»Es tut mir sehr leid, daß unsere Wege sich schon so rasch wieder trennen müssen, Vorfahre«, sagte Owen schließlich.
»Wir hatten kaum Gelegenheit, uns richtig kennenzulernen.«
»Ich weiß, daß du ein richtiger Todtsteltzer bist«, erwiderte Giles. »Und das ist alles, was zählt. Für einen Historiker bist du ein verdammt guter Kämpfer, mein Junge. Gibt es sonst noch etwas… über das du mit mir reden möchtest?«
»Nun«, begann Owen zögernd. »Ich… ich frage mich schon die ganze Zeit… Warum trägst du einen Zopf? Ich meine…
Schließlich ist es das Zeichen der Söldner.«
»Ja«, sagte Giles. »Das ist es. Das Imperium, an das ich geglaubt habe, existiert nicht mehr. Es ist nur noch eine Erinnerung. Der Imperator, dem zu dienen ich geschworen habe, ist seit Jahrhunderten tot. Die Dinge haben sich in der Zwischenzeit ganz anders entwickelt, als ich eigentlich gehofft hatte.
Aber sä ist das halt. Man hofft stets, daß die Zukunft besser sein wird und daß die Nachfahren ein leichteres Leben haben werden als man selbst…, aber ich konnte schon damals erkennen, wie das Imperium zu faulen begann. In den letzten neunhundert Jahren hat sich nichts geändert, außer zum Schlechteren. Wenigstens habe ich lange genug gelebt, um den Beginn eines neuen Anfangs zu sehen. Ich bin nicht mehr der Oberste Krieger. Das Amt wurde mir vor langer Zeit genommen… Ich bin jetzt ein Kämpfer für die Sache anderer Leute. Also ein Söldner, Owen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Deswegen der Zopf. Ich hatte schon immer eine Schwäche für dramatische Gesten. Aber… bist du sicher, daß dir nichts mehr auf der Seele brennt, über das du mit mir reden möchtest, bevor wir aufbrechen, mein Junge?«
Owen rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her.
Seit er den Hohen Lord Dram getötet hatte, hatte Giles immer wieder versucht, für Owen eine Vatergestalt abzugeben, doch Owen wollte oder brauchte keinen Vater mehr. Er hatte noch immer genug Probleme, sich darüber klarzuwerden, was er von seinem leiblichen Vater halten sollte. Also grinsten sich die beiden Männer am Ende nur schweigend an, nickten abschließend und marschierten in verschiedenen Richtungen zu ihren Quartieren davon, um sich noch ein wenig auszuruhen, bevor ihre Missionen begannen.
Zwei Todtsteltzer, aneinandergefesselt durch Blut und Ehre, durch Schuld und vielleicht auch durch ein wenig Sympathie.
Helden der bevorstehenden Rebellion. Keiner konnte wissen, zu welchem dunklen Ende die Vorsehung sie führen würde.
KAPITEL VI
STIMMEN IM DUNKEL
Draußen am Abgrund war alles anders. Das Raumschiff Unerschrocken jagte durch die ewige Dunkelheit, ein einzelner silberner Funke vor der unendlichen Nacht. Kapitän Johan Schwejksam saß in seinem Kommandantensessel auf der Brücke der Unerschrocken und starrte finster auf den großen Bildschirm an der Stirnseite der Zentrale. Nicht, daß es dort viel zu sehen gegeben hätte. Sein neuer Auftrag hatte ihn hergeführt, an den Rand des Abgrunds, wo die Normalität von Sonnen, Planeten und Leben der endlosen leeren Finsternis der Dunkelwüste wich, in der es weder Licht noch Leben gab. Mit Ausnahme der Wolflingswelt, in deren unergründlichen Tiefen eine Armee von wiedererwachten Hadenmännern wartete und die Anfänge einer neuen Rebellion gegen das Imperium.
Schwejksam preßte die Lippen aufeinander. Sein Mund war nur noch ein blutleerer Strich. Er war als Verlierer von dieser Welt verjagt worden, hatte sich als Versager und in Ungnade vor der Eisernen Hexe verantworten müssen – und doch; Schwejksam verspürte keinerlei Drang, zur Wolflingswelt zurückzukehren und Rache zu nehmen. Unnatürliche Mächte hatten sich in den düsteren Kavernen unter der Oberfläche des Planeten festgesetzt, Mächte und Erscheinungen, die weit über den Verstand eines Menschen hinausgingen. Mächte, die ihn berührt und befleckt hatten. Die Wolflingswelt war ein gefährlicher Ort, und Schwejksam war fest entschlossen, auf gar keinen Fall ohne die Rückendeckung mindestens einer ganzen Imperialen Armee dorthin zurückzukehren. Besser noch der gesamten Imperialen Flotte. Er kannte den Unterschied zwischen Mut und Lebensmüdigkeit nur allzugut. Die Rebellion, die im Innern der Wolflingswelt Gestalt annahm, mußte niedergeschlagen und erstickt werden; das war von größter Wichtigkeit – aber solange er die Eiserne Hexe nicht davon überzeugen konnte, würde Schwejksam einen ausreichenden Sicherheitsabstand zwischen sich und dem einzigen Planeten in der gesamten Dunkelwüste einhalten, auf dem Leben existierte.
Schwejksam seufzte, nicht zum ersten Mal, und verlagerte das Gewicht in seinem Sessel. Seit zehn Stunden befand er sich jetzt auf der Brücke, weit über das Ende seiner Wache hinaus, doch es hatte keinen Sinn, wenn er jetzt in sein Quartier zurückkehrte. Er konnte nicht abschalten, und er konnte nicht schlafen. Zu viele Dinge waren in letzter Zeit geschehen. Beunruhigende Dinge. Seine Mission war ihm geradlinig und einfach erschienen, als Löwenstein ihm den Befehl erteilt hatte: Patrouillieren entlang aller Planeten des Imperiums, auf denen in der Mehrzahl nichtmenschliche, intelligente Rassen lebten, und sicherstellen, daß sie sich nicht mit den Fremden von außerhalb des Imperiums oder mit den Rebellen verbündeten.
Auf der einen Seite sollte Schwejksam Versprechungen machen und bessere Unterstützung zusichern, auf der anderen Seite mit schweren Repressalien drohen, falls sich eine Welt als ungehorsam gegenüber dem Willen der Imperatorin erwies.
Zuckerbrot und Peitsche. Bei Menschen versagte die Methode nie. Aber die wenigen fremden Zivilisationen, die ihre Eingliederung ins menschliche Imperium halbwegs überlebt hatten, waren alles andere als menschlich.
Hier draußen am Abgrund war es still. Weit weg vom Zentrum des Imperiums. Weit weg von allem Verkehr und von bewohnten Planeten. Die Unerschrocken glitt mutterseelenallein durchs All, und manchmal erschien ihrem Kapitän und ihrer Mannschaft die Einsamkeit beinahe unerträglich. Die Hälfte von Schwejksams Leuten nahm Beruhigungsmittel oder betäubte sich mit illegalem Alkohol. Schwejksam drückte ein Auge zu. Sie brauchten alle ein kleines Extra, um die Eiseskälte der endlosen Nacht zu überstehen. Alle, mit Ausnahme von Frost. Sie stand lässig neben Schwejksams Kommandantensitz, so ruhig und gelassen wie immer. Frost hatte für einige Zeit schweigend den Schirm betrachtet. Sie mußte Schwejksam nicht erst erzählen, daß sie ungeduldig auf das Ende der ewigen Monotonie wartete. Frost gehörte zu den Menschen, die ständig etwas tun mußten, und die langen Wochen des Wartens hier draußen am Abgrund waren auch für sie hart. Zwischen den einzelnen Planeten lagen weite Entfernungen, und selbst mit dem neuen Hyperraumantrieb dauerte es noch sehr lange, um sie zu überbrücken. Frost langweilte sich tödlich. Insgeheim dachte Schwejksam, daß er mit der Langeweile ganz gut leben konnte. Nur noch ein paar Planeten, und ihre Mission wäre offiziell abgeschlossen – obwohl sich erst noch zeigen mußte, ob man ihnen die Rückkehr in belebtere Sektoren des Imperiums gestatten würde oder nicht. Schwejksam und seine Leute wußten zu viele Dinge, die Löwenstein lieber nicht in die Öffentlichkeit getragen haben wollte.
Doch es war nicht allein die Einsamkeit und die endlose Langeweile oder die große Entfernung zum Herzen des Imperiums, die Schwejksam zu schaffen machten. Die Rebellion konnte jederzeit beginnen. Sie wurde von Leuten angeführt, die fast so etwas wie Übermenschen geworden waren, und unterstützt von den tödlichen Hadenmännern, den einstigen Feinden der Menschheit. Diese Rebellion, wenn sie erst kam, würde nicht so leicht niederzuschlagen sein wie all die anderen zuvor.