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»Ich werde jetzt deine Hände nehmen«, erklärte er.

Die Hände, die sich um ihre schlossen, erschienen ihr ungewöhnlich groß. Sie widerstand dem Drang, die Augen zu öffnen und nachzusehen.

»Hör mir zu. Und denk genau darüber nach, was du hören kannst.«

Plötzlich wurde Sonea bewusst, dass sie umringt von stetigen, leisen Geräuschen war. Jedes Geräusch sprang sie an und verlangte, identifiziert zu werden: der Klang von Schritten draußen, die fernen Stimmen von Magiern und Dienern, die sowohl von innerhalb des Gebäudes wie von außerhalb kamen…

»Jetzt lass die Geräusche außerhalb des Raums verblassen. Konzentrier dich stattdessen auf die Geräusche hier im Raum.«

Es wurde stiller in ihr. Das einzige Geräusch waren ihr Atem und seiner, die jetzt wieder verschiedenen Rhythmen folgten.

»Und nun lass auch diese Geräusche verklingen. Lausche stattdessen auf die Geräusche in deinem eigenen Körper. Das langsame Schlagen deines Herzens…«

Sie gab sich Mühe, aber abgesehen von ihrem Atem konnte sie keine Geräusche in ihrem Körper hören.

»… das Strömen des Blutes, das in deinem Körper kreist.«

Auch das konnte sie nicht hören …

»… das Geräusch deines Magens…«

… oder vielleicht doch? Irgendetwas war da…

»… die Vibrationen in deinen Ohren…«

Dann begriff sie, dass sie die Geräusche, die er beschrieb, weniger hörte als vielmehr fühlte.

»Und nun horch auf das Geräusch deiner Gedanken.«

Einen Moment lang war Sonea verwirrt über diese Anweisung, dann spürte sie mit einem Mal eine fremde Aura am Rande ihres Geistes.

— Hallo, Sonea.

— Rothen?

— Stimmt.

Die Aura wurde greifbarer. Die Persönlichkeit, die sie spüren konnte, war ihr überraschend vertraut. Es war, als erkenne man eine Stimme, eine so einzigartige Stimme, dass man sie nicht mit anderen verwechseln konnte.

— Das also ist Gedankenrede, überlegte sie.

— Ja. Mit ihrer Hilfe können wir selbst über große Entfernungen hinweg miteinander sprechen.

Ihr wurde klar, dass sie keine Worte hörte, sondern die Bedeutung der Gedanken spürte, die er in ihre Richtung sandte. Die Gedanken blitzten in ihrem Kopf auf, und sie konnte sie so schnell und so vollständig verstehen, dass sie mit absoluter Sicherheit genau das erfuhr, was er sie wissen lassen wollte.

— Es geht so viel schneller als reden!

— Ja, und die Gefahr von Missverständnissen ist deutlich geringer.

— Könnte ich mich auf diese Weise auch mit meiner Tante unterhalten? Ich könnte sie wissen lassen, dass ich noch am Leben bin.

— Ja und nein. Nur Magier können ohne körperlichen Kontakt von Geist zu Geist miteinander kommunizieren. Du könntest zu deiner Tante sprechen, aber dazu müsstest du sie berühren. Es spricht jedoch nichts dagegen, dass du deiner Tante eine ganz gewöhnliche Nachricht schickst

Womit sie den Aufenthaltsort ihrer Tante und ihres Onkels preisgeben würde. Soneas Begeisterung für die Gedankenrede geriet ins Wanken. Sie musste vorsichtig sein.

— Also… unterhalten Magier sich ständig auf diese Weise?

— Nein, nicht allzu oft.

— Warum nicht?

— Diese Form der Kommunikation hat ihre Grenzen. Man spürt die Gefühle hinter den Gedanken, die andere einem schicken. So ist es zum Beispiel sehr leicht, festzustellen, wenn jemand lügt.

— Ist das schlecht?

— Nicht prinzipiell, aber stell dir vor, dir wäre aufgefallen, dass dein Freund langsam kahl wird. Er würde die Erheiterung hinter deinen Gedanken spüren, und obwohl er nicht wissen würde, was du so komisch findest, würde ihm klar sein, dass der Scherz auf seine Kosten geht. Und nun stell dir vor, es wäre nicht dein gutmütiger Freund, sondern jemand, den du respektierst und den du zu beeindrucken wünschst.

— Ich verstehe, was Ihr meint.

— Gut. Jetzt zum nächsten Teil deiner Lektion. Ich möchte, dass du dir vorstellst, dein Geist sei ein Zimmer – ein Raum mit Wänden, einem Fußboden und einer Decke.

Mit einem Mal fand sie sich in der Mitte eines Raums wieder. Er wirkte vertraut, obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, so etwas schon einmal gesehen zu haben. Der Raum war leer und hatte keine Türen oder Fenster, und die Wände bestanden aus nacktem Holz.

— Was siehst du?

— Die Wände sind aus Holz, und das Zimmer ist leer, antwortete sie.

— Ah, ich sehe den Raum. Er ist der bewusste Teil deines Geistes.

— Also… also könnt Ihr in meinen Geist blicken?

— Nein, du hast mir lediglich ein Bild davon geschickt. Ich schicke es dir zurück.

Ein Bild des Raums blitzte durch ihre Gedanken. Es war undeutlich und verschwommen, und man konnte keine Einzelheiten mehr erkennen.

— Es ist… anders und irgendwie nebelhaft, erwiderte sie.

— Das liegt daran, dass ein wenig Zeit verstrichen und meine Erinnerung daran verblasst ist. Der Unterschied, den du wahrnimmst, hat seine Ursache darin, dass mein Geist die Einzelheiten ergänzt hat, die meinem Gedächtnis entfallen sind, Einzelheiten wie Farbe und Beschaffenheit. Also, als Nächstes braucht dein Zimmer eine Tür.

Sofort entstand eine Tür vor ihr.

— Geh zu der Tür hinüber. Erinnerst du dich noch, wie deine Magie ausgesehen hat?

— Ja, wie ein leuchtender Ball aus Licht.

— Das ist eine weit verbreitete Methode, sie zu visualisieren. Ich möchte, dass du darüber nachdenkst, wie deine Magie aussah, wenn sie stark und gefährlich war, und wie du sie gesehen hast, nachdem sie verblasst war. Erinnerst du dich daran?

— Ja

Als die Tür aufschwang, fand Sonea sich an der Schwelle von Dunkelheit wieder. Eine weiße Kugel hing vor ihr in der Luft und verströmte strahlendes Licht. Sie konnte unmöglich abschätzen, wie weit die Kugel entfernt war. Einen Augenblick lang schien sie nur um eine Armeslänge entfernt zu schweben, dann wieder war Sonea davon überzeugt, dass sie riesengroß war und unvorstellbar weit fort.

— Wie groß ist die Kugel im Vergleich zu dem, was du in Erinnerung hast?

— Nicht so groß, wie sie war, als Gefahr von ihr ausging. Sie schickte ihm ein Bild der Kugel.

— Gut. Sie wächst schneller, als ich erwartet habe, aber uns bleibt noch ein wenig Zeit, bevor deine Magie ungeheißen wieder an die Oberfläche kommt. Schließ die Tür und kehr in das Zimmer zurück.

Die Tür schloss sich und verschwand, und Sonea stellte fest, dass sie abermals in der Mitte des Raums stand.

— Jetzt stell dir eine weitere Tür vor. Diesmal ist es die Tür, die nach draußen führt, also solltest du sie größer machen.

Doppeltüren erschienen in Soneas Zimmer, und sie erkannte sie wieder. Es waren die Haupttüren des Bleibehauses, in dem sie vor der Säuberung gelebt hatte.

— Wenn du die Türen öffnest, wirst du ein Haus bemerken. Es sollte ungefähr so aussehen.

In ihren Gedanken blitzte das Bild eines weißen Hauses auf, das den großen Kaufmannshäusern im Westviertel nicht unähnlich war. Als sie die Doppeltüren in ihrem Geist öffnete, stand sie mit einem Mal dem Gebäude gegenüber. Zwischen ihrem Zimmer und diesem Haus befand sich eine schmale Straße.

— Geh zu dem Gebäude hinüber.

Das Haus hatte nur eine einzige rote Tür. Das Bild veränderte sich, und Sonea stand jetzt direkt davor. Als sie den Knauf berührte, schwang die Tür nach innen auf, und sie trat in einen großen, weißen Raum.