jemanden, den man mochte und dem man vertraute.