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Wenn sie mit unversehrten Kräften in die Vorstadt zurückkehrte und sich dann selbst Magie beibrachte, könnte sie auch andere Magie lehren. Sie könnte ihre eigene geheime Gilde gründen.

Das würde allerdings bedeuten, dass Faren sie abermals vor der Gilde würde verstecken müssen. Es würde bedeuten, dass sie nicht zu ihrer Familie zurückkehren konnte. Es würde bedeuten, dass sie zu guter Letzt ihre Kräfte würde benutzen können, um Menschen zu helfen und zu heilen – und diese Chance war das Risiko vielleicht wert.

Sie sah den Magier an, der ihr gegenübersaß. Ob er sie immer noch so bereitwillig würde ziehen lassen, wenn er wüsste, was sie dachte? Sie runzelte die Stirn. Wenn sie seine Novizin wurde, könnte sich durchaus eine Situation ergeben, in der sie ihn in ihren Geist einlassen musste, um von ihm zu lernen. Er könnte ihre Pläne entdecken und seine Meinung ändern, wenn ihm nicht gefiel, was er in ihren Gedanken las.

Sein Vorschlag zwang sie, ihm in vielen Dingen vollkommen zu vertrauen. Sie kannte ihn nicht, und sie hatte auch nicht in seinen Geist geblickt.

Wenn sie doch nur ohne seine Hilfe fortgehen – fliehen – könnte!

Plötzlich stieg ein Gefühl der Erregung in ihr auf. Vielleicht war das ja tatsächlich möglich. Sie hatte Kontrolle gelernt. Rothen wusste nicht, dass sie es wusste. Irgendwann würde er es schließlich zugeben müssen, und wenn er das tat, würde er auf einen Fluchtversuch ihrerseits gefasst sein. Aber jetzt rechnete er noch nicht mit so etwas. Jetzt war der perfekte Zeitpunkt, um es zu versuchen.

Und was war, wenn sie keine Chance zur Flucht bekam oder ihre Flucht misslang?

Dann würde sie Ferguns Angebot annehmen müssen. Für den Augenblick jedoch musste sie ihn zunächst einmal vertrösten.

Sie sah Fergun an und schüttelte seufzend den Kopf. »Ich weiß es nicht. Selbst wenn Euer Plan gelingen sollte – die Gilde würde später Jagd auf mich machen.«

»Man würde dich nicht finden können«, versicherte er ihr. »Ich werde dir beibringen, wie du deine Kräfte verbergen kannst. Die Gilde wird keine Ahnung haben, wo du dich aufhältst, und am Ende wird man die Suche aufgeben. Du bist nicht die Einzige, die beim letzten Mal der Jagd müde geworden ist, Sonea. Man wird nicht für alle Zeit nach dir suchen.«

»Es gibt einige Dinge, die Ihr nicht wisst«, erklärte sie ihm. »Wenn ich mit Magie zu den Hütten zurückkehre, werden die Diebe wollen, dass ich für sie arbeite. Ich möchte nicht das Werkzeug der Diebe werden.«

Er lächelte. »Du wirst über Magie gebieten, Sonea. Die Diebe können nichts tun, was du nicht willst.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe Familie, Fergun. Mir würden die Diebe vielleicht nichts antun können, aber andere könnten unter ihnen leiden. Ich…« Sie rieb sich das Gesicht und sah ihn dann entschuldigend an. »Ich brauche mehr Zeit zum Nachdenken.«

Sein Lächeln erlosch. »Wie viel Zeit?«

Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht ein paar Wochen?«

»So lange kann ich nicht warten«, entgegnete er mit düsterer Miene. »Du kannst nicht so lange warten.«

Sonea war verwirrt. »Warum nicht?«

Fergun stand abrupt auf, zog etwas aus seiner Robe und warf es vor ihr auf den Tisch.

Sonea keuchte, als sie den Dolch erkannte. So viele Male hatte sie zugesehen, wie die Klinge gewissenhaft und liebevoll geschärft wurde. Sie konnte sich sogar an den Tag vor vielen Jahren erinnern, an dem die groben Umrisse eines vertrauten Nagetiers in das Metall eingeritzt worden waren.

»Wie ich sehe, erkennst du den Dolch.«

Jetzt stand Fergun hoch aufgerichtet vor ihr, und seine Augen glitzerten.

»Ich habe den Besitzer dieses Messers in einen dunklen, kleinen Raum gesperrt, den niemand hier kennt.« Seine Lippen verzogen sich zu einem bösartigen Lächeln. »Und es ist ein Glück, dass meine Kollegen nichts von dem Raum wissen, sonst würden sie sich vielleicht ein wenig Sorgen machen, wenn sie sähen, wie groß einige dieser Nagetiere werden können.« Er ließ sich in die Hocke sinken und legte die Hände auf die Armlehnen ihres Sessels. Sonea wich zurück, entsetzt von seinem hasserfüllten Blick.

»Tu, was ich dir sage, und ich werde deinen Freund freilassen. Mach mir Scherereien, und er wird für alle Zeit bleiben, wo er ist.« Seine Augen wurden schmal. »Hast du mich verstanden?«

Unfähig zu antworten, konnte Sonea nur wie betäubt nicken.

»Hör mir genau zu«, fuhr er fort. »Ich werde dir erklären, was du tun musst. Zuerst wirst du Rothen mitteilen, dass du dich zum Bleiben entschlossen hast. Daraufhin wird er dir erzählen, dass du inzwischen so weit bist, deine Magie zu kontrollieren, denn es wird ihm daran gelegen sein, dich in die Gilde zu bringen, bevor du deine Meinung wieder ändern kannst. In einer Woche findet eine Versammlung statt und anschließend eine Anhörung, die darüber befindet, wer dein Mentor sein soll. Bei dieser Anhörung wirst du allen erzählen, dass ich dich bei der Säuberung vor Rothen gesehen habe. Du wirst erklären, ich hätte dich angesehen, während der Stein die Barriere durchdrang. Den Höheren Magiern wird dann nichts anderes übrig bleiben, als mich zu deinem Mentor zu bestimmen. Du wirst der Gilde beitreten, aber ich versichere dir, es wird nicht für lange sein. Sobald du eine kleine Aufgabe für mich erledigt hast, wird man dich dorthin zurückschicken, wo du hingehörst. Auf diese Weise bekomme ich, was ich will – und du ebenfalls. Du hast nichts zu verlieren, wenn du mir hilfst, aber…« Er fuhr mit dem Finger über die Klinge von Cerys Dolch. »Wenn du dich weigerst, wirst du deinen kleinen Freund verlieren.«

Ohne sie aus den Augen zu lassen, schob er den Dolch wieder in seine Roben. »Sorg dafür, dass Rothen nichts von dieser Sache erfährt. Niemand außer mir weiß, wo das kleine Ceryni steckt, und wenn ich ihm nichts zu essen bringen kann, wird er schon bald sehr, sehr hungrig sein.«

Fergun erhob sich, glitt zur Tür hinüber und öffnete sie einen Spaltbreit. Dann drehte er sich noch einmal um und grinste sie höhnisch an. Soneas Magen krampfte sich zusammen, als ihr plötzlich wieder einfiel, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte. Er war der Magier, den sie bei der Säuberung mit ihrem Stein bewusstlos geschlagen hatte.

»Ich erwarte zu hören, dass Rothen morgen seinen Erfolg bekannt gibt. Danach werden wir uns wiedersehen.« Er schlüpfte durch die Tür und zog sie hinter sich zu.

Sonea lauschte seinen sich entfernenden Schritten, dann presste sie die Hände auf die Augen. Magier. Sie zischte einen Fluch. Ich werde ihnen nie wieder vertrauen, niemals mehr.

Dann dachte sie an Rothen, und ihr Zorn verebbte. Er hatte sie zwar getäuscht und vorgegeben, sie sei noch nicht in der Lage, ihre Magie zu kontrollieren, aber sie bezweifelte nicht, dass er gute Absichten hatte. Wahrscheinlich zögerte er die Dinge nur deshalb hinaus, um ihr Zeit zu geben, zu entscheiden, ob sie wirklich fortgehen wollte oder nicht. Wenn das stimmte, hatte er nichts getan, was sie an seiner Stelle nicht auch getan hätte – und sie war davon überzeugt, dass er ihr helfen würde, wenn sie ihn darum bat.

Aber sie konnte ihn nicht darum bitten. Erdrückende Hilflosigkeit machte sich in ihr breit. Wenn sie nicht tat, was Fergun wollte, würde Cery sterben.

Sie rollte sich in ihrem Sessel zusammen und schlang die Arme um den Oberkörper. Oh, Cery, dachte sie. Wo bist du? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst aufpassen, dass man dich nicht erwischt?

Sie seufzte. Warum tat Fergun das? Sie dachte an das erste Mal, als sie dieses hämische Grinsen gesehen hatte, und fröstelte.

Rache. Simple, schäbige Rache für die Demütigung, dass ein rebellisches Hüttenmädchen ihn bewusstlos geschlagen hatte. Er musste außer sich vor Zorn darüber sein, dass man sie in die Gilde eingeladen hatte, statt sie zu bestrafen. Aber wozu die Mühe, wenn sie doch nicht bleiben wollte?

Sie ließ sich seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Der Gilde beizutreten, um dann wieder weggeschickt zu werden… Und Fergun würde gewiss dafür Sorge tragen, dass man sie für ihren Angriff bestrafte.