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Chroma XIII besaß keine richtige Oberfläche. Es gab überhaupt keinen festen Boden oder Kern. Die Drohnen fielen endlos durch Schichten aus verschiedenen Farben und blendend helle Felder aus Licht, in denen fremdartige Farbenspiele ohne einen für das menschliche Auge erkennbaren Sinn oder Zweck abliefen. Es gab Ebenen aus atemberaubenden Farben, voneinander getrennt und verschieden und Tausende von Kilometern lang, Wirbel von der Größe eines Mondes, in denen eine Farbe langsam in eine andere überging, und ganze Ozeane aus blauem Nebel von so tiefer Intensität, daß das Blau beinahe schwarz aussah. Und wohin man auch blickte, überall wurden die Farben und Schatten von plötzlichen Blitzen durchzuckt, die beinahe zu schnell waren für das menschliche Auge.

»Und diese Lichtblitze sind die Eingeborenen?« erkundigte sich Schwejksam nach einer ganzen Weile.

»Wir vermuten es jedenfalls«, antwortete Frost. »Es ist nicht leicht, irgend etwas mit Sicherheit festzustellen. Aber eines scheint klar zu sein: Die Lichtblitze besitzen einige der Attribute, die wir gewöhnlich mit Leben assoziieren. Sie reagieren auf äußere Einflüsse, sie konsumieren Licht bestimmter Wellenlängen und strahlen es in anderen Wellenlängen wieder ab, und sie scheinen über all das hinaus miteinander zu kommunizieren, obwohl unsere Übersetzungslektronen regelmäßig überlastet zusammenbrachen, wenn sie versuchten, einen Sinn in die Signale zu bringen. Außerdem reproduzieren die Blitze sich ununterbrochen, genauso, wie sie aus völlig unerfindlichen Gründen hin und wieder einfach verschwinden.«

»Also schön«, sagte Schwejksam, entschlossen, sich nicht vollkommen verwirren zu lassen. »Wie treten wir mit ihnen in Verbindung?«

»Überhaupt nicht«, erwiderte Frost. »Wir sind noch nicht einmal sicher, ob sie von unserer Existenz wissen. Was vielleicht ganz gut so ist. Warum sollten wir sie auf dumme Gedanken bringen?«

Schwejksam musterte Frost von der Seite und hob eine Augenbraue. »Und das Imperium ist zufrieden, wenn wir sie einfach in Ruhe lassen?«

»Es hat den Anschein. Sie besitzen nichts, was wir gebrauchen könnten, geschweige denn wirklich benötigen würden.«

»Und was, zur Hölle, machen wir dann hier?« brauste Schwejksam auf.

»Wir behalten sie im Auge. Wir haben nicht die leiseste Ahnung, wozu sie imstande sind. Sie sind Leben ohne Form, und das könnte auch bedeuten, Leben ohne Grenzen, wie wir sie verstehen. Wer weiß, zu was sie fähig sind, wenn sie uns entdecken? Wenn sie sich entscheiden würden, diese Welt zu verlassen und zu einer bewohnten Welt überzusiedeln, könnten wir in gewaltigen Schwierigkeiten stecken. Diese Lichtblitze enthalten gewaltige elektrische Energien, und wir sind ziemlich sicher, daß dort unten auch noch andere Kräfte existieren. Zusammengefaßt: Wir besitzen nichts, womit wir sie aufhalten könnten, wenn sie beschließen, böse auf uns zu sein. Welchen Sinn macht eine Waffe gegen jemanden, der keine physische Existenz besitzt?«

»Großartig«, seufzte Schwejksam. »Einfach großartig. Noch etwas, über das wir uns den Kopf zerbrechen müssen. Also schön, wir können nicht mit ihnen sprechen, wir können sie nicht bedrohen, und wir wissen nicht einmal mit Sicherheit, ob sie unsere Existenz bemerken.«

»Ihr habt es erfaßt«, bestätigte Frost. »Wir können nichts weiter unternehmen, als ein paar hundert Drohnen in die Atmosphäre zu schicken, um die Dinger im Auge zu behalten, und dann verschwinden wir wieder.«

»Kommt zur Flotte und seht das Universum, hieß es immer«, sagte Schwejksam schwer. »Erlebt neue und interessante Lebensformen… und lauft vor ihnen weg. Navigator, bringen Sie uns hier raus. Mir brummt der verdammte Schädel.«

Der letzte Planet auf ihrer Patrouille war Epsilon IX, und das bedeutete Hartanzüge. Die Gravitation betrug fünffach Standard, die Atmosphäre bestand aus einer Mischung hochgiftiger Gase, und der Druck war ähnlich unerträglich wie am Grund eines tiefen Ozeangrabens. Und was am schlimmsten war: Die gesamte Oberfläche schien aus einer einzigen Schmiere zu bestehen; dickem, schleimigem Schlamm, der sich von Pol zu Pol erstreckte. An manchen Stellen war der Schlamm kilometertief, und das waren dann die Ozeane. An anderen Stellen wiederum bedeckte er den Boden nur einige Zentimeter bis einen Meter, und das nannte man dann Land. Es war das reine Chaos. Hin und wieder wuchsen über Nacht Hügel aus dem Schlamm und verbrachten den anschließenden Tag damit, langsam wieder in sich zusammenzufallen.

Hier und dort konnte man gewaltige künstliche Gebilde finden, die vielleicht Maschinen oder Gebäude darstellen sollten, vielleicht aber auch nicht. Die eingeborene intelligente Spezies hatte die Gebilde erschaffen, als ihr danach gewesen war, doch sie hatte sich geweigert zu erklären, woher das Material stammte oder welchen Zweck die Bauwerke erfüllten. Der Schlamm selbst enthielt ein paar äußerst seltene und wertvolle Spurenelemente, und diese wurden von einer eigens dazu konstruierten automatischen Verhüttungsanlage des Imperiums extrahiert. Menschen konnten auf Epsilon IX nicht leben, auch nicht innerhalb einer vollkommen abgeschirmten Basis; von Menschen errichtete Konstruktionen versanken unweigerlich nach einiger Zeit im Schlamm. Sie mußten andauernd wieder geborgen werden, und das verschlang zuviel Geld.

Die Verhüttungsanlage funktionierte nur deswegen, weil die Eingeborenen sich darum kümmerten. Niemand wußte etwas Genaueres über die Spezies. Sie schienen die einzigen Lebewesen auf dem gesamten Planeten zu sein, und das stellte einige sehr interessante oder auch – je nach Blickwinkel – unappetitliche Fragen in den Raum. Zum Beispiel danach, wovon sie lebten. Die Wesen besaßen eine mysteriöse Verbindung zu dem planetenweiten Schlamm, die ihnen gestattete, zu gedeihen und sich zu vermehren, doch sie waren nicht besonders gut darin, eine Erklärung hierfür oder für eines der anderen zahlreichen Rätsel abzuliefern. Sie blieben strikt unter sich, und sie waren sehr erfindungsreich, wenn es darum ging, unangenehme Dinge mit unbefugten Eindringlingen anzustellen.

Schwejksam und Frost nahmen die Pinasse, um zur Oberfläche des Planeten zu gelangen. Kurz darauf schwebte das Beiboot der Unerschrocken kurz über dem Boden in der Luft, während der Kapitän und sein Investigator unbeholfen in den Hartanzügen aus der Schleuse sprangen. Sie landeten in knietiefem Schlamm und wateten langsam durch den Dreck davon, während sie ständig darum kämpften, nicht das Gleichgewicht zu verlieren und hinzufallen. Unter den Sohlen spürten sie eine Andeutung von festem Grund, aber er hob und senkte sich in unvorhersehbarer Weise unter dem alles bedeckenden Schlamm. Die vorherrschende Farbe war Grau, Schlammgrau, um genauer zu sein, in allen Variationen. Auch der Himmel war grau, und das war… gelinde ausgedrückt… verwirrend, weil der Horizont beinahe unmerklich in die Oberfläche überging. Schwejksams Orientierungssinn war bald hoffnungslos überfordert. Richtungen wie oben und unten, rechts und links verloren jegliche absolute Bedeutung und wurden zu einer Frage der persönlichen Einschätzung. Als Schwejksam sich das letzte Mal so gefühlt hatte, war er bereits eine ganze Woche restlos betranken gewesen.

Der Kapitän schlurfte neben Frost einher, und die Servomotoren ihrer Anzüge wimmerten laut vor Anstrengung, als sie sich gegen die erdrückende Gravitation des Planeten stemmten.

Schwejksam bemerkte mit heimlicher Genugtuung, daß auch Frost ganz offensichtlich Schwierigkeiten hatte, durch den zähen Schlamm voranzukommen. Es war ein gutes Gefühl zu sehen, daß auch Investigatoren ihre Grenzen hatten. Eine Zeitlang wateten sie nebeneinander her, während ihre Umgebung sich ohne erkennbaren Grund hob oder senkte. Frost führte mit beharrlicher Sturheit. Schwejksam vermutete, daß sie wußte, welche Richtung sie einzuschlagen hatten, doch er zog es vor, nicht zu fragen – nur für den Fall, daß er sich in ihr täuschte.