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Schwejksam wußte nicht, wie er reagieren sollte. Er konnte den Mann nicht einfach in Arrest nehmen und in den Bunker sperren lassen, selbst wenn es laut Vorschriften das Richtige war. Er war nicht mit Stelmach befreundet, und er mochte den Mann nicht einmal, aber Stelmach war ein Mitglied der Besatzung seines Schiffes, und als Kapitän der Unerschrocken war Schwejksam verantwortlich für das Wohlergehen eines jeden Mannes an Bord und so auch für diesen Mann – wie ein Vater für einen Sohn, der einen Fehler begangen hatte. Der Gedanke brachte eine neue Saite in Schwejksam zum Schwingen.

»Kühnhold, hört mir zu. Wir sind jetzt Eure Familie. Dieses Schiff und diese Mannschaft. Ihr gehört zu uns. Und wenn irgend jemand darüber zu entscheiden hat, ob Ihr ein Versager seid, dann bin ich das und sonst niemand. Und ich habe mir noch kein Urteil gebildet. Ihr habt überlebt, wo eine Menge anderer gestorben sind. Und Ihr wart der erste Mann, der je einen Schläfer unter ein Joch gezwungen hat. Das kann Euch niemand nehmen, ganz egal, was andere denken. Ihr seid kein Versager, bevor ich es nicht sage. Ich bin Eure Familie, und ich bin Euer Vater, und das erste, was ich Euch zu sagen habe, ist… Räum dein Zimmer auf, mein Junge!«

Stelmach hob verblüfft den Kopf. Dann brach er in lautes Lachen aus. Es war ein volles, erleichtertes Lachen, das die Düsterkeit und die finstere Stimmung vertrieb, die in der Kabine gehangen hatten. Schwejksam begann sich zu entspannen.

Er lächelte Frost an, und obwohl sie nicht zurücklächelte, wirkte sie doch etwas weniger kühl und distanziert als üblich. Stelmachs Lachen wurde wieder leiser, doch bevor er irgend etwas sagen konnte, summte das Komm-Implantat im Ohr des Kapitäns. Schwejksam bedeutete Stelmach mit einer Handbewegung, einen Augenblick zu warten, und nahm das Gespräch an.

»Schwejksam hier. Besser, wenn es sich um etwas Wichtiges handelt.«

»Ich fürchte, das tut es, Kapitän«, erklang die Stimme seines Stellvertreters. »Ich denke, Ihr kommt besser so schnell wie möglich auf die Brücke. Wir haben anscheinend ein Problem hier.«

»Was für ein Problem?«

»Ich will verdammt sein, wenn ich das wüßte, Sir. Aber ich würde mich ein ganzes Stück wohler fühlen, wenn Ihr wieder übernehmen könntet. Da draußen… Irgend etwas ist da draußen.«

Die Verbindung endete abrupt, und nur ein kaum hörbares statisches Rauschen blieb in Schwejksams Kopf zurück. Er schaltete das Komm-Implantat ab und legte die Stirn in nachdenkliche Falten. Schwejksam war beunruhigt, ohne einen Grund dafür nennen zu können. Irgend etwas hatte in der Stimme seines Stellvertreters gelegen… Der Mann hatte fast geklungen, als hätte er Angst. Schwejksams erster Gedanke war der an ein fremdes Schiff, doch in diesem Fall hätte sein Stellvertreter längst Alarmstufe Rot verhängt. Die Falten auf der Stirn des Kapitäns vertieften sich noch. Er blickte zu Frost und Stelmach, die ihn erwartungsvoll ansahen.

»Vergeßt das mit dem Aufräumen«, sagte er tonlos. »Wir werden auf der Brücke gebraucht. Also los, Leute!«

»Selbstverständlich, Kapitän«, erwiderte Stelmach und verließ als erster seine Kabine. Sie marschierten gemeinsam durch den Korridor, drei Berufsoffiziere aus der gleichen großen Familie – einer Familie, deren Sorgen und Nöte immer an erster Stelle kamen.

Wieder auf der Brücke, nickte Schwejksam seinem Stellvertreter zu und ließ sich in den Kommandositz sinken. Frost und Stelmach bezogen rechts und links von ihm Position, bereit, falls er sie brauchen sollte. Die Atmosphäre in der Zentrale war so gespannt, daß man beinahe die Funken tanzen sah. Alle waren auf ihren Posten und mit ihren Instrumenten beschäftigt, aber sie wirkten zu aufgeregt, zu konzentriert… beinahe, als hätten sie Angst, woanders hinzusehen. Der Hauptschirm zeigte die Route der Unerschrocken bis zum und entlang des Abgrunds. Ab einer bestimmten Stelle brach das Licht der Sterne einfach ab, als wäre es auf eine unsichtbare Mauer geprallt, und dahinter befand sich das Nichts der Dunkelwüste, die äußerste, vollkommene Schwärze, in der keine Sonne jemals schien. Es war schwer, den Blick längere Zeit darauf zu richten, doch die Augen bewegten sich unwillkürlich immer wieder zu dieser Stelle. Schwejksam runzelte die Stirn und funkelte seinen Stellvertreter an.

»Mir scheint, alles ist in bester Ordnung. Nichts auf dem Schirm, alle Instrumente funktionieren… Wo liegt das Problem?«

Der Stellvertreter rutschte unbehaglich in seinem Sitz hin und her. »Fragt den Kommunikationsoffizier, Sir. Er hat mich als erster darauf aufmerksam gemacht.«

Schwejksam wandte sich um und blickte zu Creutz, und sein Stirnrunzeln vertiefte sich. »Nun, Mister?«

»Es… es ist schwierig zu erklären, Kapitän.« Creutz drehte sich von seiner Station weg, um den Kapitän direkt anzublicken. »Ich habe… ich höre Geräusche. Schon seit einer geraumen Zeit. Stimmen im Äther, die nach mir rufen. Dort draußen sind Leute, Sir, obwohl das unmöglich ist. Ich habe die Sensoren kontrolliert. Außer uns ist niemand in der Nähe. Aber… aber ich höre es nicht allein.«

Creutz unterbrach sich und blickte unglücklich zu Schwejksam, um eine Reaktion zu erkennen. Der Kapitän der Unerschrocken achtete sorgsam darauf, sich nichts anmerken zu lassen. Daran, wie schwer Creutz sich tat, mit der Sache herauszurücken, erkannte Schwejksam, wie Ernst dem jungen Offizier damit war. Das Gesicht des Kommunikationsoffiziers wirkte abgespannt und erschöpft, und auf seiner Stirn hatten sich kleine glitzernde Schweißperlen gebildet. Schwejksam wußte, daß die anderen Offiziere in der Zentrale auf seinen Rücken starrten und seine Reaktion abwarteten, auch ohne daß er sich umblickte. Vor einer Weile noch wäre er davon überzeugt gewesen, daß sie ihn auf den Arm nehmen wollten, um zu sehen, wie weit sie gehen durften, doch inzwischen dachte er nicht mehr so. Schwejksam konnte spüren, wie Ernst es ihnen allen war, und obwohl jedermann sich Mühe gab, es zu verbergen – jeder in der Zentrale war zumindest besorgt, wenn nicht mehr. Schwejksam spürte auch, wie sich in seinem Rücken ein schwaches Prickeln entwickelte. Das waren alles kampferprobte Veteranen, und sie waren nicht so leicht einzuschüchtern. Er schlug die Beine lässig übereinander und spürte gleichzeitig eine wachsende Spannung im Unterleib. Draußen am Abgrund geschahen seltsame Dinge. Jeder wußte das. Der Kapitän nickte Creutz zu und bedeutete ihm fortzufahren.

»Ich habe die Stimmen nicht als einziger gehört, Sir. Andere haben das gleiche erlebt. Schon seit Tagen geht das nun so.

Auf allen Kanälen, von den offiziellen bis hin zu den schiffsinternen Kabinenfrequenzen. Stimmen ertönen, wo es keine geben dürfte, und sie flüstern und murmeln gerade deutlich genug, um die Männer zu erschrecken, ohne einen rechten Sinn zu ergeben. An der Ausrüstung liegt es nicht, Sir; ich habe alles überprüft und nochmals überprüft, und sie funktioniert fehlerlos. Dann dachte ich, daß mir irgend jemand einen Streich spielt, aber ich kenne jeden einzelnen dummen Trick in- und auswendig. Also habe ich mit anderen darüber gesprochen, und ich fand heraus, daß sie genau das gleiche erlebten. So geht das nun, seit wir uns dem Rand des Abgrunds genähert haben.

Es sind nicht allein die Stimmen. Es ist, als würden wir beobachtet, die ganze Zeit über, und damit meine ich nicht die Überwachungskameras an Bord. Daran sind wir alle gewöhnt.

Es ist mehr wie… Es ist, als wäre jemand anderes mit einem im Zimmer, obwohl man allein ist. Als stünde jemand anderes über dein Bett gebeugt, während du schläfst, und er beobachtet dich und wartet. Ständig habe ich das Gefühl, als würde irgend etwas nicht stimmen und als müßten wir etwas unternehmen… etwas Wichtiges, etwas Lebenswichtiges…«