Die Pinasse schwebte hoch über ihnen, weit genug weg, um keinen der Eingeborenen zu erschrecken, aber noch immer nah genug, um im Notfall sofort herbeischießen und die beiden Menschen evakuieren zu können, sollte es nötig werden.
Schwejksam wurde rasch müde. Selbst mit Hilfe der Servos war es schwierig, aufrecht zu gehen, und das schnelle Tempo trug sein übriges zur raschen Erschöpfung bei. Nach den Instrumenten seines Anzugs zu urteilen, waren die Temperaturen hoch genug, um einige Metalle zum Schmelzen zu bringen.
Schwejksam schwitzte wie ein Schwein, obwohl die Klimaanlage des Anzugs mit höchster Leistung arbeitete, und das Fehlen eines sichtbaren Horizonts verursachte auf Dauer Kopfschmerzen. Er war so mit sich und seiner eigenen Welt aus Schmerz und Verwirrung beschäftigt, daß er erst im allerletzten Augenblick bemerkte, daß Frost stehengeblieben war. Nur dank einer heroischen Anstrengung konnte er vermeiden, gegen Frost zu prallen, und anschließend war er wieder für einige Sekunden vollauf damit beschäftigt, das Gleichgewicht zu halten. Schließlich atmete Schwejksam tief durch und blickte sich um. Der Ort, an dem sie standen, unterschied sich in nichts von der Gegend, durch die sie bis jetzt gekommen waren. Nirgendwo war eines der Bauwerke der Eingeborenen zu sehen.
Nichts bis auf einen großen Hügel zu ihrer Linken, der langsam in sich zusammensank wie schmelzende Eiskrem.
»Hier ist es?« fragte er schließlich.
»Insofern, als daß es ein ›Es‹ gibt, ja«, erwiderte Frost orakelhaft. »Jedenfalls befinden wir uns an den richtigen Koordinaten. Diese Gegend ist wirklich ekelhaft. Es sieht beinahe aus, als hätte sie jemand aus der Nase geholt.«
Schwejksam zuckte zusammen. »Ihr habt einen ausgeprägten Hang zu eigenartigen Vergleichen, Investigator. Was machen wir jetzt?«
»Wir warten, bis sich jemand bei uns zeigt. Was zweifelsohne eine Zeit dauern wird, wenn man die Umgebung berücksichtigt. Vielleicht hätten wir einen Spaten und einen Eimer mitbringen sollen.«
Frost brach ab, als der Schlamm vor ihr Blasen zu werfen begann und sich wie eine Fontäne in Zeitlupe aufwölbte.
Schwejksam und Frost richteten die eingebauten Disruptoren auf das wachsende Gebilde, während es sich hier und da ausbeulte und an anderen Stellen zusammenzog, um schließlich eine humanoide Form anzunehmen, vollständig bis ins Detail, einschließlich Bekleidung. Natürlich waren sowohl Kleider als auch Hautfarbe in dem unvermeidlichen Grau gehalten, das die einzige Farbe des Planeten zu sein schien. Die Gestalt sah genaugenommen sogar schick aus, in formeller Abendgarderobe, und für einen Augenblick fühlte sich Schwejksam in seinem Hartanzug reichlich übertrieben geschützt. Er konzentrierte sich auf das Gesicht seines Gegenübers. Es war grau und schwitzte kleine Schlammtropfen aus, doch es war ganz ohne Zweifel ein menschliches Gesicht. Die Augen richteten sich auf Schwejksam, dann auf Frost, und schließlich verzog sich der Mund zu einem Lächeln.
»Bevor Ihr fragt«, sagte die Gestalt rasch, »… nein, ich sehe in Wirklichkeit nicht so aus. Ihr seht eine mentale Projektion aus in der Nähe vorkommendem Material. Glaubt mir, Ihr würdet nicht sehen wollen, wie ich in Wirklichkeit aussehe.
Außer natürlich, Ihr habt Spaß daran, Euch zu übergeben. Allerdings schätze ich, daß das in einem Hartanzug nicht besonders lustig ist. Jedenfalls sind die menschlichen Sinne viel zu beschränkt, um meine wahre Schönheit zu erkennen.«
Das Wesen verschränkte die tropfenden Arme vor der Brust und ließ den beiden Menschen einen Augenblick Zeit, damit sie über seine Worte nachdenken konnten. »Also schön, was wollt Ihr denn diesmal wieder von uns? Ich bin beschäftigt.
Und fragt erst gar nicht, womit – Ihr würdet es ja doch nicht verstehen.«
»Wenn Ihr das seid, was dieser Planet unter einem Diplomaten versteht, dann möchte ich Eure Politiker erst gar nicht kennenlernen«, sagte Schwejksam. »Wie kommt es eigentlich, daß Ihr unsere Sprache so gut sprecht?«
»Ich spreche Eure Sprache nicht. Ich verständige mich mit Euch direkt über Euer Bewußtsein, was ich zwar als ziemlich gewöhnlich empfinde, aber man muß eben hin und wieder Abstriche machen, wenn man die Götter zufriedenstellen will. Das war übrigens ein kleiner Scherz, um die Stimmung aufzulockern.«
»Ihr seid Telepath?« erkundigte sich Frost. »Davon stand nichts in unseren Dateien.«
»Bin ich auch nicht. Viel zu primitiv. Wir kommunizieren direkt, obwohl Euer menschlicher Verstand zu beschränkt ist, um alles aufzufangen, was ich übertrage.« Die Gestalt unterbrach sich und runzelte überrascht die Stirn, bevor sie fortfuhr: »Obwohl ich gestehen muß, daß Ihr weitaus empfänglicher seid als die meisten anderen.«
»Spart Euch die Komplimente«, entgegnete Frost. »Wir sind aus geschäftlichen Gründen hier.«
»Nun, ich dachte mir schon beinahe, daß Ihr nicht als Touristen gekommen seid«, erwiderte der Mann aus dem Schlamm.
»Was will Euer Imperium denn diesmal?«
»Ihr werdet Euch nicht mit Rebellen oder Fremden einlassen«, erklärte Frost steif. »Falls sich jemand bei Euch meldet, nehmt Ihr augenblicklich Verbindung mit dem nächsten Imperialen Spionagesatelliten auf. Jede Allianz mit fremden Mächten wird schwere Strafmaßnahmen nach sich ziehen.«
»Und wie sollen diese Strafmaßnahmen aussehen?« erkundigte sich der Mann aus Schlamm. »Wollt Ihr uns vielleicht einsperren? Dazu müßtet Ihr erst einmal fünfdimensionale Gefängnisse bauen können. Oder wollt Ihr uns vielleicht etwas von unserem hübschen Schlamm wegnehmen? Bedient Euch nur, wir haben Millionen Tonnen von dem verdammten Zeug.«
Frost hob die rechte Hand und betätigte den Abzug des in den Arm eingebauten Disruptors. Der Energiestrahl verdampfte den Kopf des Schlamm-Mannes. Schwejksam wollte gegen ihr Vorgehen protestieren, doch dann hielt er inne. Er haßte unnötiges Blutvergießen, aber das hier war Prosts Angelegenheit.
Sie war viel besser qualifiziert als er, wenn es darum ging, sich Eingeborenen gegenüber verständlich zu machen. Der Schlammkerl hätte eben mehr Respekt zeigen sollen, verdammt. Eine Beleidigung Frosts oder Schwejksams war eine Beleidigung des gesamten Imperiums. Und dann wurde Schwejksam bewußt, daß der kopflose Rumpf aus Schlamm nicht zusammengebrochen war. Er stand ungerührt da wie zuvor, als wäre gar nichts gesehen. Flüssiger Schlamm blubberte in seinem Halsstumpf, türmte sich auf, und rasch hatte sich ein neuer Kopf gebildet. Das gleiche Gesicht wie zuvor erschien, und der Mann aus Schlamm blickte Frost vorwurfsvoll an.
»Also hat sich die Imperiale Diplomatie seit dem letzten Besuch nicht besonders weiterentwickelt. Sieben Pluspunkte für Brutalität, mehrere tausend Minuspunkte für mangelnde Selbstbeherrschung. Wenn man einem Barbaren den kleinen Finger gibt… und so weiter. Ich wünschte nur, sie würden uns ein einziges Mal jemanden schicken, der in der Freßhierarchie ein wenig weiter oben steht. Ich hatte schon interessantere Unterhaltungen mit unserem Schlamm. Ihr Menschen könnt Euch verdammt glücklich schätzen, daß unsere Spezies physisch an das Ökosystem dieses Planeten gebunden ist. Wenn wir von hier weg könnten, würden wir Euer Imperium innerhalb einer einzigen Woche übernehmen.«
»Aber Ihr könnt nicht weg, und Ihr werdet gar nichts übernehmen«, entgegnete Frost kühl. »Also vergeßt meine Worte nicht. Keiner spricht mit Fremden oder Rebellen, oder wir denken uns etwas wirklich Unangenehmes für Eure Welt aus. So, das wäre alles. Wir gehen. Viel Spaß noch beim Spielen im Schlamm.«
»Ich sehe keinen Grund für sexuelle Anzüglichkeiten«, erwiderte der Mann aus Schlamm. »Fühlt Euch frei, unsere Welt zu verlassen, wann immer Ihr wollt. Am liebsten gleich. Auf Wiedersehen.«
Schwejksam wollte sich eben umdrehen und loslaufen, doch er hielt inne, als er bemerkte, daß Frost reglos dastand. Er konnte ihr Gesicht hinter dem schwarzen Helm aus Stahl nicht erkennen, doch er wußte genau, daß sie die Kreatur aus Schlamm nachdenklich anstarrte. Schwejksam konnte es förmlich spüren. Die mentale Verbindung zwischen ihnen beiden war plötzlich wieder einmal sehr stark, und er wußte, was ihr durch den Kopf ging. Frost wollte sehen, wie der Eingeborene in Wirklichkeit aussah. Sie wollte seine Gestalt und das Wesen sehen, das sich hinter der Maske aus Schlamm verborgen hatte.