»Danke sehr, Owen«, sagte Hazel, »aber ich kann für mich alleine sprechen.« Sie funkelte die Blutläufer an. »Ihr hattet einen Handel mit Markee, und Markee ist tot. Ihr habt nie einen Handel mit mir abgeschlossen, also schulde ich Euch auch nichts. Ihr werdet Eure Hände nicht an mich legen. Ich habe gehört, was mit den Leuten geschieht, die in Euren dreckigen Fingern landen. Sie betteln um den Tod, damit der Schmerz aufhört.«
»Was ist schon Schmerz«, erwiderte Scour, »wenn das Ziel Wissen lautet? Wir entschlüsseln die Geheimnisse von Leben und Tod. Ihr solltet Euch geehrt fühlen, uns dabei behilflich sein zu dürfen.«
»Nimm deine verdammte Ehre und steck sie dir sonstwohin«, fauchte Hazel. »Du wirst mich nicht Stück für Stück bei lebendigem Leib auseinanderschneiden.«
»Doch, das werden wir«, sagte Scour ruhig. »Es wurde so vereinbart. Der Vertrag ist unabänderlich und festgeschrieben.«
»Ihr seid genauso verrückt wie böse«, entgegnete Owen.
»Verschwindet aus meinen Augen. Hier gibt es nichts für Euch zu holen.«
»Halt, einen Augenblick mal«, meldete sich Gregor Shreck zu Wort. »Diese Leute da haben uns unbeschränkte finanzielle Unterstützung zugesichert. Was bedeutet schon ein Leben, verglichen damit?«
»Richtig«, stimmte Kit Sommer-Eiland zu. »Ich meine, sie ist schließlich nur eine verdammte Klonpascherin. Die Luft im Imperium stinkt jedesmal ein bißchen weniger, wenn einer von ihnen stirbt.«
Ein allgemeines zustimmendes Gemurmel erhob sich. Owen blickte hilfesuchend zu Ohnesorg. Jakob kaute auf seiner Unterlippe und schien nachzudenken. Owens Hand fiel auf den Griff der Waffe an seiner Hüfte, doch dann entspannte er sich wieder. Die Blutläufer waren nur Hologramme, genau wie alle anderen. Sie bedeuteten keine unmittelbare Gefahr.
»Hazel geht nirgendwohin«, sagte er tonlos und starrte über die Menge. »Wer anderer Meinung ist, darf gerne persönlich herkommen und mir das sagen. Ich schicke ihn dann zu seinen Vorfahren. Aber bitte drängelt nicht, sondern stellt Euch immer hübsch hintereinander an.«
Ein silbernes Schimmern erschien unter statischem Knistern in der Luft rings um Hazel. Sie versuchte, sich umzudrehen, doch das Energiefeld hemmte sie in ihrer Bewegung wie ein Insekt, das in Marmelade gefallen war. Ruby Reise versuchte, den Holostörer auf die Blutläufer anzuwenden, aber diesmal funktionierte das Gerät nicht. Hazel blickte Owen voller Verzweiflung an. Er versuchte, zu ihr zu gelangen, doch es ging nicht. Owen hämmerte mit bloßen Fäusten auf das schimmernde Energiefeld ein und ignorierte den Schmerz, der seine natürliche Hand verbrannte – ohne Erfolg. Er versuchte es immer und immer wieder, bis das Feld ihn plötzlich zurückstieß.
Owen funkelte hilflos die Blutläufer an, die ihn einfach ignorierten und unverwandt auf Hazel blickten.
Owen konnte nichts tun, gar nichts – aber er mußte etwas tun.
Irgend etwas. Er wandte sich erneut zu Hazel um, die inzwischen hinter der schimmernden Wand beinahe unsichtbar war, und plötzlich vereinigten sich Wille und Not in seinem Bewußtsein, und etwas Dunkles, Schreckliches erwachte tief in seinem Innern, im Kleinhirn, in dem Teil Owens, der vom Labyrinth des Wahnsinns verändert und gestärkt worden war.
Eine ungeheure Macht erwachte in Owen zum Leben, und die Luft ringsum begann zu knistern wie bei einem eingesperrten Gewitter, das jeden Augenblick loszubrechen drohte. Owen wurde mehr als menschlich, und seine Gegenwart war mit einemmal überwältigend und riesengroß, als er sich konzentrierte. Jeder in der Halle starrte ihn an, unfähig, den Blick abzuwenden, die Augen gefesselt mit der Faszination einer Motte, die um das helle Licht einer Flamme kreiste. Und Owen brannte sehr, sehr hell.
Der Todtsteltzer trat vor, senkte die Hände in das schimmernde Teleportationsfeld und riß es auseinander. Es brach augenblicklich zusammen, und Hazel stolperte auf unsicheren Beinen in seine Arme. Er hielt sie für eine Sekunde, bevor er sie sanft von sich schob und Ohnesorg übergab. Owen war noch nicht fertig. Er wandte sich zu den Blutläufern um, das Gesicht kalt und hart, und sie erwiderten seinen Blick verächtlich und herausfordernd.
»Ihr meint, Ihr wärt sicher vor mir, nicht wahr?« erkundigte sich Owen mit gefährlich leiser Stimme. »Ihr seid Lichtjahre weit von hier entfernt, am anderen Ende des Abgrunds. Aber Ihr irrt. Ich kann Euch vernichten, wo auch immer Ihr Euch befindet.«
Owen griff hinaus auf eine Weise, die ihm völlig neu war, aber jetzt, da die Macht in ihm erwacht war, schien alles so selbstverständlich, so offensichtlich zu sein. Seine Wut fiel auf Scour. Der Blutläufer schrie auf, und Blut schoß aus seinem Mund, seiner Nase und aus seinen Augen. Dann explodierte er und beschmutzte seine Kameraden mit Innereien, Blut und Knochensplittern. Owen Todtsteltzer lächelte, als er die schockierten Gesichter der restlichen Blutläufer erblickte, und dann wandte er sich ab und musterte mit grimmigen Blicken die Versammlung, die so schnell bereit gewesen war, Hazel aus eigennützigen Gründen zu opfern. Die Anwesenden erschauerten unter den Blicken des Todtsteltzers, doch sie konnten noch immer nicht wegsehen. Owen spürte die Macht in sich, die danach verlangte, benutzt zu werden, doch er zwang sich zur Ruhe. Er verstand seine neue Fähigkeit noch nicht, und er hatte den starken Verdacht, daß sie ihren Preis von ihm fordern würde. Owen konzentrierte sich und ließ die Macht in seinem Unterbewußtsein verschwinden, und schließlich war er wieder ein ganz normaler Mann. Hazel wand sich aus Ohnesorgs Griff und trat unsicher zu Owen. Ihr Gesicht war gefaßt, doch ihre Hände zitterten.
»Danke, Owen. Ich bin dir was schuldig. Ich wußte gar nicht, daß du zu so etwas imstande bist.«
»Ich wußte es bis eben selbst nicht«, entgegnete Owen. »Ich denke, es war das Labyrinth. Es hat uns viel stärker verändert, als wir uns selbst eingestehen wollten. Ihr besitzt die gleiche Macht, Hazel. Ihr hättet Euch genausogut auch selbst befreien können.«
»Das nächste Mal werde ich das auch tun«, sagte Hazel.
»Wir müssen wissen, was mit uns geschieht, Owen. Welche Fähigkeiten wir sonst noch besitzen.«
»Darüber können wir auch später noch reden«, unterbrach sie Ohnesorg. »Wir wollen doch unsere zukünftigen Freunde nicht unnötig erschrecken. Ich denke, es ist besser, wenn sie nur in kleinen Portionen davon erfahren.« Er wandte sich an die verbliebenen Blutläufer. »Und Ihr macht besser, daß Ihr von hier verschwindet, wie ich bereits gesagt habe. Wir haben diese Rebellion ins Leben gerufen, um Praktiken wie den Euren ein Ende zu setzen.«
»Wir werden Hazel D’Ark schon noch bekommen«, sagte einer der Blutläufer. »Wenn nicht jetzt, dann eben später.«
»Nein, das werdet Ihr nicht«, widersprach Owen. »Wenn Ihr mir nur noch ein einziges Mal unter die Algen kommt, seid Ihr Geschichte. Und jetzt geht zurück in das Rattenloch, aus dem Ihr gekrochen seid, und versucht, uns nicht wieder in die Quere zu kommen, bevor Ihr nicht gelernt habt, Euch wie zivilisierte Menschen zu benehmen.«
Die Blutläufer musterten Owen eine ganze Weile schweigend. Dann waren sie plötzlich verschwunden. Unter den Anwesenden war deutlich eine allgemeine Erleichterung zu verspüren, und bald setzte wieder leises Stimmengemurmel ein.
Schon der Anblick eines Blutläufers war selten genug, ohne daß jemand ihnen so überzeugend in den Hintern trat. Eine Reihe von Leuten bedachte Owen mit bewundernden Blicken, doch er bemerkte auch, daß mindestens ebenso viele verstört, wenn nicht gar besorgt dreinblickten – wegen der unglaublichen Macht, die er in Händen hielt. Owen verstand sie nur zu gut. Er machte sich ebenfalls Gedanken. Würde er sich zu etwas Höherem entwickeln, wenn die Macht in ihm weiter wuchs? Oder würde er fallen? Owen blickte sich um, als Jakob Ohnesorg endlich zur Ordnung rief und das Gemurmel verstummte.