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Frost zuckte die Schultern. Sie hielt die Hände demonstrativ weit weg von den Waffen. Schwejksam war es zufrieden. Er trat einen Schritt vor und marschierte durch die offene Tür in Stelmachs Kabine. Frost hielt sich so dicht hinter ihm, daß er ihren Atem in seinem Nacken spüren konnte. Schwejksam grinste und nickte Stelmach zu, der mit herabgesunkenem Kopf und hängenden Schultern auf der Kante seines Bettes saß. Seine Waffe lag ein Stück weit entfernt auf dem Boden, außer Reichweite. Schwejksam entspannte sich ein wenig und blickte sich in Stelmachs Quartier um.

Das Zimmer war ein einziges Chaos. Der Sicherheitsoffizier hatte alles, was nicht angeschraubt oder fester Bestandteil des Schiffes war, heruntergerissen und durch die Gegend geworfen. Der einzige Tisch und der dazugehörige Stuhl waren umgekippt, und die zerbrochenen Überreste von Stelmachs persönlichen Sachen lagen zusammen mit allem anderen auf dem Boden verstreut. Das Bett war aus der Kabinenwand herabgelassen worden und hatte den Tobsuchtsanfall scheinbar unbeschadet überstanden, was man von der Bettwäsche allerdings nicht behaupten konnte. Sie war in Fetzen gerissen worden und lag bei den anderen Trümmern auf dem Boden. Stelmach saß auf dem unbezogenen Bett, und er sah alles andere als gefährlich aus. Schwejksam beschloß, trotzdem vorsichtig und behutsam vorzugehen. Er konnte Frost hinter sich spüren. Sie war gespannt wie ein Kampfhund an einer kurzen Leine. Schwejksam trat einen Schritt vor, und Stelmach hob endlich den Blick.

Sein Gesicht wirkte müde und mitgenommen. Der Sicherheitsoffizier sah aus, als wäre er über Nacht um zehn Jahre gealtert.

»Kommt herein, Kapitän. Investigator. Entschuldigt die Unordnung, aber das Zimmermädchen hat heute seinen freien Tag.«

»Ich habe Schlimmeres gesehen«, entgegnete Schwejksam.

»Aber Ihr wart sehr… beschäftigt, Stelmach. Gibt es einen bestimmten Grund dafür?«

»Was spielt das denn für eine Rolle?« murrte Stelmach. »Ich kenne die Vorschriften. Ich gehöre in den Bunker. Macht schon und sperrt mich ein. Ich bin fertig hier.«

»Ich denke nicht, daß ich jemanden verurteile, bevor er eine faire Anhörung hatte«, erwiderte der Kapitän behutsam. »Also erklärt Euch, Stelmach. Was ist der Grund für das hier?«

»Es ist privat, Kapitän. Eine Familienangelegenheit. Ich möchte nicht darüber reden.«

»Redet trotzdem, Stelmach. Wenn ich schon den besten Sicherheitsoffizier verlieren soll, den ich je hatte, dann will ich auch den Grund dafür wissen.«

Stelmach blickte an Schwejksam vorbei zu Frost. »Muß sie auch dabeisein?«

»Sie macht sich lediglich Sorgen wegen meiner Sicherheit«, antwortete Schwejksam. »Aber sie kann selbstverständlich draußen auf dem Korridor warten, wenn Euch das lieber ist.«

»Laßt nur«, sagte Stelmach. »Es macht sowieso keinen Unterschied.« Er lehnte sich gegen die Rückwand seines Bettes, und als er weitersprach, klang seine Stimme unendlich müde.

»Ich habe heute morgen einen Brief erhalten. Von meiner Familie. Wir standen uns immer sehr nah, seit mein Vater starb.

Ich war damals noch ein Kind. Es gab eine Demonstration, irgend etwas Politisches, und es kam zu Ausschreitungen. Irgend jemand warf irgend etwas, irgend jemand anderes eröffnete das Feuer, und mein Vater, der Polizist, war tot, noch bevor er den Boden berührte. Mutter zog uns groß, hielt uns zusammen und tat, was immer notwendig war, um uns ein Dach über dem Kopf, Kleider auf dem Leib und Essen im Magen zu geben. Ich war der Jüngste. Ich habe niemals neue Kleider getragen, bevor ich zur Flotte ging. Wir wurden erzogen, meinen Vater als Heiligen zu verehren, und Mutter brachte uns bei, nichts, aber auch gar nichts Politisches zu unternehmen. Sie brachte uns alle im Staatsdienst unter, sobald wir alt genug dazu waren. Es war ein sicherer Arbeitsplatz, was auch immer sonst geschehen mochte.

Meine Schwester Athena war die Älteste. Sie brachten sie weg, als sie zehn war, und bildeten sie zum Investigator aus.

Seither haben wir nie wieder von ihr gehört. Meine Brüder Stolzfried und Ehrheld machten ebenfalls Karriere. Stolzfried ist Major in der Armee, und Ehrheld ist Gruppenleiter bei den Jesuitenkommandos. Sie schreiben regelmäßig nach Hause und schicken Geld, wann immer sie können. Ich bin das schwarze Schaf. Ein Versager. Meine Karriere ist zu Ende. Nach dem Debakel auf der Wolflingswelt hatte ich Glück, daß ich nicht exekutiert wurde, aber ich werde niemals mehr als ein Sicherheitsoffizier sein, selbst dann nicht, wenn man mich öffentlich von aller Schuld freispricht. Selbst meine Forschung an der Kontrolle der Schläfer von Grendel wurde von anderen übernommen. Soweit es meine Familie betrifft, habe ich ihr durch mein Versagen große Schande bereitet. Meine Mutter hat geschrieben, daß ich nicht wieder nach Hause kommen soll. Sie hat mich aus der Familie ausgestoßen, mich enterbt und alle Erinnerungen an mich aus der Geschichte unserer Familie entfernt. Sie erzählt jedem, der nach mir fragt, daß sie niemals einen Sohn namens Kühnhold besessen hat.

Ich habe immer mein Bestes gegeben. Ich befolgte die Vorschriften und tat alles, was man mir befahl. Ich gab mir große Mühe, ein guter Soldat zu werden, und lebte ein Leben für das Imperium. Und was habe ich nun davon? Ich bin Sicherheitsoffizier auf einem Schiff, das am Abgrund seine Zeit verbringt, nirgendwohin fährt und nichts unternimmt – wenigstens nichts, das irgendwie von Bedeutung wäre. Macht mit mir, was Ihr wollt. Es ist mir egal.«

Stelmach blickte unvermittelt auf und starrte Schwejksam und Frost an. Auf seinen Wangen hatten sich hektische rote Flecken gebildet, und seine Augen waren vom Weinen geschwollen, doch sie blickten noch immer wach. »Ich hasse dieses Schiff. Ich hasse Euch, Kapitän, und Euch, Investigator.

Alle beide. Wenn ich Euch unter Kontrolle gehalten hätte, was eigentlich meine Aufgabe gewesen wäre, hätten die Dinge sich vielleicht anders entwickelt. Aber ich ließ zu, daß Ihr mit mir diskutiert und daß Investigator Frost mich einschüchtert, und alles ging daneben. Ich hasse mein Leben, oder das, was davon noch übrig ist. Und am meisten hasse ich mich selbst, weil ich ein derartiger Schwächling bin. Meine Mutter hat geschrieben, mein Vater hätte auf mich gespuckt, wenn er hätte sehen können, was aus mir geworden ist. Ich denke, sie hat recht. Er hätte ganz bestimmt mehr Courage gezeigt, mehr… irgendwas.

Manchmal kommt er zu mir in meine Kabine und setzt sich in den frühen Morgenstunden auf meine Bettkante, und dann erzählt er mir, wie sehr er sich meinetwegen schämt. Er sieht noch immer jung und energisch aus, wie in den Holos aus der Zeit, bevor er ermordet wurde. Ich bin inzwischen älter, als er damals war, aber für ihn werde ich stets ein Kind bleiben. Ich ertrage dieses Quartier nicht mehr. Ich habe Angst vor dem Einschlafen. Steckt mich in den Bunker. Oder befehlt Frost, mich einfach auf der Stelle zu erschießen und der Schande, die ich meiner Familie zufüge, ein Ende zu bereiten. Frost würde es bestimmt gerne tun. Es ist mir egal. Mir ist alles egal.«

Schließlich verstummte Stelmach, und sein Kopf sank wieder nach unten, als er zu Boden blickte. Er weinte nicht. Er war viel zu erschöpft dazu. Schwejksam wußte nicht, was er sagen sollte. Er hatte in den Akten über Stelmachs Kindheit gelesen und versucht herauszufinden, warum, um alles in der Welt, jemand seinem Kind den Namen Kühnhold gegeben hatte, aber die reinen Fakten hatten bis zu diesem Zeitpunkt keinen rechten Sinn ergeben. Schwejksam fühlte sich verlegen und beschämt, daß er so direkt mit dem privaten Schmerz und der Schande eines anderen konfrontiert worden war. Das waren Dinge, die man normalerweise nur einem engen Freund oder einem Partner verriet, doch Stelmach war Sicherheitsoffizier, und Sicherheitsoffiziere besaßen keine Freunde oder Partner, denen sie ihr Herz ausschütten konnten… Und jetzt besaß er auch keine Familie mehr. Das war also der Grund, aus dem Stelmach seine Kabine zerstört hatte. Es war die einzige Möglichkeit für ihn gewesen, seine Wut herauszulassen. Und wahrscheinlich hatte er gewollt, daß man ihn dafür bestrafte.