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Oder war es der Gedanke, ein Gelübde zu brechen, der ihr so sehr missfiel? Harrin und seine Freunde betrogen und stahlen ständig, aber den Bruch eines Schwurs betrachteten sie als unverzeihliches Vergehen. Um ihr Ansehen bei den anderen nicht zu verlieren, taten sie alles in ihrer Macht Stehende, um zu verhindern, dass irgendjemand ein solches Gelübde von ihnen verlangte.

Wenn sich ein Gelübde allerdings nicht vermeiden ließ, konnte man nur hoffen, dass der Schwur nachlässig formuliert war, um auf diese Weise peinlichen Situationen zu entgehen …

»Du bist sehr still heute Abend«, bemerkte Rothen plötzlich. »Keine Fragen?«

Sonea sah Rothen an und stellte fest, dass er sie voller Zuneigung beobachtete. Sein Lächeln gab schließlich den Ausschlag für sie: Es wurde Zeit, das Risiko einzugehen, einige unerwartete Fragen zu stellen.

»Ich habe über das Gelübde nachgedacht, das die Magier ablegen.«

Zu ihrer Erleichterung deutete nichts in seiner Miene darauf hin, dass er Verdacht geschöpft hatte. Vielmehr schien er überrascht zu sein. »Genau genommen gibt es zwei Gelübde. Das Novizengelübde und das Magiergelübde. Eins legt man ab, wenn man als Novize der Gilde beitritt, das andere bei Abschluss der Ausbildung.«

»Was muss man in seinem Schwur versprechen?«

»Vier Dinge.« Rothen hob die Finger der linken Hand. »Die Novizen geloben, niemals vorsätzlich einem anderen Mann oder einer anderen Frau zu schaden, es sei denn, es dient der Verteidigung der Länder der Allianz. Außerdem schwören sie, den Regeln der Gilde und den Gesetzen des Königs zu gehorchen und den Befehlen der Magier Folge zu leisten, es sei denn, diese Befehle verlangen von ihnen, ein Gesetz zu brechen. Ferner geloben sie, niemals Magie zu benutzen, es sei denn, ein Magier fordert sie dazu auf.«

Sonea runzelte die Stirn. »Warum dürfen Novizen Magie nur dann benutzen, wenn ein Magier es ihnen sagt?«

Rothen kicherte. »Viele Novizen haben sich in der Vergangenheit bei Experimenten ohne Anleitung verletzt. Aber trotz dieser Regel müssen die Magier immer noch genau aufpassen. Alle Lehrer wissen, was passiert, wenn sie einem Novizen sagen, er solle ›üben‹. Wenn sie nicht dazusagen, was genau er üben soll, wird der Novize ihren Befehl nach eigenem Gutdünken interpretieren: ›Übe, was immer du üben willst‹, lautet dann seine Deutung. Ich erinnere mich gut daran, dass ich dieses Argument einmal benutzt habe, um angeln zu gehen.«

Dannyl schnaubte. »Das ist doch gar nichts.«

Während der Magier ihr von einigen seiner eigenen Streiche als Novize erzählte, dachte Sonea über das Gelübde nach, das die Novizen ablegten. Es enthielt nichts, was sie nicht erwartet hätte. Sie kannte noch immer nicht alle Regeln, die in der Gilde galten. Vielleicht wurde es Zeit, dass sie Rothen danach fragte. Die beiden letzten Versprechen hatte man, wie ihr schien, einzig deshalb hinzugefügt, damit die Novizen es nicht allzu bunt trieben.

Wenn sie die Gilde verließ, ohne dass man zuvor ihre Kräfte blockiert hatte, würde sie den zweiten Teil des Gelübdes brechen. Seltsamerweise widerstrebte es ihr keineswegs, gegen ein Gesetz zu verstoßen, während der Bruch eines Gelübdes ihr unerträglich erschien.

Als Dannyl mit seiner Anekdote zum Ende kam, setzte Rothen seine Erklärungen fort. »Die beiden ersten Punkte des Magiergelübdes entsprechen dem, was die Novizen schwören müssen«, sagte er. »Aber mit dem dritten Punkt gelobt ein Magier, dem Herrscher seines eigenen Landes zu dienen, und der vierte Punkt ist ein Versprechen, niemals böse Formen von Magie zu benutzen.«

Sonea nickte. Wenn er ihr die Flucht ermöglichte, würde Fergun ein Gesetz und das Magiergelübde brechen.

»Welche Strafe erwartet einen Magier, wenn er das Gelübde bricht?«

Rothen zuckte die Achseln. »Das hängt von der Art des Verstoßes ab, davon, in welchem Land der Magier lebt, und zu guter Letzt von dem Urteil seines Herrschers.«

»Was passiert einem kyralischen Magier?«

»Die schlimmste Strafe ist der Tod, die jedoch nur Mörder zu erwarten haben. Die zweitschlimmste Strafe wäre die Verbannung.«

»Ihr… blockiert die Kräfte des Magiers und schickt ihn fort.«

»Ja. Keines der Verbündeten Länder würde den Betreffenden aufnehmen. Das war ein Teil des Abkommens.«

Sie nickte. Sie konnte ihn nicht fragen, welche Strafe Fergun erwartete, sollte die Gilde herausfinden, dass er ihr geholfen hatte, fortzugehen, ohne dass man zuvor ihre Kräfte blockiert hatte. Eine solche Frage würde Rothen gewiss argwöhnisch machen.

Wenn sie Ferguns Plan zustimmte, würde sie ihre Absichten gut verborgen halten müssen, oder ihr drohte eine ähnliche Strafe. Die Gilde würde ihr keine zweite Chance geben, Novizin zu werden. Sie hätte keine andere Wahl, als sich abermals auf einen Dieb zu verlassen, der sie versteckte – obwohl sie davon überzeugt war, dass Faren sie mit offenen Armen willkommen heißen würde, wenn sie über Magie gebieten – und sie kontrollieren – konnte.

Was würde er als Gegenleistung von ihr verlangen? Sie schnitt eine Grimasse bei der Vorstellung, den Rest ihres Lebens im Verborgenen zubringen und nach der Pfeife eines Diebs tanzen zu müssen. Im Grunde wollte sie nur eins: bei ihrer Familie sein.

Als sie den Schnee betrachtete, der zu beiden Seiten des Gehwegs aufgeworfen war, durchzuckte sie ein Gefühl der Sorge. Ihre Tante und ihr Onkel hockten jetzt wahrscheinlich irgendwo in einem winzigen Zimmer und zitterten vor Kälte. Es musste eine harte Zeit für sie sein. Sie würden nur wenige Kunden haben, und wie sollten sie ihre Lieferungen bewältigen, jetzt, da Jonna ein Kind erwartete und Ranels krankes Bein steif von der Kälte war? Sie sollte zurückkehren, um ihnen zu helfen, statt für einen Dieb Magie zu wirken.

Aber wenn sie mit Magie zurückkehrte, würde Faren dafür sorgen, dass ihre Tante und ihr Onkel ein gutes Auskommen hatten, und sie selbst wäre in der Lage zu heilen…

Aber wenn sie mit Rothen zusammenarbeitete, konnte sie schon in wenigen Wochen wieder bei ihrer Tante und ihrem Onkel sein. Ferguns Pläne würden sich vielleicht über Monate hinziehen …

Es war so schwer, eine Entscheidung zu treffen.

Wie schon so viele Male zuvor, wünschte sie, sie hätte ihre Kräfte niemals entdeckt. Sie hatten ihr Leben ruiniert. Sie hatten sie beinahe umgebracht. Sie hatten sie gezwungen, den verhassten Magiern dankbar zu sein, dass sie ihr das Leben gerettet hatten. Unterm Strich wollte sie ihre Magie einfach nur wieder loswerden.

Rothen verlangsamte seine Schritte. Als Sonea aufblickte, wurde ihr bewusst, dass der Weg zu einer breiten, gepflasterten Straße führte. Kurz darauf kamen mehrere gut gepflegte Häuser in Sicht.

»Das sind die Residenzen«, erklärte Rothen ihr.

Zwischen einigen der Gebäude ragten die geschwärzten Skelette von Häusern auf. Rothen bot ihr dafür keine Erklärung an. Er ging auf das Ende der Straße zu, die auf einen großen, runden Platz mündete, auf dem eine Kutsche wenden konnte. Am Straßenrand lag ein Baumstamm, auf dem der Magier sich nun niederließ.

Während Dannyl seine langen Beine einzog und sich neben den älteren Magier setzte, sah Sonea sich im Wald um. Zwischen den Bäumen erkannte sie eine Reihe dunkler Umrisse im Schnee, die zu gleichmäßig waren, um natürlichen Ursprungs zu sein.

»Was ist das da?«

Rothen folgte ihrem Blick. »Das ist der alte Friedhof. Wollen wir ihn uns ansehen?«

Dannyl drehte sich abrupt zu seinem Freund um. »Jetzt?«

»Wir sind nun schon einmal hier«, bemerkte Rothen und erhob sich. »Da wird es nicht schaden, wenn wir noch ein wenig weitergehen.«

»Könnte das nicht bis morgen früh warten?« Dannyl warf einen nervösen Blick auf den Friedhof.